«Sozialer Kitt» der Schweizer Gesellschaft wird untersucht
Ehrenamtliche Tätigkeiten gelten als sozialer Kitt einer Gesellschaft. Am Institut für Politikwissenschaft wurde eine Forschungspartnerschaft mit der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG) eingerichtet, die sich der Freiwilligenarbeit und deren gesellschaftlichen Bedeutung in der Schweiz widmet.
Im Europäischen Jahr der Freiwilligkeit 2011 wurde das Ziel gesetzt, die Rahmenbedingungen sowie die Sichtbarkeit des freiwilligen Engagements in Europa zu verbessern. In der Schweiz knüpft nun eine neue Forschungspartnerschaft zwischen der Universität Bern unter der Leitung von Prof. Dr. Markus Freitag und der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG) an dieses Ziel an. Die Kooperation wurde im April 2012 unter der Bezeichnung «Freiwilliges Engagement und Sozialkapital» eingerichtet.
Künftig widmen sich Politikwissenschaftlerinnen und Politikwissenschaftler der Universität Bern intensiv dem Bestand, den Ursprüngen und den Konsequenzen der freiwilligen und ehrenamtlichen Tätigkeiten, die gemeinhin als sozialer Kitt oder als soziales Kapital einer Gesellschaft gelten. Konkret werden die Zusammenhänge zwischen dem freiwilligen Engagement und Demokratie, Sozialstaat, Religion und kultureller Diversität für die Schweiz analysiert.
Vereinsleben erstmals schweizweit untersucht
Das jüngste Ergebnis der Forschungszusammenarbeit wurde mit der soeben erschienenen Studie «Zivilgesellschaft in der Schweiz. Analysen zum Vereinsengagement auf lokaler Ebene» vorgelegt. Die Studie nimmt gegenwärtige Debatten zur Zivilgesellschaft zum Anlass, erstmalig die lokalen Bestände und Voraussetzungen für das freiwillige Vereinsengagement schweizweit empirisch auszuleuchten.
Neben einer Erhebung der Vereinsstrukturen in über 1200 Kommunen wurden in 60 repräsentativen Gemeinden auch die Bürgerinnen und Bürger zu ihrem Vereinsengagement sowie zu ihren Einschätzungen bezüglich des Vereinslebens befragt. Im Zentrum stand dabei die Erfassung und Analyse lokaler Gegebenheiten freiwilligen Engagements, wie etwa die Vereinslandschaft vor Ort oder die kulturellen, strukturellen und politischen Voraussetzungen in den Gemeinden.
Insbesondere versuchten die Forschenden, erstmals lokale Instrumente zur Förderung der Freiwilligkeit wie Kontakt- und Anlaufstellen, Öffentlichkeitsarbeit und Formen der Anerkennung mit dem tatsächlichen Engagement der Einwohnerinnen und Einwohner in Bezug zu setzen und einen Eindruck über die Wirksamkeit verschiedener Massnahmen kommunaler «Engagementpolitik» zu vermitteln. Die detaillierten Analysen münden in konkreten Handlungsempfehlungen, wie die Vereinslandschaft gefördert werden kann und wie sich freiwillig und ehrenamtlich Tätige gewinnen lassen – «um der landauf, landab beklagten Auflösung des sozialen Kitts entgegenzutreten», sagt der Leiter der Forschungskooperation Markus Freitag.
Was Gemeinden tun können
So sollen Vereine und ihre Vertreter frühzeitig in die lokalpolitischen Entscheidungsprozesse eingebunden werden, wenn es um deren Belange geht. Ausserdem könnte eine unbürokratische und kostenlose Bereitstellung von Infrastruktur durch die Gemeinde wie auch gezielte Informationen über die lokale Vereinslandschaft das Vereinswesen beleben. Materielle und personelle Unterstützung der Gemeinde sowie Informationen über die lokalen Vereine helfen zudem, gering Gebildete, Nichterwerbstätige und ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger für ein freiwilliges Engagement zu gewinnen.
Somit besteht die Wirkung politischer Massnahmen vor allem in einer Ausweitung der freiwilligen Tätigkeit auf breitere Bevölkerungsschichten, während der Umfang des Vereinsengagements von den kulturellen Traditionen der Gemeinden abhängt: Kultur bestimmt die Quantität, Politik die soziale Qualität lokaler Vereinstätigkeit.
Studie:
Richard Traunmüller, Isabelle Stadelmann-Steffen, Kathrin Ackermann, Markus Freitag: Zivilgesellschaft in der Schweiz. Analysen zum Vereinsengagement auf lokaler Ebene, 2012, Seismo Verlag, 240 S., ISBN-13: 9783037771136
24.05.2012