Mit bewaffneten Antikörpern gegen Leukämie
Krebstherapien werden effizienter, wenn man Medikamente gezielt zum Tumor bringt. Forschende der ETH Zürich, der Universitäten Bern und Münster sowie des Inselspitals Bern haben nun an Mäusen getestet, wie man mit diesem Ansatz Leukämiezellen zerstören kann; mit vielversprechenden Ergebnissen.
«Wir versuchen das Immunsystem auszutricksen, damit es Krebszellen bekämpft», erklärt Katrin Gutbrodt, Doktorandin in der Gruppe von ETH-Professor Dario Neri. Die Idee, das körpereigene Immunsystem zu nutzen, um Krebserkrankungen zu behandeln, verfolgen Wissenschaftler weltweit seit Jahren. In Zusammenarbeit mit Forschenden der Universitäten Bern, Münster und Kiel, sowie des Inselspitals Bern, haben Gutbrodt und Neri nun einen vielversprechenden Ansatz entwickelt, das Immunsystem gezielt zu stimulieren, um Leukämiezellen zu zerstören. Die Ergebnisse aus ihren Studien an Mäusen stellen sie in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift «Science Translational Medicine» vor.
Die Forschenden vom Institut für Pharmazeutische Wissenschaften koppelten den Botenstoff Interleukin-2, der das Immunsystem anregt, an Antikörper, die sich in Tumoren anreichern. Diese bewaffneten Antikörper testeten sie an einem Mausmodell für Leukämie. Die Interleukin-2-gekoppelten Antikörper waren dabei wirksamer als das gängige Chemotherapeutikum Cytarabin. Mit einer Kombination aus den bewaffneten Antikörpern und Cytarabin gelang es Ihnen sogar, die Leukämiezellen so effizient zu zerstören, dass die Erkrankung bei den Mäusen nicht mehr nachzuweisen war.
Auf die Blutversorgung des Tumors zielen
Die Antikörper, welche Gutbrodt und ihre Kollegen benutzten, binden an Proteine, die während der Bildung neuer Blutgefässe - der Angiogenese - produziert werden. Diese Proteine kommen in gesundem Körpergewebe praktisch nicht vor, jedoch in Tumoren, wo sie das Wachstum neuer Blutgefässe anregen. Diese benötigt der Tumor, um sich mit Sauerstoff zu versorgen. Die Antikörper eigenen sich somit als Vehikel, um den an sie gekoppelten Botenstoff ganz gezielt zum Tumor zu transportieren. Diese Methode wird als «Vascular Targeting» bezeichnet.
Die Forschenden, darunter auch Thomas Pabst vom Departement Klinische Forschung der Universität Bern, befassen sich seit Langem mit dieser Methode zur Behandlung sogenannter solider Tumore, also Krebsgewebe, das zunächst im Organ ihres Ursprungs wächst und sich erst in fortgeschrittenen Krankheitsstadien durch die Bildung von Metastasen ausbreitet.
Bei Leukämie ist dies nicht der Fall, da sich die Leukämiezellen im Blutkreislauf verteilen. Dass der Ansatz auch dort wirken könnte, entdeckte der Krebsforscher Christoph Schliemann im Zuge seiner Arbeit an der Universität Münster und an der ETH Zürich. Motiviert durch frühere Forschungsresultate, wonach das Knochenmark von Leukämiepatienten eine höhere Anzahl Blutgefässe aufweist als gesundes Knochenmark, testete er Knochenmarkbiopsien von Erkrankten auf die Anwesenheit einiger Angiogenese-Proteine. Dabei fand er drei Proteine, die nur in Knochenmark-Biopsien von Leukämiepatienten vorkamen, nicht jedoch in anderen Gewebeproben.
Vielversprechender Ansatz
Gutbrodt setzte Schliemanns Arbeit fort und testete Antikörper, welche an die drei genannten Proteine binden, an Gewebeproben von Patienten und von Mäusen. Anschliessend testete sie den therapeutischen Effekt dieser Antikörper, bewaffnet mit dem immunstimulierenden Botenstoff Interleukin-2, im Mausmodell für Leukämie. So sammelt sich Interleukin-2 im Knochenmark, beziehungsweise in lokal angereicherten Leukämiezellen, sogenannten Chloromas. Dort aktiviert es bestimmte Immunzellen, NK-Zellen und T-Zellen, welche wiederum die Leukämiezellen angreifen.
Interleukin-2 findet in Kombination mit anderen Präparaten bereits Anwendung in der Behandlung von Leukämiepatienten im Zuge klinischer Studien. Bislang wird es jedoch ohne daran gekoppelte Antikörper eingesetzt. Es wird hauptsächlich verwendet, um nach einer ersten Chemotherapie (Induktionstherapie) die verbleibenden Leukämiezellen in Zaum zu halten (Erhaltungstherapie). Der neue Ansatz mit Interleukin-2-gekoppelten Antikörpern könnte die Erhaltungstherapie effizienter machen und somit das Risiko eines Rückfalls senken.
Bis dahin ist es jedoch noch ein weiter Weg. In ihrer Studie zeigen die Forschenden erste Hinweise auf den therapeutischen Nutzen der mit Interleukin-2 bewaffneten Antikörper bei der Behandlung eines Patienten, der bereits mehrere Zyklen Chemotherapie durchlaufen hatte. Umfassende klinische Studien sind notwendig, um die therapeutische Wirkung wie auch die Sicherheit des «Vascular Targeting» in der Behandlung von Leukämie zu bestätigen.
Literaturhinweis:
Gutbrodt KL, Schliemann C, Giovannoni L, Frey K, Pabst T; Klapper W, Berdel WE, Neri D: Antibody-Based Delivery of Inteleukin-2 to Neovasculature Has Potent Activity Against Acute Myeloid Leukemia. Science Translational Medicine, Vol 5 Issue 201, 4 September 2013.
Quelle: ETH Life
04.09.2013