Wie Cannabinoide und Valium im Gehirn zusammenspielen
Berner Forschende haben entdeckt, dass körpereigene Cannabinoide mit Medikamenten wie Valium im Hirn interagieren. Dieser neu entdeckte Mechanismus könnte eine Grundlage sein für die Therapie von neurologischen Störungen wie Angstzuständen, Schlaflosigkeit oder Hyperaktivität.
Im menschlichen Gehirn lösen körpereigene Substanzen komplexe neurochemische Prozesse aus, die unsere Wahrnehmung und unser Verhalten beeinflussen. Zu diesen Stoffen gehören die Endocannabinoide, das sogenannte «körpereigene Haschisch». Sie aktivieren spezifische Cannabinoid-Rezeptoren und können unter anderem schmerzstillend wirken.
Sie besetzen aber auch «fremdes Territorium», indem sie andere als die «eigenen» Rezeptoren aktivieren. Dies haben Prof. Erwin Sigel und Prof. Jürg Gertsch vom Institut für Biochemie und Molekularer Medizin der Universität Bern in Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland und England herausgefunden. Sie untersuchten das Hauptendocannabinoid 2-AG und entdeckten, dass dieses Rezeptoren beeinflusst, die unsere mentale und physische Aktivität verringern. Mit anderen Worten: Das Cannabinoid unterstüzt bremsendes Verhalten - wirkt also sedierend. Dies könnte ein entscheidender Mechanismus bei der Behandlung von Schlafstörungen und Angstzuständen sein. Die Studie wurde nun in den «Proceedings of the National Academy of Sciences» publiziert.
Neue Bindungsstelle identifiziert
Auf Nervenzellen, die unsere Aktivität verringern und unter anderem unseren Schlaf steuern, befinden sich sogenannte GABAA-Rezeptoren. Sie werden benötigt, damit beispielsweise das Schlafmittel Valium seine Wirkung entfalten kann. Sowohl die GABAA- als auch Cannabinoid-Rezeptoren sind weitverbreitet im Gehirn und beeinflussen das Schmerzempfinden, den Schlaf und das Bewegungsverhalten. Wie dies genau geschieht, war aber bisher unklar. Bekannt war nur, dass die körpereigenen Cannabinoide im Hirn die GABAA-Rezeptoren indirekt «ausschalten» können, indem sie deren Botenstoff blockieren: Dadurch wirken sie auf indirekte Weise stimulierend, zum Beispiel schlafstörend. Nun haben Erwin Sigel und Jürg Gertsch erstmals zeigen können, dass Cannabinoide auch direkt auf den GABAA-Rezeptoren «andocken» können - und dass sie dort aber nicht stimulierend, sondern beruhigend wirken.
Mittels molekularbiologischer Methoden haben die Forschenden eine neue funktionelle Bindungsstelle für das Hauptendocannabinoid 2-AG auf dem GABAA-Rezeptor identifiziert. Wird diese Bindungsstelle durch 2-AG besetzt, reagiert der GABAA-Rezeptor stärker. Eine Verstärkung der GABAA-Rezeptorfunktion wirkt beruhigend, angstlösend und muskelrelaxierend. Auf dem Rezeptor konnten ferner Synergie-Effekte zwischen dem 2-AG und Valium sowie anderen Substanzen gemessen werden. Endocannabinoide unterstützen also auch Valium, das ebenfalls auf den GABAA-Rezeptoren «andockt».
2-AG wird ausserdem im Hirn für den Stoffwechselvorgang der Arachidonsäure benötigt und steht so in einem Zusammenhang mit entzündlichen Krankheiten. Gemäss Gertsch sind die Wirkungen von 2-AG im Hirn noch weitgehend unerforscht. Der neu entdeckte Mechanismus auf den GABAA-Rezeptoren bildet nun die Grundlage für weitere Studien: «Wir wollen Wirkstoffe für diese Bindungsstelle entwickeln und prüfen, ob diese bei neurologischen Erkrankungen wie Angstzuständen, Formen der Schlaflosigkeit oder Hyperaktivität einen therapeutischen Effekt auslösen können», sagt Gertsch.
Quellenangabe:
Erwin Sigel, Roland Baur, Ildiko Rácz, Janine Marazzi, Trevor G. Smart, Andreas Zimmer, and Jürg Gertsch: The major central endocannabinoid directly acts at GABAA receptors, PNAS Early Edition, 24. Oktober 2011, doi/10.1073/pnas.1113444108
27.10.2011