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Der Rückgang der biologischen Vielfalt hält an

Erstmals haben sich 35 wissenschaftliche Institutionen aus der ganzen Schweiz zusammengeschlossen, um den Zustand der Biodiversität umfassend zu analysieren. Die Experten kommen zu dem Schluss, dass die Biodiversität in der Schweiz in den letzten Jahrzehnten weiter stark zurückgegangen ist und dass dieser Trend ungebrochen ist. Die punktuell positive Wirkung von Anstrengungen der letzten Jahrzehnte zur Erhaltung und Förderung von selten gewordenen Pflanzen, Tieren und Lebensräumen zeigt, dass es möglich ist, diesen Trend umzukehren. Dazu sind aber deutlich umfangreichere Massnahmen in allen Gesellschafts- und Politikbereichen erforderlich. Für die Wissenschaftler ist die Umsetzung des nun vorliegenden Aktionsplans zur Strategie Biodiversität deshalb von höchster Priorität.

Dem Schweizerischen Bundesrat ist die Bedeutung der Biodiversität bewusst. Er hat 2012 die Strategie Biodiversität Schweiz (SBS) verabschiedet, um eine reichhaltige und gegenüber Veränderungen reaktionsfähige Biodiversität und deren Ökosystemleistungen zu erhalten. Seitdem haben 43 Expertinnen und Experten die neusten verfügbaren Informationen zur Entwicklung der Biodiversität in der Schweiz zusammengetragen. Der ernüchternde Befund: Die biologische Vielfalt geht weiter stark zurück. Die Bestände der Amphibien sind trotz der Unterschutzstellung der national bedeutenden Laichgebiete und der Erfolge gezielter Schutzprogramme nach wie vor rückläufig. Moore verlieren trotz Verfassungsschutz an Fläche und sind durch Austrocknen und Stickstoffeintrag gefährdet. Artenreiche Trockenwiesen verschwinden, stark gefährdete Pflanzenarten gehen besonders stark zurück. Auch bei den Fischen gibt es keine Entwarnung: In den Schweizer Seen hatte die Zahl der einheimischen Felchenarten zwischen 1950 und 1990 wegen Überdüngung um fast 40 Prozent abgenommen. In den Gewässern konnte zwar das Problem der Überdüngung vielerorts gelöst werden – inzwischen sind aber mit dem Eintrag von hormonaktiven Substanzen, Arzneimittelwirkstoffen und Pflanzenschutzmitteln zusätzliche Probleme aufgekommen, die sich auf die Gewässerorganismen negativ auswirken.

Punktuell zeigt sich, dass sich Anstrengungen zur Erhaltung der biologischen Vielfalt lohnen – zum Beispiel bei gezielten Massnahmen für einige stark bedrohte Vogelarten, bei Revitalisierungen von Gewässern oder bei der Wiedereinführung einer biodiversitätsfördernden Wiesennutzung. So stieg in der Innerschweiz die Zahl der Pflanzenarten auf Wildheuflächen, die nach einer Beendigung der Mahd wieder in Betrieb genommen wurden, innerhalb von 10 Jahren um bis zu 20 Prozent an. Diese Verbesserungen konnten die Verluste bei weitem nicht wettmachen, zeigen aber, dass es nicht der Mangel an Wissen oder an Möglichkeiten, sondern der Mangel an Handlung ist, welcher für den weiterhin negativen Trend verantwortlich ist. Der Negativtrend wäre umkehrbar, wenn Massnahmen zur Erhaltung und Förderung der Biodiversität im grossen Massstab umgesetzt würden.

Auch die neben landesweiten Studien analysierten regionalen und kantonalen Facharbeiten zeigen, dass die biologische Vielfalt zurückgeht. Einige Beispiele: Im Aargau sinkt die Artenvielfalt in Siedlungen seit Ende der 1990er-Jahre kontinuierlich. Im ganzen Mittelland sangen noch vor wenigen Jahrzehnten über jedem Feld Lerchen, und beim Tritt in eine Wiese stoben Hunderte von Heuschrecken zirpend davon; heute ist es im Landwirtschaftsgebiet vielerorts monoton, eintönig und still geworden. Und auch im Berggebiet hat der Rückgang längst eingesetzt: Innerhalb von 22 Jahren büsste die Feldlerche im Engadin zwei Drittel ihres Bestandes ein.

Wenn eine Tier- oder Pflanzenart aus einer Region der Schweiz verschwindet, geht damit nicht nur ein Stück Heimat und Identität verloren. Denn zusätzlich zum ideellen Wert der biologischen Vielfalt profitieren Gesellschaft, Wirtschaft und jeder Einzelne auch ganz konkret von der Biodiversität und den Ökosystemleistungen, die sie erbringt. Biologische Vielfalt ist die Grundlage für unsere Ernährung, liefert medizinische Wirkstoffe, schützt uns vor den Konsequenzen des Klimawandels und vor Naturkatastrophen, sorgt für sauberes Wasser, für fruchtbare Böden und für attraktive Wohn-, Freizeit- und Ferienlandschaften. Dementsprechend könnte uns ein anhaltender Rückgang der Vielfalt teuer zu stehen kommen. Wenn es nicht gelingt, den Verlust von Biodiversität und Ökosystemleistungen zu stoppen, werden für Europa im Jahr 2050 Einbussen von vier Prozent der Bruttoinlandprodukte vorausgesagt.

Aufgrund ihrer Ergebnisse weisen die an der vorliegenden Analyse beteiligten Expertinnen und Experten eindringlich darauf hin, dass die Ziele der vom Bundesrat verabschiedeten Strategie Biodiversität Schweiz ohne grosse zusätzliche Anstrengungen in allen Gesellschafts- und Politikbereichen nicht zu erreichen sind.

Inzwischen liegt ein Aktionsplan zur Strategie Biodiversität Schweiz mit sorgfältig aufeinander abgestimmten Massnahmen vor. Für die Wissenschaftler ist die Umsetzung dieses Aktionsplans von höchster Priorität, um den besorgniserregenden Verlust der Biodiversität zu stoppen. Die zusätzlichen Anstrengungen für die Erhaltung und die Förderung der Biodiversität und deren nachhaltige Nutzung werden sich für die Lebensqualität jedes Einzelnen, für die Gesellschaft und die Wirtschaft langfristig auszahlen; ein Nicht-Handeln käme langfristig weit teurer zu stehen.

Quelle: Forum Biodiversität Schweiz, Wissenschaftliches Kompetenzzentrum für biologische Vielfalt Akademie der Naturwissenschaften (SCNAT)

21.04.2015