Media Relations

Wahlkampf online: Je provozierender, desto präsenter

Der Wahlerfolg von politischen Parteien hängt mitentscheidend von der Präsenz in den Medien ab. «Chronik-ON», ein Monitoring-Projekt des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Bern, untersucht die Wahlberichterstattung in den Online-Medien der Schweiz.

Das Projekt «Chronik-ON» des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Bern analysiert unter der Leitung von Dr. Marc Bühlmann die Online-Berichterstattung in elektronischen Print- und sozialen Medien. Chronik-ON ist ein gemeinschaftliches Projekt der Berner Politologen in Zusammenarbeit mit den beiden Anbietern von elektronischem Informations-Management «Eurospider» und «Adwired». Erste Resultate zeigen, dass sich der Wahlkampf in den Online-Medien nur gering von jenem in den klassischen Printmedien unterscheidet. Provokative Wahlkampfpropaganda dürfte aber im Web noch rascher Verbreitung finden als in den Printmedien.

Mit Chronik-ON werden seit Anfang Juni sogenannte RSS-Feeds (Really Simple Syndication) von über 60 Schweizer Online-Print- und sozialen Medien aus drei Sprachregionen gesammelt. RSS-Feeds liefern ähnlich wie ein Nachrichtenticker Titel und kurze Textanrisse sowie Links zu Originalartikeln. Diese Kurztextangebote werden von Chronik-ON auf Parteinennungen und sechs zentrale Wahlkampfthemen (EU, Migration, Energie und Umweltschutz, Verkehr, Steuern und Abgaben sowie Sozialwerke) untersucht. Seit Juni 2011 enthalten durchschnittlich etwa 7 Prozent der rund 8000 erstellten RSS-Feeds täglich Nennungen einer Nationalratspartei oder eines Wahlkampfthemas – Tendenz steigend. Daraus lässt sich die Häufigkeit der Berichterstattung über die einzelnen Parteien ableiten. Chronik-ON zeichnet auch die Konjunktur der Wahlkampfthemen nach.

Drei Muster der Berichterstattung

Die Auswertung der gesammelten Feeds von Ende Juni 2011 bis Mitte September (Kalenderwochen 24 bis 36) verdeutlicht den Trend zu stärkerer Parteiberichterstattung. Die Analyse bringt insbesondere drei erfolgreiche Muster der Berichterstattung zu Tage: Erstens wird häufig über Parteihandlungen berichtet, wobei die Parteien die mediale Aufmerksamkeit mitbeeinflussen können. Ein solches Parteiereignis kann ein Wahlfest, ein Bundesratsrücktritt oder die Einreichung einer Initiative sein. Die Rücktrittserklärung von Micheline Calmy-Rey sowie die Einreichung der Cleantech-Initiative bescherte beispielsweise der SP in Kalenderwoche 36 hohe mediale Aufmerksamkeit.

Zweitens steigern Auftritte von Parteiexponenten wie Bundesräte oder Parteipräsidenten die mediale Aufmerksamkeit. Ob die Aushängeschilder dabei überlegt vorgehen oder sich eher ungeschickt verhalten spielt für die Medienpräsenz vorderhand keine Rolle. Die Ergebnisse von Chronik-ON zeigen beispielsweise eine überraschend hohe onlinemediale Präsenz des Freisinns, welche grösstenteils Fulvio Pelli zu verdanken ist.

Eine besondere Herausforderung ist drittens das Erzeugen von Ereignissen, die sich über längere Zeit in den Medien halten und Reaktionen von anderen politischen Akteuren provozieren. Letztere kommen einer Multiplikation des Medienechos gleich, von der insbesondere die provozierende Partei profitiert: Ohne ihr Zutun wird über sie berichtet. Auch Negativberichterstattung verhilft zu Medienaufmerksamkeit und mobilisiert – so das Kalkül – mindestens die eigene Wählerschaft.

Die SVP dominiert die Berichterstattung auch in den Online-Medien

Die Schweizer Parteien sind in allen drei Mustern unterschiedlich erfolgreich. Während kleinere Parteien kaum eigene Medienereignisse produzieren können, deckt die SVP alle drei Muster ab. Durch sehr rasche Reaktionen auf aktuelle Geschehnisse und provokative Zuspitzungen erreicht die Partei Reaktionen von allen Seiten. Zwar haben auch die SP und die FDP Strategien entwickelt, um in den Medien präsent zu sein, jedoch gelingt ihnen dies nicht im selben Ausmass wie der SVP. Die methodische Beschränkung auf RSS-Feeds muss bei der Beurteilung der Analysen jedoch berücksichtigt werden: «Nicht ganze Artikel und deren Inhalte werden betrachtet, sondern nur die Kurzzusammenfassungen», erklärt Marc Bühlmann. «Online-Medien fungieren dabei als doppelte Gatekeeper, indem sie nicht nur den Nachrichteninhalt bestimmen, sondern darüber entscheiden, welche News an die Abonnentinnen und Abonnenten ihrer Feeds gelangen.»

28.09.2011