Entwicklung der Schweizerischen Einbürgerungspolitik
Die Einbürgerungspolitik der Schweiz gilt als eine der restriktivsten in Europa. Eine Forschungsgruppe der Universität Bern hat die Aufnahmeund Ausschlusskriterien des Schweizer Bürgerrechts aus historischer Perspektive untersucht. Dabei zeigte sich, dass Einbürgerung immer auch ein Mittel zur Austragung gesellschaftlicher und politischer Interessenkonflikte war.
Zwölf Jahre muss eine Ausländerin oder ein Ausländer in der Schweiz wohnen, bevor ein Antrag auf Einbürgerung möglich ist. In der EU dauern diese Fristen zwischen vier und zehn Jahren. Ausserdem ist im Unterschied zur Schweiz in den meisten EU-Staaten eine erleichterte Einbürgerung für die zweite Ausländergeneration möglich. Als weiterer Sonderfall gilt, dass Einbürgerungsentscheide hierzulande in erster Linie auf Gemeindeebene gefällt werden. Mehr als ein Fünftel der schweizerischen Bevölkerung hat denn auch kein Schweizer Bürgerrecht und damit auf nationaler Ebene keine politischen Rechte.
Wie ist es zu dieser Situation gekommen? Eine Gruppe von Historikerinnen und Historikern der Universität Bern hat die Aufnahme- und Ausschlusskriterien des Schweizer Bürgerrechts zwischen 1874 und der Gegenwart untersucht. Diese bislang umfassendste historische Studie zur schweizerischen Einbürgerungspraxis ist Teil des Nationalen Forschungsprogramms «Integration und Ausschluss» (NFP 51). Berücksichtigt wurden die Bundes-, die Kantons- und die Gemeindeebene, wobei die Städte Basel, Bern und Genf vertieft untersucht wurden.
Erkenntnisse für die Gegenwart
Zusammenfassend lässt sich für die Einbürgerungspraxis und -diskussion in der Schweiz eine Entwicklung von liberalen Anfängen bis zum Ersten Weltkrieg über sechs zunehmend restriktive Jahrzehnte bis Ende der 70er-Jahre zu einer wieder liberaleren Gegenwart feststellen. Hinter den Einbürgerungskriterien und ihrem Wandel stehen die gesellschaftlichen Selbstbilder und Normen der Schweiz, wie Projektleiterin Brigitte Studer feststellt. Dazu zählen Anstand, Fleiss, politische Zurückhaltung und ein guter Leumund. Aufzeigen lassen sich zudem gesellschaftlich-politische Interessenkonflikte, wie die Wahrung der «Volksgesundheit» in der Zwischenkriegszeit oder die Angst vor einer Unterwanderung der Gesellschaft durch Kommunisten im Kalten Krieg.
Für Brigitte Studer und Ko-Autor Gérald Arlettaz ergeben sich aus dem Studium der Einbürgerungsdossiers und der weiteren historischen Quellen verschiedene Erkenntnisse für die Gegenwart. Vor allem die Erkenntnis, dass die von den Einbürgerungskandidaten geforderte Anpassung beziehungsweise Assimilation im letzten Jahrhundert sehr uneinheitlich, zuweilen auch willkürlich, gehandhabt wurde. Die Autoren empfehlen daher, die Einbürgerung als rechtsstaatliches Verfahren zu objektivieren: «Für ein Gesuch sollten in der ganzen Schweiz die gleichen, klaren Voraussetzungen gelten.» Denn die heutigen Praktiken gründen auf der historischen Rolle der Gemeinden und Kantone bei der Aufnahme ins Bürgerrecht. Diese Praktiken gehen auf die Alte Eidgenossenschaft zurück und entsprachen damals lokalen Verwaltungs- und Selektionsbedürfnissen der Bevölkerung. «Heute, im Zeitalter der Mobilität, sind solch partikuläre Interessen, die zu subjektiven oder gar arbiträren Entscheidungen führen können, nicht mehr adäquat,» sagt Brigitte Studer. «Die lokalen Selektionsmöglichkeiten entsprechen den Integrationsbedürfnissen der Schweiz nicht mehr.»
Ausserdem regen die Autoren an, die Entscheidungskompetenz von der Gemeinde- auf die Kantonsebene zu verlagern, so wie es heute in Genf bereits praktiziert wird, und die Wohnsitzfrist auf ein im Vergleich mit der EU «angemessenes Mass» zu reduzieren.
20.12.2006