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Neuer Ansatz für Jagd nach kosmischem Teilchenbeschleuniger

Ein internationales Forscherteam mit Berner Beteiligung hat Teilbereiche des Supernovaüberrests «SN 1006» mit nie erreichter Genauigkeit beobachtet. Solche Überreste gelten als Quellen für einen Teil der kosmischen Teilchenstrahlung, welche die Erde trifft. Die Beobachtungen geben erstmals Hinweise auf mögliche Vorläuferteilchen für die kosmische Teilchenstrahlung solcher Objekte. Die neuartige Beobachtungstechnik, die zum Einsatz kam, verspricht eine Vielzahl weiterer Erkenntnisse dazu, wie Supernovaüberreste kosmische Teilchen beschleunigen. Die Ergebnisse wurden heute in der Fachzeitschrift «Science» veröffentlicht.

Fast genau hundert Jahre ist es her, dass Victor Hess die vorwiegend aus Protonen bestehende kosmische Teilchenstrahlung entdeckte, die aus den Tiefen des Weltraums auf die Erde trifft. Die energiereichsten Teilchen dabei stammen von ausserhalb unseres Sonnensystems, und für einige davon wiederum werden als Quelle sogenannte Supernovaüberreste angenommen.

Supernovae sind gigantische Sternexplosionen am Ende des Lebens bestimmter Sterne. Dabei werden grosse Teile der Sternatmosphäre oder gleich die gesamte Sternmaterie nach aussen geschleudert und bilden einen sogenannten Supernovaüberrest, der sich im Laufe der Zeit immer weiter ausdehnt. Wo das herausgeschleuderte Material auf die umgebende interstellare Materie trifft, bilden sich Schockwellen aus – Regionen, in denen sich Dichte und Temperatur abrupt ändern, ähnlich den Schockwellen des Überschnallknalls, wenn ein Flugzeug die Schallmauer durchbricht.

Die expandierenden, hochenergetischen Schockwellen sind naheliegende Kandidaten für kosmische Teilchenbeschleuniger, die hochenergetische Teilchenstrahlung produzieren. Jetzt haben Forscher um die serbische Astronomin Sladjana Nikolić (Max-Planck-Institut für Astronomie) und dem Center for Space and Habitability (CSH) der Universität Bern erstmals Hinweise darauf gefunden, dass in den Schockregionen in der Tat Protonen beschleunigt werden. Bei diesen Protonen handelt es sich noch nicht um die kosmische Teilchenstrahlung selbst, sondern um Vorläuferteilchen («seed particles»), die anschliessend durch Wechselwirkung mit der Schockfront auf die erforderlichen hohen Energien beschleunigt werden und als Teilchenstrahlung hinaus in den Raum fliegen können.

Nikolić erklärt: «Dies ist das erste Mal, das wir die physikalischen Prozesse in und um die Schockregion genauer untersuchen konnten. Wir haben dabei Hinweise auf die Existenz einer erwärmten Region direkt vor der Schockwelle gefunden, wie sie den gängigen Modellen nach notwendig ist, damit überhaupt kosmische Teilchenstrahlung entstehen kann. Ausserdem wurde diese Region offenbar auf genau jene Weise erwärmt, wie man es erwarten würde, wenn dort Protonen existieren, welche die Energie aus direkt hinter der Schockfront gelegenen Regionen in die Bereiche direkt vor dem Schock transportieren.»

Die Untersuchung basiert auf Analysen, die Nikolić als Teil ihrer Doktorarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und der Universität Heidelberg durchführte. Entscheidend für die neuen Ergebnisse war, dass Nikolić und ihre Kollegen eine neuartige Beobachtungstechnik namens Integralfeldspektroskopie (integral field spectroscopy) einsetzten. Diese Technik erlaubt es, die Zusammensetzung des Lichts für eine Vielzahl verschiedener Bildpunkte im Bildfeld des Teleskops gleichzeitig zu bestimmen. Sie wurde hier zum ersten Mal auf einen Supernovaüberrest angewandt.

Nikolić und ihre Kollegen nutzten den Spektrografen VIMOS am Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte in Chile, um für mehr als 100 Punkte in einem kleinen Teilbereich der Schockfront der Supernova SN1006 gleichzeitig die Lichtzusammensetzung («Spektrum») zu bestimmen. Die rund anderthalbjährige Analyse der Daten ergab detaillierte Informationen insbesondere über die Temperaturen vor und hinter der Schockfront.

Kevin Heng vom Center for Space and Habitability der Universität Bern, Co-Betreuer von Nikolićs Doktorarbeit, sagt: «Wir sind besonders stolz darauf, dass wir die Integralfeldspektroskopie in eher unorthodoxer Weise eingesetzt haben – üblicherweise beobachtet man damit weit entfernte Galaxien. Die Genauigkeit, die wir dabei erreicht haben, stellt alle vorangehenden Studien in den Schatten.»

Wichtig sind die jetzt veröffentlichten Ergebnisse auch als Wegbereiter für zukünftige Untersuchungen. Nikolić erklärt: «Das hier war ein Pilotprojekt. Das Licht, das wir von dem Supernovaüberrest auffangen, ist ungleich schwächer als bei den üblichen Zielobjekten für solche Instrumente. Jetzt, wo wir wissen, was machbar ist, sind eine Vielzahl interessanter Nachfolgeprojekte in den Bereich des Möglichen gerückt.» Glenn van de Ven vom Max-Planck-Institut für Astronomie, Nikolićs Doktorvater, fügt hinzu: «Diese neuartige Beobachtungstechnik könnte sich als Schlüssel erweisen, um herauszufinden, wie Supernovaüberreste kosmische Teilchenstrahlung erzeugen.»

Bibliographische Angaben:

Sladjana Nikolić, Glenn van de Ven, Kevin Heng, Daniel Kupko, Bernd Husemann, John C. Raymond, John P. Hughes, Jesús Falcon-Barroso: An Integral View of Fast Shocks Around Supernova 1006, Science Express, 14. Februar 2013, DOI:10.1126/science.1228297

Quelle: Max Planck-Institut für Astronomie

14.02.2013