Eiskern-Bohrprojekt erhält den Descartes Preis der Europäischen Union
Das «European Project for Ice Coring in Antarctica» (EPICA) mit Berner Beteiligung ist einer der diesjährigen Gewinner des Descartes Wissenschaftspreises der Europäischen Union. Der mit 2.18 Millionen Franken dotierte Descartes Preis wird jedes Jahr an bis zu vier europäische Teams für das beste transnationale Forschungsprojekt vergeben.
Mit dem EPICA-Projekt gelang es 12 Partnern aus 10 europäischen Ländern, bahnbrechende Klimadaten der Vergangenheit aus zwei Eiskernen der Antarktis zu gewinnen, die für die Diskussion des derzeitigen Klimawandels von grösster Bedeutung sind. Das Physikalische Institut und das «Oeschger Centre für Klimaforschung» der Universität Bern waren massgeblich an diesem Projekt beteiligt. Anhand eines EPICA-Eisbohrkerns konnten erstmals Temperaturen und die Zusammensetzung der Atmosphäre über die letzten 800'000 Jahre rekonstruiert werden, zweimal weiter zurück als in früheren Untersuchungen.
«Dank unseren Messungen an EPICA-Eis wissen wir, dass die heutige Konzentration von CO2 rund 28 Prozent höher ist und etwa 100 Mal schneller ansteigt als je zuvor in den letzten 650'000 Jahren. Diese Resultate haben im neusten UNO-Klimabericht sowie im Klimafilm von Al Gore Eingang gefunden», sagt Prof. Thomas Stocker von der Abteilung für Klima- und Umweltphysik der Universität Bern. Am zweiten EPICA-Eisbohrkern konnte darüber hinaus bewiesen werden, dass Temperaturänderungen in der letzten Eiszeit eng mit abrupten Klimaschwankungen im Nordatlantikraum verknüpft waren.
Klimageschichte im ewigen Eis
Die Ergebnisse des EPICA-Projekts fassen die über 10-jährigen Arbeiten der EPICA-Wissenschaftler aus 10 europäischen Ländern (Belgien, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Grossbritannien, Italien, die Niederlande, Norwegen, Schweden und die Schweiz) auf verschiedensten Gebieten der Eisbohrkernforschung und der Glaziologie zusammen.
Anhand der EPICA-Eisbohrkerne konnte die Konzentration der drei wichtigsten Treibhausgase der Luft, die Temperatur- und Niederschlagsrate, die Aerosolzusammensetzung der Atmosphäre, die Aktivität der Sonne sowie der Fluss von extraterrestrischem Staub auf die Erde in der Vergangenheit gemessen werden. Dazu mussten über mehrere Jahre zwei tiefe Eisbohrungen durch den über 3’000 Meter dicke ostantarktischen Eisschild gebohrt werden. Im Anschluss wurden die Eiskerne und Proben in gefrorenem Zustand nach Europa verschifft und in den verschiedenen europäischen Labors untersucht.
Universität Bern ist langjährige Partnerin
«EPICA war für unsere Abteilung das wichtigste langfristige Projekt der letzten 10 Jahre», sagt Prof. Thomas Stocker von der Abteilung für Klima- und Umweltphysik und vom «Oeschger Centre für Klimaforschung der Universität Bern». Nur in enger Zusammenarbeit aller europäischen Eisbohrkern-Arbeitsgruppen sei es überhaupt möglich gewesen, solch ein Grossprojekt erfolgreich zu meistern, erklärt Dr. Hubertus Fischer vom Alfred Wegener Institut in Bremerhaven, der den EPICA-Antrag für den Descartes Preis koordinierte; im Mai 2008 wird Fischer die neue Professur für Experimentelle Klimaphysik an der Universität Bern antreten. «Mit dem Descartes Preis können wir diese Vernetzung und europäische Zusammenarbeit noch weiter ausbauen», freut sich Fischer.
Eisbohrkernforschung an der Universität Bern
Die Abteilung für Klima- und Umweltphysik des Physikalischen Instituts der Universität Bern nimmt seit Beginn eine Schlüsselstellung im Projekt EPICA ein. Die schweizerische Beteiligung an EPICA wurde durch Beiträge des Schweizerischen Nationalfonds und des Kantons Bern ermöglicht. Der schweizerische Beitrag an EPICA wurde von Prof. em. Bernhard Stauffer aufgebaut und steht heute unter der Leitung von Prof. Thomas Stocker und Dr. Jakob Schwander.
Die vielfältigen wissenschaftlichen, mechanischen und logistischen Aufgaben werden vom ganzen Berner Team durchgeführt. Tiefbohrungen in Grönland und der Antarktis gehören seit Mitte der 60er Jahre, als Prof. Hans Oeschger (1927-1998) die Abteilung für Klima- und Umweltphysik gründete, zu den Spezialitäten des Physikalischen Instituts. Das «Oeschger Centre für Klimaforschung» ist das Kompetenzzentrum der Universität Bern für Klimaforschung. Es forscht disziplinär und interdisziplinär und bildet junge Forschende aus. An der «Graduate School of Climate Sciences» wird ein spezialisierter, international ausgerichteter, Master-Studiengang in Klimawissenschaften angeboten.
12.03.2008