Biologische Invasionen – Belastung für künftige Generationen
Die Folgen der Globalisierung zeigen sich bei biologischen Invasionen erst Jahrzehnte später. Ein internationales Forscherteam mit Berner Beteiligung hat herausgefunden, dass sich die sozioökonomische Aktivität eines Landes zeitlich stark verzögert auf die Etablierung gebietsfremder Tier- und Pflanzenarten auswirkt.
Die Langzeitwirkungen von nicht-einheimischen Tier- und Pflanzenarten auf die biologische Vielfalt und die Wirtschaft könnten grösser sein als bisher angenommen. Dies schliesst ein internationales Forscherteam mit Beteiligung des Instituts für Ökologie und Evolution der Universität Bern aus dem Vergleich von Daten über invasive Arten mit der sozialen und ökonomischen Entwicklung in Europa. Angaben zu Bevölkerungsdichte, Bruttoinlandprodukt und Exportquote von 28 Ländern aus dem Jahr 1900 waren für die Vorhersage, ob sich fremde Arten invasionsartig ausbreiten, aussagekräftiger als dieselben Daten von 2000. Dabei waren die meisten der problematischen Arten in Europa erst nach 1950 eingeführt worden. Offenbar werden die ökologischen Folgen der Globalisierung – ähnlich wie beim Klimawandel – erst ein Jahrhundert später deutlich. Die Studie, die auf Auswertungen aus der Online-Datenbank DAISIE über gebietsfremde Tier- und Pflanzenarten in Europa basiert, erscheint nun in der Fachzeitschrift «Proceedings of the National Academy of Sciences».
Zukünftige Probleme sind vorprogrammiert
Der Entwicklungsgrad eines Landes beeinflusst nicht nur, wie stark gebietsfremde Arten durch den Welthandel in das Land kommen, sondern auch, wie stark sie sich dort vermehren können. Strassen, zerstörte oder zerschnittene Lebensräume sowie die Intensivierung der Landwirtschaft fördern die Etablierung und Ausbreitung invasiver Arten. Und ausserdem, so zeigt die neue Studie, spielt die Zeit eine Rolle: «Der jetzige Wohlstand ermöglicht den Güteraustausch mit aller Welt, der uns in den Folgejahren eine grosse Zahl nicht-einheimischer und invasiver Arten bringt. Diese brauchen dann meist ein paar Jahrzehnte, um sich zu etablieren und um Schaden anzurichten», erklärt Professor Wolfgang Nentwig vom Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern. Er war an der Sammlung, Auswertung und Interpretation der Daten beteiligt. Gemäss dem Berner Biologen bestimmen wir also heute die Folgekosten, die durch invasive Arten womöglich erst in 50 oder 100 Jahren verursacht werden und die unsere Nachkommen dann begleichen müssen.
Die neuen Erkenntnisse deuten somit darauf hin, dass das Langzeitrisiko von biologischen Invasionen bisher unterschätzt wurde. Die Strategie der EU zur Bekämpfung biologischer Invasionen sollte daher gemäss den Forschenden nicht nur Arten umfassen, die in Europa schon zum Problem geworden sind, sondern im Sinne der Früherkennung auch solche, die sich auf anderen Kontinenten bereits invasionsartig ausbreiten.
Quellenangabe:
Franz Essl, Stefan Dullinger, Wolfgang Rabitsch, Philip E. Hulme, Karl Hülber, Vojtĕch Jarošík, Ingrid Kleinbauer, Fridolin Krausmann, Ingolf Kühn, Wolfgang Nentwig, Montserrat Vilà, Piero Genovesi, Francesca Gherardi, Anne-Marie-Laure Desprez-Loustau, Alain Roques, Petr Pyšek: Socioeconomic legacy yields an invasion debt. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS), Dezember 2010, doi:10.1073/pnas.1011728108
21.12.2010