Rio+20: Welche Zukunft will die Schweiz?
Die ökologischen Probleme der Erde können nur gelöst werden, wenn Armut nachhaltig reduziert wird: Das ist ein Fazit der Podiumsdiskussion, die vom Centre for Development and Environment (CDE) der Universität Bern durchgeführt worden ist. Nur wenige Tage bevor sich in Rio de Janeiro rund 50‘000 Menschen treffen, um über «Die Zukunft, die wir wollen» zu debattieren, haben Vertreter der Schweizer Rio+20 Delegation über die mögliche Rolle der Schweiz diskutiert.
«Man muss schnell handeln. Man muss sehr schnell handeln.» Das waren 1992 am Weltgipfel in Rio die Worte des damaligen Bundesrates Flavio Cotti. 20 Jahre später sind die Mitglieder der Schweizer Rio+20 Delegation nur verhalten optimistisch im Hinblick auf die Resultate der Neuauflage der UN-Konferenz über Nachhaltige Entwicklung. Rio+20 sollte jedoch nicht alleine an den offiziellen Resultaten gemessen werden, sondern auch an den vielen Anregungen und Handlungen, die durch die Konferenz hervorgerufen werden.
Zum Einstieg in die Diskussion in der Aula der Universität Bern präsentierten zwei internationale Referenten ihre Sicht auf den Weltgipfel: Prof. Måns Nilsson vom Stockholm Environment Institute erläuterte, wie der Einsatz von nachhaltiger Energie dazu beitragen könnte, die Millennium-Entwicklungsziele 1–6 (MDGs) zu erreichen: «Energie ermöglicht den Zugang zu Informationstechnologien, genauso wie zu basalen Bedürfnissen etwa nach Licht für die abendlichen Hausaufgaben. Zeit, die momentan zum Sammeln von Feuerholz, Holen von Wasser und zum Kochen benötigt wird, könnte eingespart und für Bildung eingesetzt werden.» Nilsson machte auch klar, dass neue Technologien alleine nicht ausreichen, um eine nachhaltige Energieversorgung für alle zu garantieren: Neben einer Verbesserung der Effizienz müssten sich auch Konsumgewohnheiten und Lebensweisen ändern.
Mariama Williams vom South Centre, einem internationalen Think-Tank in Genf, bezog sich auf die drei Dimensionen Nachhaltiger Entwicklung: die ökonomische, die soziale und die ökologische – wie sie im Brundtland-Bericht «Our Common Future» von 1987 dargestellt wurden. «20 Jahre nach den inspirierenden Visionen und Aussagen von 1992 in Rio ist die Einbindung der drei Nachhaltigkeitsdimensionen noch immer in einem Anfangsstadium, und es sind noch beträchtliche Anstrengungen nötig – konzeptionell und in der Umsetzung –, um die Vision der Nachhaltigkeit zur Geltung zu bringen», betonte Williams.
Ökonomische, soziale und ökologische Forderungen verbinden
Für die Besetzung des Podiums wurden Vertreter von allen drei Nachhaltigkeitsdimensionen ausgewählt: Martin Dahinden (Direktor DEZA), Bruno Oberle (Direktor BAFU), Hans-Peter Egler (SECO), David Bresch (Swiss Re), Annemarie Huber-Hotz (SRK) und Hans Hurni (CDE). Es herrschte unter den Podiumsteilnehmenden Konsens darüber, welches die zentralen Fragen sind: Wie können die Bedürfnisse von Entwicklungsländern mit der zunehmenden Knappheit natürlicher Ressourcen vereinbart werden? Wie können industrialisierte Länder wie die Schweiz ihren Ressourcenverbrauch auf ein nachhaltiges Niveau senken, und wie kann die Schweiz zu einer gerechten, nachhaltigen Verteilung von Ressourcen beitragen, damit eine gleichmässigere Verteilung des Wohlstandes ermöglicht werden kann?
Die Podiumsteilnehmenden waren einig darüber, dass sich die Weltordnung geändert hat: Es ist nicht mehr länger nur der «Norden», der die Agenda für Nachhaltige Entwicklung in den Entwicklungsländern dirigiert. Die BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) haben eine viel mächtigere Stimme als vor 20 Jahren. Ihre Interessen fokussieren jedoch mehr auf das Erreichen der MDGs als auf Nachhaltige Entwicklungsziele (SDGs), wie sie vom «Norden» vorgeschlagen werden.
Ressource «Wissen» stärken
Gemäss Prof. Hans Hurni vom CDE sei das Potential der Wissensgenerierung vermutlich die wichtigste Ressource der Entwicklungs- und Transitionsländer für eine selbstgestaltete Zukunft. «Aus Sicht der Forschung und Wissenschaft muss bedauert werden, dass im Textentwurf für Rio+20 die zentrale Rolle der Wissensgenerierung und tertiären Bildung nicht erwähnt wird», sagte Hurni. «Wissensgesellschaften sind kein Privileg der postindustriellen Gesellschaften.»
Für die DEZA ist klar, dass ökologische Probleme nur durch eine nachhaltige Armutsbekämpfung reduziert werden können. «Es braucht Mut, Tabus zu brechen und wieder über Themen zu sprechen wie das Bevölkerungswachstum, über wirtschaftlich, sozial und ökologisch schädliche Subventionen oder etwa über die gerechte Verteilung natürlicher Ressourcen», unterstrich Martin Dahinden, Direktor der DEZA.
Gemeinsam mit anderen Ländern fordert die Schweiz an der Rio+20 Konferenz die Einführung einer «Green Economy Roadmap». Dieser Fahrplan sollte mit den nationalen Strategien für Nachhaltige Entwicklung und Armutsbekämpfung verknüpft sein.
07.06.2012