Länger leben dank guter Bildung?
Schweizerinnen und Schweizer mit guter Bildung leben länger als diejenigen, welche nur eine obligatorische Schulbildung besitzen. Vor allem Männer profitieren von einer höheren Bildung: sie leben bis zu sieben Jahre länger. Dies zeigt eine Studie der Institute für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM) der Universitäten Bern und Zürich.
Die Lebenserwartung von 30-jährigen Männern, welche einen universitären Abschluss haben, ist 7.1 Jahre höher als bei den Gleichaltrigen, welche nur die obligatorische Schulzeit absolviert haben. Die in dieser Woche im Swiss Medical Weekly veröffentlichte Studie im Rahmen der «Swiss National Cohort» untersuchte die Sterblichkeit der Schweizer Bevölkerung seit der Volkszählung 1990. Erstmals wurden die sozioökonomischen Unterschiede in der Lebenserwartung von Männern und Frauen in der Schweiz berechnet. Dabei wurden vier Bildungskategorien verglichen: Obligatorische Schulzeit (oder weniger), Berufslehre, höhere sekundäre Bildung (Matura, Lehrerseminar, Höhere Fachausbildungen, Technikum usw.) und universitäre Ausbildung. Im Alter von 30 Jahren ergibt sich bei der Lebenserwartung von Männern der höchsten und der tiefsten Bildungsstufe eine Differenz von 7.1 Jahren. Im Alter von 65 Jahren beträgt die Differenz noch 3.5 Jahre.
Bildung als Spiegel der allgemeinen Lebenssituation
Generell steigt die Lebenserwartung in der Schweiz kontinuierlich und gehört zu den höchsten in der ganzen Welt. Doch selbst in einem reichen Land wie der Schweiz gibt es enorme Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen besser und schlechter gebildeten Personen. «Selbstverständlich lebt niemand einfach nur dadurch länger, dass er eine bessere Bildung absolvieren konnte», meint Matthias Egger, Direktor des ISPM Bern. «Bildung umschreibt viele Aspekte des Lebens, wie zur Verfügung stehende finanzielle Mittel, soziales und berufliches Umfeld, Wissen und Umgang mit Risiken und dem Gesundheitswesen».
Die Forscher sehen die grossen Unterschiede in der Lebenserwartung denn auch als Ausdruck sozialer Ungleichheit: Wer bessere Voraussetzungen und Chancen hat, eine höhere Ausbildung zu besuchen, wird in vielen Bereichen des täglichen Lebens bevorteilt – und lebt schliesslich länger.
Unterschied bezüglich Geschlecht grösser als bezüglich Bildung
Die Studie zeigt bei den Frauen grundsätzlich die gleichen Tendenzen: Wer eine bessere Bildung geniessen konnte, hat eine höhere Lebenserwartung. Der Unterschied zwischen den Frauen mit einer universitären Ausbildung und denjenigen mit nur obligatorischer Schulbildung ist aber geringer als bei den Männern: Im Alter von 30 Jahren beträgt die Lebenserwartung 3.6, im Alter von 65 Jahren 2.7 Jahre. Der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Männern und Frauen bleibt damit bedeutender als zwischen verschiedenen Bildungsabschlüssen: Im Alter von 30 Jahren ist die verbleibende Lebenserwartung von Männern mit universitärer Bildung immer noch etwas kleiner als diejenige von Frauen mit nur obligatorischer Schulbildung.
Besonders interessant werden die unterschiedlichen Lebenserwartungen bei der Diskussion um die Chancengleichheit beim Zugang zu Bildung. Sie sollten aber auch, so die Meinung der Forschenden, in der Debatte um unterschiedliche Rentenalter berücksichtigt werden. So könnte es sinnvoll sein, dass Arbeiter, welche körperlich schwere, aber bezüglich Ausbildung anspruchslosere Arbeit erledigen, gerechterweise früher in Pension gehen als Akademikerinnen und Akademiker – oder zumindest von einem höheren Rentenumwandlungssatz profitieren.
Volkszählungen als Basis
Die Swiss National Cohort (SNC) ist eine landesweite Datenplattform, mit der Zusammenhänge zwischen Gesundheit, soziodemografischen Bedingungen und individuellen Charakteristika untersucht werden. Sie besteht aus anonymisierten Informationen über die Bevölkerung, die in den Volkszählungen erfasst und mit Angaben aus der Sterbestatistik ergänzt wurden. Die SNC ermöglicht damit Längsschnitt-Analysen gesundheitspolitisch interessanter Fragestellungen, etwa dem Zusammenhang zwischen Berufsgruppen und spezifischen Todesursachen.
24.03.2006