Mückenfledermaus: Eine bedrohte Art verbirgt sich hinter einer häufigen
Eine neue Studie über die beiden kleinsten
einheimischen Fledermausarten zeigt, dass die Mückenfledermaus im
Vergleich zu ihrer Schwesterart, der Zwergfledermaus, in der Schweiz
sehr selten auftritt – nämlich rund 40 Mal weniger. Bis vor kurzem
wurde die Mückenfledermaus mit der sehr ähnlich aussehenden
Zwergfledermaus verwechselt. Laut einer Untersuchung der Abteilung
Conservation Biology der Universität Bern muss die Mückenfledermaus in
der Schweiz besonders geschützt werden.
Wissenschaftliche Grundlagen bilden die Basis für
Schutzbestimmungen von Tier- und Pflanzenarten. Was aber, wenn diese
Grundlagen von neuen Erkenntnissen in der Wissenschaft auf den Kopf
gestellt werden? Dies kann zum Beispiel geschehen, wenn die
Wissenschaft während Jahrhunderten übersehen hat, dass eine Art in
Wirklichkeit aus zwei kryptischen Arten besteht. Kryptisch bedeutet,
dass die Tiere für das menschliche Auge kaum zu unterscheiden sind.
Genau dies geschah bei den beiden kleinsten Fledermausarten der
Schweiz. Eine aktuelle Studie der Universität Bern zeigt, wie sich die
beiden Arten in der Schweiz verhalten.
Systematische Suche nach der kleinsten Fledermaus
Erst Mitte der 1990er Jahre konnte mittels genetischer Analysen in Grossbritannien aufgezeigt werden, dass es sich bei den Zwergfledermäusen mit unterschiedlichen Rufen in Wahrheit um zwei verschiedene Arten handelt: die eigentliche Zwergfledermaus und die Mückenfledermaus. Die Mückenfledermaus wurde seither auch in der Schweiz nachgewiesen, womit sich die Frage stellte, zu welcher Art die in der Schweiz vormals als «Zwergfledermäuse» identifizierten Tiere gehören. Eine Studie der Uni Bern, die von Thomas Sattler und seinen Kollegen unter der Leitung von Professor Raphaël Arlettaz erarbeitet wurde und soeben im wegweisenden «Journal of Applied Ecology» erschienen ist, liefert jetzt neue Erkenntnisse zu Häufigkeit und Verbreitung beider Arten.
Mittels Ultraschall-Detektoren wurde die Schweiz systematisch nach Fledermäusen abgehört. Die Resultate zeigen, dass die Mückenfledermaus viel seltener ist als die Zwergfledermaus – auf vierzig Zwergfledermäuse kommt gemäss dieser Studie im Durchschnitt rund eine Mückenfledermaus. Dabei gibt es jedoch grosse regionale Unterschiede: Die Mückenfledermaus tritt in Genf und in den bündnerischen Rheintälern regelmässig auf, in anderen Regionen wie dem Wallis und dem Jura fehlt sie vollständig.
Gewässer, offene Wälder und Gebäudespalten
Der Mückenfledermaus behagt es am besten, wenn die drei Habitattypen offener Wald, Gewässer und Siedlungsgebiet in erreichbarer Distanz (rund 1 km) vorkommen. Während ihrer nächtlichen Jagd benötigen sie lockere Auenwälder entlang von breiten Flüssen und Seen um ihre Nahrung – kleine Mücken und Fliegen – zu erhaschen. Die Zwergfledermaus sucht ähnliche Lebensräume, ist jedoch im Gegensatz zu ihrer Schwesterart weniger anspruchsvoll und besiedelt auch nicht optimale Lebensräume, beispielsweise abseits von Gewässern. Tagsüber suchen beide Arten gerne in Spalten an Dächern oder in Storenkästen Unterschlupf. Ende Mai und im Juni beziehen die Winzlinge ihre Quartiere in menschlicher Nähe, wo sie ihre Jungen zur Welt bringen.
Die Mückenfledermaus braucht spezielle Aufmerksamkeit
Fledermäuse sind in der Schweiz bundesrechtlich geschützt und ihre Schlafquartiere dürfen nicht beeinträchtigt werden. Gemäss den Autoren der Studie benötigt die Mückenfledermaus im Gegensatz zur Zwergfledermaus, die in fast jedem Dorf Junge aufzieht, speziellen Schutz. Die Populationen sollten mit einem Monitoringprogramm überwacht werden. Die Koordinationstellen für Fledermausschutz in Zürich und Genf haben diese Aufforderung aufgenommen und bereits erste Schritte eingeleitet. Dazu benötigt sie die Unterstützung der Bevölkerung, die die Fledermäuse in den Gebäudespalten und unter dem Dach gewähren lässt, und eine kontinuierliche finanzielle Unterstützung.
Die kleinste der 30 Fledermausarten in der Schweiz
In der Schweiz leben heute 30 verschiedene Fledermausarten. Das
Spektrum reicht dabei vom seltenen Riesenabendsegler, der mit
ausgebreiteten Flügeln 50 cm Spannweite erreicht, bis zur winzigen
Mückenfledermaus, deren Körper ein Pelzbällchen von nur gerade 4 cm
Länge ist. Je nach Fledermausart werden Baumhöhlen, Spaltquartiere in
Felsen, unter Rinden oder in Gebäuden sowie ungestörte Räume in Höhlen
und Estrichen als Tagesquartiere genutzt. Mückenfledermäuse beziehen
Quartier in Spaltverstecken. In der Dämmerung fliegen sie zur
Insektenjagd aus. Sie fliegen dabei mehrere Kilometer weit zu ihren
Jagdgebieten, wo sie eine Unmenge an Insekten vertilgen. Gelegentlich
kann man Zwerg- oder Mückenfledermäuse im Schein von Strassenlampen
oder nahe an Gebüschen sowie unter überhängenden Zweigen von grossen
Bäumen an Gewässerufern, Waldrändern und in Parkanlagen jagen sehen.
Viele Fledermausarten in der Schweiz sind vom Aussterben bedroht, alle
Arten sind deshalb bundesrechtlich geschützt.
Quelle: Thomas Sattler, Fabio Bontadina, Alexandre H. Hirzel and
Raphaël Arlettaz (2007). Ecological niche modelling of two cryptic bat
species calls for a reassessment of their conservation status. Journal
of Applied Ecology. doi: 10.1111/j.1365-2664.2007.01328.x
05.06.2007