Die seltene Heidelerche mag Bodenvegetation in Weinbergen – aber nur mit Lücken
Eine neue Studie aus der Schweiz zeigt, dass ein nur teilweise von Vegetation bedeckter Boden ein wichtiges Element im Lebensraum der Heidelerche ist, einer seltenen, in Weinbergen lebenden Vogelart. Bereiche mit gänzlich vegetationsfreien Böden als Folge der Anwendung von Herbiziden werden von den Lerchen genauso gemieden wie Orte mit geschlossener Pflanzendecke. Weinbau-Praktiken, die zu geeigneten Vegetationsmosaiken führen, sollten vermehrt gefördert werden.
Forschende der Universität Bern und der Schweizerischen Vogelwarte nahmen in ihrer neuesten Studie eine Vogelart der Weinberge als Modellart unter die Lupe – die Heidelerche. Die Wissenschaftler hatten in einem Forschungszyklus bereits die ökologischen Ansprüche von insektenfressenden Arten, die typischerweise in traditionell bewirtschafteten Landwirtschaftsgebieten vorkommen und europaweit zurückgehen – etwa Gartenrotschwanz, Wendehals, Wiedehopf und Ortolan – untersucht. In der aktuellen Studie stellte sich heraus, dass für die Modellart Heidelerche nur lückig von Vegetation überwachsene Zonen die attraktivsten Bereiche in einem Weinberg sind. Diese entstehen, wenn selektiv nur jede zweite Rebenreihe oder lediglich die Zwischenräume zwischen den einzelnen Rebenreihen begrünt sind.
Weder völlig kahle noch dichtbewachsene Flächen
Und so kamen die Biologen zu ihren Resultaten: Heidelerchen wurden mit Radiosendern versehen, damit ihr Nahrungssuchverhalten in den Walliser Weinbergen verfolgt werden konnte. Danach verglich man die Merkmale der von den Vögeln aufgesuchten Gebiete mit Zufallspunkten, die innerhalb des Aktionsraums der Vögel lagen, von den Heidelerchen aber gemieden wurden.
Die Ergebnisse waren eindeutig: Das Vorhandensein einer Pflanzendecke war der mit Abstand wichtigste Faktor zur Erklärung des räumlichen Aktivitätsmusters der Vögel. Für ihre Nahrungssuche bevorzugten die Heidelerchen Bereiche, deren unmittelbare Umgebung zu etwa 55 Prozent mit Vegetation überwachsen war. Vegetationslose Böden, die immer noch 95 Prozent der Walliser Weinberge kennzeichnen und eine Folge der systematischen Anwendung von Herbiziden sind, wurden von den Vögeln nicht aufgesucht. Paradoxerweise galt dies auch für die wenigen Parzellen, welche nach biologischen Kriterien bewirtschaftet werden und dadurch eine dichte und kontinuierliche Bodenvegetation aufwiesen.
Teilbegrünte Flächen nützen auch der biologischen Vielfalt
Die für Heidelerchen günstigste Struktur ist also zur Hälfte mit Vegetation bedeckt. Dies lässt sich folgendermassen erklären: Im begrünten Teil leben die Wirbellosen, welche als Beutetiere geschätzt werden und mit denen die Vögel ihre Brut füttern. Vegetationsfreie Zwischenräume sind dagegen nützliche Zugangswege bei der Nahrungssuche, in dicht bewachsenem Gelände ist ein Vorwärtskommen für die Vögel viel schwieriger. «Das System mit einer gut gefüllten Speisekammer, die über eine möglichst hindernisfreie Schnellstrasse leicht zugänglich ist, deckt die Bedürfnisse der Heidelerchen optimal ab», fasst Prof. Dr. Raphaël Arlettaz von der Abteilung «Conservation Biology» der Universität Bern zusammen.
Die Autorinnen und Autoren der Studie sprechen sich daher klar für eine Praxis mit teilbegrünten Bereichen in Weinbaugebieten aus. Bei gezielter Anwendung werden so nicht nur die insektenfressenden Vögel gefördert, sondern auch die Körnerfresser. Hinzu kommen mehrere seltene Pflanzen- und Kleintierarten wie gewisse Heuschrecken oder Schmetterlinge, die ebenfalls auf kleine vegetationsfreie Flächen angewiesen sind.
Forschungszyklus im europäischen Agrarraum
«Die Weinberg-Studie bildet den Abschluss eines Forschungszyklus über die Ursachen des Rückgangs von Vogelarten des europäischen Agrarraums, die ihre Insektennahrung am Boden suchen», so Raphaël Arlettaz. «Unsere Untersuchungen wurden in Obstplantagen, Hochstammkulturen, Grün- und Weideland sowie in Weinbergen durchgeführt. Der wichtigste Faktor für Arten wie Wiedehopf, Wendehals, Gartenrotschwanz oder Ortolan ist die Erreichbarkeit der Nahrungstiere. Ein strukturreiches Habitat, sowohl auf der Landschaftsebene als auch im unmittelbaren Mikrohabitat bei der Nahrungssuche, ist das Schlüsselelement», sagt Arlettaz.
Dieser Aspekt sei bislang bei der Ausweisung von ökologischen Ausgleichsflächen vernachlässigt worden. Das würde auch erklären, warum umweltpolitische Massnahmen in der Landwirtschaft, sowohl im kontinentalen als auch im nationalen Rahmen, bisher nicht dazu beitrugen, die stetig zurückgehenden Bestände der insektenfressenden Vögel zu stabilisieren oder den negativen Trend gar umzukehren. «Wir empfehlen daher eine Modifikation der entsprechenden Vorgaben im Sinne der vorgestellten Ergebnisse, um eine Verbesserung der Situation zu erzielen», betont Studienleiter Raphaël Arlettaz.
Quellen:
Arlettaz, R., M.L. Maurer, P. Mosimann-Kampe, S. Nusslé, F. Abadi, V. Braunisch & M. Schaub. 2012. New vineyard cultivation practices create patchy ground vegetation, favouring Woodlarks. Journal of Ornithology 153: 229-238.
Schaub, M., N. Martinez, A. Tagmann-Ioset, N. Weisshaupt, M.L. Maurer, T.S. Reichlin, F. Abadi, N. Zbinden, L. Jenni & R. Arlettaz. 2010. Patches of Bare Ground as a Staple Commodity for Declining Ground-Foraging Insectivorous Farmland Birds. PLoS ONE 5: e13115.
Weitere Publikationen der Forschungsgruppe zum Thema:
Tagmann-Ioset, A., M. Schaub, T.S. Reichlin, N. Weisshaupt & R. Arlettaz. 2012. Bare ground as a crucial habitat feature for a rare terrestrially foraging farmland bird of Central Europe. Acta Oecologica 39: 25-32.
Weisshaupt, N., R. Arlettaz, T.S. Reichlin, A. Tagmann-Ioset & M. Schaub. 2011. Habitat selection by foraging Wrynecks Jynx torquilla during the breeding season: identifying the optimal habitat profile. Bird Study 58: 111-119.
Mermod, M., T.S. Reichlin, R. Arlettaz & M. Schaub. 2009. The importance of ant-rich habitats for the persistence of the Wryneck Jynx torquilla on farmland. Ibis 151: 731-742.
Menz, M.H.M., P. Mosimann-Kampe & R. Arlettaz. 2009. Foraging habitat selection in the last Ortolan Bunting Emberiza hortulana population in Switzerland: final lessons before extinction. Ardea 97: 323-333.
21.03.2012