Osteuropa: Jahrringe als Zeugen von Klima- und Kulturgeschichte
In den letzten tausend Jahren fielen in Osteuropa Kriege und Epidemien mit Kälteperioden zusammen. Zudem ist es heute in dieser Region so warm wie noch nie zuvor. Zu diesen Resultaten kommt eine internationale Studie unter der Leitung von Ulf Büntgen von der Eidgenössischen Forschungsanstalt WSL und von der Universität Bern.
Anhand von 545 absolut datierten Holzproben lebender und historischer Lärchen (Larix decidua Mill.) aus den nördlichen Karpaten in der Slowakei konnten die jährlichen Temperaturschwankungen zwischen Mai und Juni bis ins Jahr 1040 n. Chr. zurück rekonstruiert werden.
Die aus dem Tatra-Gebirge stammenden Jahrringdaten spiegeln die Klimageschichte in Osteuropa und speziell im Baltikum wider. Die Jahrringe beschreiben mehrere kalte Phasen zwischen ca. 1150 und 1400 sowie im 19. Jahrhundert.
Milde Frühlinge wurden hingegen in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts sowie von ca. 1400-1780 berechnet. Die Klimaerwärmung seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert ist im Vergleich zum gesamten letzten Jahrtausend einmalig.
Neben dem Aufbau einer baumjahrring-basierten Temperaturgeschichte hat das Forscherteam klimatische Epochen mit kulturgeschichtlichen Ereignissen verglichen. Pestausbrüche, politische Unruhen, Migrationswellen und kriegerische Konflikte stimmen oft mit vergangenen Kältephasen überein.
Auch Veränderungen der Siedlungsaktivität zeigen Zusammenhänge mit Klimaschwankungen. Der „Schwarze Tod“ in der Mitte des 14. Jahrhunderts, der 30-jährige Krieg zwischen ca. 1618-1648 und der Russlandfeldzug Napoleons 1812 sind die drei prominentesten Beispiele, in denen kulturhistorisch relevante Ereignisse mit extremen Kälteeinbrüchen in Osteuropa übereinstimmen.
Die nun erschienen Resultate bestätigen ähnliche Beobachtungen einer früheren auf Jahrringen basierenden Analyse in Mitteleuropa.
Gleichzeitig warnt der Leiter beider Studien, Ulf Büntgen, ausdrücklich vor zu schnell getroffenen und vereinfacht dargestellten Verknüpfungen: „Die Beziehungen zwischen Klima und Geschichte sind äusserst komplex und bei weitem noch nicht vollständig erforscht. Gleichzeitig wissen wir heute aber auch, dass in gut dokumentierten und sorgfältig analysierten Jahrringchronologien weitaus mehr Informationen enthalten sind als bisher angenommen.“
Weitere Daten, unabhängige Studien und interdisziplinäre Ansätze sind daher von grossem Interesse, um zukünftig noch detailliertere Aussagen treffen zu können.
Jahrringforschung
Die als Jahrringforschung bezeichnete Dendrochronologie (griech. dendron = Baum, chronos = Zeit, logos = Lehre) umfasst alle Teilgebiete, die Jahrringe zur Datierung verwenden. Der Begriff Dendrochronologie geht auf den amerikanischen Astronomen Andrew E. Douglass (1867 bis 1962) zurück. Heute ist sie als Datierungsmethode in den Geowissenschaften, der Archäologie, Kunstwissenschaft und Denkmalpflege etabliert.
Die Dendroökologie hingegen adressiert Fragestellungen, die sich mit der Rekonstruktion vergangener Umweltbedingungen, wie etwa dem Klima (Dendroklimatologie) beschäftigen. Die Dendroklimatologie erlaubt eine zuverlässige Einschätzung vergangener Klimaschwankungen während der Vegetationsperiode.
Bibliografische Angaben:
Büntgen, U.; Kyncl, T.; Ginzler, C.; Jacks, D.S.; Esper, J.; Tegel, W.; Heussner, K.U.; Kyncl, J. (2013) Filling the Eastern European gap in millennium-long temperature reconstructions. Proceedings of the National Academy of Sciences, USA.
Quelle: Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL
15.01.2013