Bakterien testen ihre «Fitness» an Medikamenten
Erreger von Lungenentzündungen reagieren unterschiedlich auf Penicillin und testen damit ihre bestmögliche Resistenz gegen das Arzneimittel. Die Berner Infektiologinnen Kathrin Mühlemann und Brigitte Morand sind diesen «Fitnesstests» in Bakterienstämmen auf der Spur. Die Studie wird heute in den «Proceedings of the National Academy of Sciences» publiziert.
Die Lungenentzündung ist die weltweit häufigste zum Tod führende
Infektionskrankheit. Sie wird in der Regel mit Penicillin oder
Breitbandantibiotika behandelt.Der wichtigste bakterielle Erreger, Streptococcus pneumoniae,
hat gegen Penicillin bereits seit Jahrzehnten eine Resistenz entwickelt
und diese erfolgreich über die ganze Welt verbreitet. Wie eine solche
Resistenz genau entsteht, ist erst bruchstückhaft bekannt.
Eine wichtige Rolle könnte laut Kathrin Mühlemann, Professorin am
Institut für Infektionskrankheiten der Universität Bern, die sogenannte
Heteroresistenz spielen. Bei einem heteroresistenten Bakterienstamm
sind über 90 Prozent der Bakterien zwar empfindlich gegen ein
Medikament wie Penicillin, doch ein geringer Teil der Bakterien bildet
eine resistente «Subpopulation». Dies macht solche Stämme gefährlich,
weil sie fälschlicherweise leicht als Penicillin-sensibel eingestuft
werden, die «Subpopulationen» aber überleben und zu einem späteren
Zeitpunkt erneut eine Infektion auslösen können.
Einblicke in die Evolution von Bakterien
Für die Studie haben Mühlemann und Morand Streptokokken-Stämme mit unterschiedlichen Resistenzen aus 16 Ländern – von der Schweiz bis nach Taiwan – untersucht. In sieben dieser Stämme wurden die gefährlichen «Subpopulationen» entdeckt. Diese waren genetisch identisch mit dem Rest der Bakterienpopulation, das heisst sie hatten keine zusätzlichen mutierten Gene aufgenommen.
Die Resultate ermöglichen Einblicke in die Evolution von Resistenzen: «Die Heteroresistenz erlaubt sozusagen eine Testphase – damit kann der Mikroorganismus trotz Antibiotika mit Wachstum experimentieren» erklärt Mühlemann. Die Forscherinnen vermuten, dass das Experimentieren für Bakterien von Vorteil sei, weil sie so nicht gezwungen wären, ein neues Gen aufzunehmen. Eine solche Gen-Mutation würde die Bakterien zuerst schwächen, da das neue Gen erst in ihren Stoffwechsel aufgenommen werden müsste.
Im Gegensatz dazu ermögliche die Heteroresistenz den Bakterien ein
Ausloten ohne Nachteil für ihre «Fitness»: «Es ist, als ob man einen
Anzug zum Anprobieren nach Hause nehmen könnte, ohne dafür schon
bezahlen zu müssen», beschreibt Mühlemann den Vorgang. Ein besseres
Verständnis dieser Prozesse könnte der Bekämpfung von Resistenzen bei
Krankheitserregern dienen.
Quellenangabe: Brigitte Morand and Kathrin Mühlemann,
Heteroresistance to penicillin in Strepto-coccus pneumoniae,
Proceedings of the National Academy of Sciences, Early Edition,
doi/10.1073/pnas.0702377104
16.08.2007