Dies academicus 2008: Das Ringen um Autonomie
Die 174. Stiftungsfeier der Universität Bern stand im Zeichen der Autonomie: Rektor Urs Würgler plädierte für die freie Grundlagenforschung, Erziehungsdirektor Bernhard Pulver sprach über strategische Vorgaben durch die Politik und der Mittelbau forderte mehr Autonomie in seinen Kernkompetenzen. Die Fakultäten verliehen sechs Ehrendoktortitel.
Die Universität Bern sei im vergangenen Jahr in der Umsetzung ihrer Strategie 2012 voran gekommen, sagte Rektor Urs Würgler in seiner Begrüssung am Dies academicus. Er strich hervor, dass der Mobilitätsgedanke zu greifen beginne: Mittlerweile haben 29 Prozent aller Masterstudierenden einen Bachelor einer anderen Universität. In der Nachwuchsförderung seien zwei wichtige Eckpfeiler eingeschlagen worden: Junge Forschende, die sich zum ersten Mal beim Schweizerischen Nationalfonds um Forschungsgelder bewerben, werden durch Mittel aus einem Innovationsfonds der Universität unterstützt. Und durch die Einrichtung von «Graduate Schools» entstehe ein geeignetes Instrument, um Doktorandenprogramme zu systematisieren. Aber: «Eine Ausweitung des Bologna-Modells auf die Doktoratsstufe lehnt die Rektorenkonferenz explizit ab», so Würgler. Dadurch würde sich die Gefahr einer schleichenden Verschulung ergeben. Der Rektor zeigte sich zudem erfreut über das zunehmende Engagement Privater. Im vergangenen Jahr konnte die Universität zum Beispiel zwei neue Stiftungsprofessuren, durch die Abegg-Stiftung und durch die Mobiliar Versicherungen, bekannt geben. Kritisch äusserte sich Würgler zu den divergierenden Auffassungen universitärer Autonomie. «Ein behördliches Mikromanagement ist nicht zielführend», betonte er. Um die vorhandenen Missverständnisse auszuräumen, müsse die Universität Bern zusammen mit der Politik über die Kernaufgaben einer Universität nachdenken. «Eine Universität darf sich nie nur mit dem unmittelbar Anwendbaren befassen», so Würgler. Die substanzielle Investition der Universität in die Zukunft der Gesellschaft bestehe in der freien und kreativen Grundlagenforschung.
Das Geleistete soll sichtbar werden
«Bern muss ein Bildungskanton sein», betonte Erziehungsdirektor Bernhard Pulver in seiner Rede. Um die beste Hochschule im Mittelland zu bleiben, müsse die Universität Bern vernetzt sein mit Gesellschaft, Politik und Wirtschaft, und sie sollte Allianzen mit den richtigen Partnern eingehen. Trotz der enger werdenden Beziehungen zur Wirtschaft müsse die Universität aber die Freiheit von Lehre und Forschung behalten, forderte der Erziehungsdirektor. Der Kanton als Träger der Universität sei jedoch dazu da, um die strategischen Vorgaben zu machen. Pulver stellte in Aussicht, das neue Universitätsgesetz gehe im ersten Halbjahr 2009 in die Vernehmlassung. Um eine starke Universität zu sein, müsse die Universität Bern aber auch als solche wahrgenommen werden. Pulver stellte fest, dass die Leistungen der Universität und ihre Kooperationen im Bereich von Wirtschafts- und Technologietransfer noch zu wenig wahrgenommen werden – besonders in der breiten Bevölkerung. «Wir brauchen mehr Visibilität des Geleisteten», wünschte er sich. Dazu biete das bevorstehende 175-Jahr-Jubiläum eine gute Gelegenheit.
Die Tradition der Teilchenphysik in Bern
In der akademischen Rede sprach Jean-Pierre Derendinger über neue Herausforderungen in der Teilchenphysik. Die Universität Bern spiele auf diesem Gebiet seit Jahrzehnten eine wichtige Rolle – eine Tradition, die 1905 mit Albert Einstein begonnen hat. «Heute ist das Institut für Theoretische Physik das stärkste in der Schweiz», lobte Derendinger. Diese Spitzenposition konnte die Universität Bern im vergangenen Jahr weiter festigen: mit dem Wechsel dreier Forschungsgruppen von der Universität Neuchâtel nach Bern und mit dem Beginn der Experimente im neuen Teilchenbeschleuniger am CERN in Genf, an denen Berner Teilchenphysiker massgeblich beteiligt sind. Durch den Teilchenbeschleuniger und seine vier Detektoren sei eine neue Physik in Sicht, so Derendinger. Erste Priorität habe die Suche nach dem Higgs-Teilchen, einem Kleinstteilchen, dessen Nachweis im Puzzle der Teilchenphysiker noch fehlt. «Am CERN werden wir das fehlende Teilchen entweder finden – oder beweisen, dass es nicht existiert», erklärte der Physiker.
Forderung nach mehr Autonomie
Mit einer klaren Botschaft trat Eliane Müller, Vorstandsmitglied der Mittelbauvereinigung (MVUB), vor die Festgemeinde: Der Mittelbau schaffe das optimale Umfeld, in dem der Erfolg der Universität Bern möglich sei – unter Rahmenbedingungen, die alles andere als optimal seien. Durch die prekären finanziellen Verhältnisse würden gute Mitarbeitende von der Privatwirtschaft abgeworben. Deshalb forderte Müller «eine flexiblere Personalpolitik, damit wir die besten Angestellten behalten können». Müller verlangte von der Universitätsleitung und der Politik, dem Mittelbau in dessen Kernkompetenzen mehr Autonomie zu gewähren und versprach als Gegenleistung hohe Qualität, etwa im Bereich des Technologietransfers.
Britischer Bestsellerautor wird Ehrendoktor
Die Fakultäten verliehen in diesem Jahr sechs Ehrendoktortitel: Die Philosophisch-historische Fakultät würdigte David John Moore Cornwell alias John le Carré. Der ehemalige britische Geheimagent und Verfasser zahlreicher Spionageromane hat in den Jahren 1948/49 an der Universität Bern deutsche Literatur studiert. Die Theologische Fakultät ehrte mit Hans Rudolf Lavater einen Experten für Kirchengeschichte und den ersten Nichttäufer im Vorstand des Schweizerischen Vereins für Täufergeschichte. Jean-Daniel Gerber, der seit vier Jahren als Staatssekretär und Direktor des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) amtet und der innovative Wege in der Flüchtlingspolitik eingeschlagen hat, erhielt von der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät die Würde eines Ehrendoktors. Die Medizinische Fakultät zeichnete Erich Gygax aus, der seit acht Jahren das Team der Kardiotechniker am Inselspital in Bern leitet. Die Philosophisch-humanwissenschaftliche Fakultät ehrte ein Vorbild an Humanität und Weltoffenheit: Arthur T. Bill hat sich zeit seines Lebens für Menschen in Not, die internationale Verständigung und die Friedenssicherung eingesetzt. Die Klimaforscherin Vera Markgraf, die in Bern studiert und doktoriert hat und heute in den USA lebt, hat viel zur richtigen Einschätzung des globalen Klimawandels beigetragen. Sie erhielt von der Philosophisch-naturwissenschaftlichen Fakultät die Würde einer Ehrendoktorin.
Kämpfer gegen Parasiten erhält den Theodor-Kocher-Preis
Der Theodor-Kocher-Preis geht dieses Jahr an den Zellbiologen Pascal Mäser. Der Preis, mit dem die Universität im Geiste des Nobelpreisträgers von 1909 ihre besten Nachwuchsforschenden auszeichnet, ist mit 50'000 Franken dotiert. Mäser beschäftigte sich bereits in seiner Diplomarbeit am Schweizerischen Tropeninstitut mit afrikanischen Trypanosomen; zu diesen Parasiten gehören etwa die Erreger der Schlafkrankheit. Mit seiner Doktorarbeit leistete er einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung der molekularen Mechanismen der Arzneimittelresistenz bei Trypanosomen. Nach einem dreijährigen Forschungsaufenthalt in den USA erhielt Mäser eine Förderprofessur vom Schweizerischen Nationalfonds und fand an der Universität Bern das ideale Umfeld, um auf dem Gebiet der molekularen Parasitologie zu forschen. Seit 2003 untersucht er mit seiner Arbeitsgruppe wieder afrikanische Trypanosomen und seit kurzem auch parasitäre Fadenwürmer.
Hans-Sigrist-Preis für deutschen Theologen
Die bedeutendste Auszeichnung der Universität Bern, der mit 100'000 Franken dotierte Hans-Sigrist-Preis, wird heuer dem Theologen Andreas Feldtkeller verliehen. Der gebürtige Münchner bekommt den Preis in Anerkennung seiner Forschungsarbeiten im Bereich des diesjährigen Preisgebietes: «Religionen – Wahrheitsansprüche – Konflikte – Theologien: Theoretische Perspektiven». Mit seiner Forschung, die antike Religionsgeschichte mit aktuellen Konstellationen und Konflikten zwischen Religionen und Theologien im Nahen Osten verbindet, will er ein friedliches Zusammenleben der Religionen fördern. Feldtkeller ist seit 1999 Professor für Religions- und Missionswissenschaft sowie Ökumenik an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Haller-Medaille und Best Teaching Award
Auf Antrag der Vetsuisse-Fakultät wird Mireille Meylan die Haller-Medaille verliehen. Sie erhält die Auszeichnung in Anerkennung ihrer ausserordentlichen klinisch-akademischen Leistungen im Bereich der Rinderkrankheiten und ihres Engagements in der klinischen Ausbildung der Studierenden der Veterinärmedizin. Meylan erforscht Magen-Darm-Erkrankungen beim Rind, welche durch eine Dysfunktion der Motorik hervorgerufen werden. Sie ist seit 2003 stellvertretende Leiterin der Wiederkäuerklinik der Vetsuisse-Fakultät Bern.
Der Credit Suisse Award for Best Teaching geht 2008 an den Geografen und Klimaforscher Jürg Luterbacher.
Der Preisträger, der im Bereich der Klimarekonstruktion zu den
international renommiertesten Forschern der Gegenwart gehört,
begeisterte die Studierenden mit seiner wissenschaftlichen Suche nach
den klimatischen Veränderungen der Erde.
06.12.2008