Die SVP-Anhängerschaft hielt sich konsequent an die Parteilinie
Sowohl bei der Ausschaffungs- als auch bei der Steuergerechtigkeits-Initiative hielten sich vor allem die SVP-Sympathisanten konsequent an die Parteilinie. Die Befürwortenden der Ausschaffungs-Initiative waren zwar nicht restlos davon überzeugt, jedoch der Ansicht, nur sie führe zu einer konsequenten Ausschaffungspolitik. Ein Drittel derer, die sich eine Ablehnung beider Vorlagen wünschten, stimmte taktisch ab, wie die VOX-Analyse der Universität Bern zeigt.
Das Schweizer Stimmvolk hatte am 28. November 2010 über drei Vorlagen zu befinden – über die Ausschaffungs-Initiative der SVP, den Gegenentwurf der Bundesversammlung und die Steuergerechtigkeits-Initiative der SP. Das Ergebnis dieses eidgenössischen Urnengangs war historisch: Erstmals wurde eine Initiative im Bereich der Ausländerpolitik angenommen. Wie die VOX-Analyse, eine repräsentative Bevölkerungsbefragung im Nachgang zu eidgenössischen Abstimmungen, zeigte, ist der Erfolg der Ausschaffungs-Initiative einerseits der konsequenten Unterstützung durch die SVP-Sympathisantinnen und -Sympathisanten zuzuschreiben; 98 Prozent von ihnen legten ein Ja ein. Andererseits fand das Begehren auch Zuspruch in bürgerlichen Kreisen. Jeder zweite Stimmende aus den Reihen der FDP (51%) nahm die Vorlage an. Und auch eine starke Minderheit der CVP-Anhängerschaft (37%) sprach sich zugunsten des Begehrens aus. Die Wählerinnen und Wähler der SP verwarfen die Initiative hingegen wuchtig (88%).
Keine geschlossene Unterstützung des Gegenentwurfs bei Anhängern der FDP und CVP
Während die SVP-Anhängerschaft geschlossen hinter ihrer Initiative stand, unterstützten die CVP- und FDP-Anhänger den Gegenentwurf nur halbherzig. Zwar nahmen etwa zwei Drittel von ihnen (CVP: 63%; FDP: 64%) die Vorlage an, doch waren dies insgesamt zu wenige, da die SVP-Wähler den Gegenentwurf massiv ablehnten (94%). Die SP-Anhängerinnen und -Anhänger waren ähnlich stark gespalten wie ihre Parteispitze – die eine Hälfte stimmte Ja, die andere legte ein Nein ein.
Viele Ablehnende beider Vorlagen stimmten dem Gegenentwurf zu
Taktische Erwägungen waren bei dieser Abstimmung von hoher Bedeutung – insbesondere bei jenen, die den Status quo befürworteten. Angesichts der für die SVP-Initiative positiven Vorumfragen entschloss sich etwa ein Drittel von ihnen (32%), dem Gegenentwurf zuzustimmen. Bei der letztlich bedeutungslosen Stichfrage gab kaum einer der Doppel-Nein-Stimmenden der Initiative den Vorzug. Die grosse Mehrheit von ihnen (72%) favorisierte den Gegenentwurf, 24 Prozent legten leer ein. Somit hatte der Gegenentwurf bei der Stichfrage mit Ausnahme der wohl aus Überzeugung leer Stimmenden die Unterstützung fast aller Doppel-Nein-Stimmenden erhalten.
Nicht ohne Schwächen – aber für viele die einzig konsequente Lösung
Zwei Argumente, welche die Initiative unterstützten, polarisierten stark: einerseits das Argument, wonach die konsequente Ausschaffung straffälliger Ausländer Sicherheit schaffe, und andererseits dasjenige, wonach einzig die Initiative – nicht aber der Gegenvorschlag – zu konsequenten Ausschaffungen führe. Die Ansichten zu diesen beiden Aussagen gingen zwischen der Initiativ-Befürworterschaft und der Initiativ-Gegnerschaft weit auseinander. Weniger stark waren die Differenzen bei den Kontra-Argumenten zur Initiative: Selbst eine Mehrheit derjenigen, die Ja zur Initiative und gleichzeitig Nein zum Gegenentwurf stimmten (52%), war der Ansicht, die Initiative verspreche mehr als sie umsetzen könne. Immerhin 36 Prozent dieser Personen hielten zudem die Definition der zur Ausweisung führenden Straftatbestände in der Initiative für willkürlich. Das heisst: Ein erheblicher Teil der Initiativ-Befürworterinnen und -Befürworter war nicht restlos überzeugt von der SVP-Initiative, stimmte ihr jedoch trotzdem zu.
Starker Links-Rechts-Gegensatz bei der Steuergerechtigkeits-Initiative
Der Entscheid zur Steuergerechtigkeits-Initiative war stark vom Links-Rechts-Gegensatz geprägt. Linke Stimmbürgerinnen und Stimmbürger nahmen sie deutlich an, rechte Wählerinnen und Wähler, aber auch solche, die sich der Mitte angehörig fühlen, lehnten sie grossmehrheitlich ab. Ordnungspolitische Haltungen spielten ebenfalls eine Rolle beim Entscheid, wie auch die Einstellung zur Kompetenzregelung zwischen Bund und Kantonen. Von geringer Bedeutung war jedoch das Haushaltseinkommen: Stimmberechtigte aus tiefen Einkommensschichten nahmen die Vorlage nicht wesentlich stärker an als solche aus hohen Einkommensschichten. Die Initiative scheiterte, weil sie die Steuerhoheit der Kantone und Gemeinden einschränken wollte, und weil ein beträchtlicher Teil der Nein-Stimmenden eine höhere Steuerbelastung befürchtete, sollte die Initiative angenommen werden. Ein Teil der Nein-Stimmenden war zudem schlecht über den Vorlageninhalt informiert und hielt aus diesem Grund am Status quo fest.
Zunehmend kritisches Stimmverhalten gegenüber Ausländern und Behörden
Eine zusätzliche Auswertung – neben der aktuellen VOX-Analyse – des Stimmverhaltens bei ausländerpolitischen Volksabstimmungen seit Anfang der 1990er Jahre anhand von VOX-Umfragedaten macht deutlich: Vor allem linke Bürgerinnen und Bürger, die für eine weltoffene Schweiz sind, stimmen am ausländerfreundlichsten, während rechte und traditionsbewusste Bürgerinnen und Bürger gegenüber Migrantinnen und Migranten besonders kritisch eingestellt sind. Zudem stimmen Frauen und Personen mit hoher formaler Schulbildung besonders stark für Ausländeranliegen. Generell hat in den letzten Jahren die Erfolgsrate von Volksinitiativen im Allgemeinen zugenommen, und im Speziellen die Unterstützung der Behörden bei ausländerpolitischen Abstimmungen stark abgenommen.
Kein grosser Meinungsumschwung bei der Ausschaffungs-Initiative
Erst zum dritten Mal konnte die Meinungsbildung und ihr Einfluss auf die Stimmabsichten bei Initiative und Gegenvorschlag nach neuem Recht untersucht werden. Die Analyse des Meinungsbildungsprozesses zeigte, dass nur bei den FDP-Anhängern, und beschränkt auch bei CVP-Sympathisanten, die Zustimmungsbereitschaft zum Gegenentwurf im Verlauf des Abstimmungskampfes erhöht wurde. Umgekehrt verringerte sich nur bei den SP-Anhängern die Zustimmung zur Ausschaffungs-Initiative mit Fortlauf der Kampagne konstant. Im Ergebnis gelang es nicht, einen namhaften Meinungsumschwung gegenüber der Ausschaffungs-Initiative einzuleiten, wie dies bei der Steuergerechtigkeits-Initiative exemplarisch der Fall war.
24.01.2011