Augenbewegungen als Schlüssel zum Gehirn
Das Thema Augenbewegungen ist heute aus Forschung und Wirtschaft nicht mehr wegzudenken. Es beschäftigt von Marketing über Verkehrssicherheit bis zur Medizin eine ganze Reihe von Fachgebieten. An der Universität Bern findet nächste Woche der 13. Europäische Kongress zum Thema Augenbewegungen statt.
Für den Kongress werden 300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt und aus verschiedensten Fachgebieten wie Psychologie, Medizin, Biologie, Informatik, Ingenieurwissenschaften sowie Luft- und Raumfahrt erwartet. Entsprechend vielfältig sind die insgesamt 273 Kongressbeiträge: etwa Studien, welche die Augenbewegungen von Kindern mit Leseschwächen mit deren Gehirnentwicklung vergleichen oder Besonderheiten bei den Augenbewegungen von Schizophreniepatienten nachweisen. Eine Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit den Möglichkeiten, von Tetraplegikern mittels Augenbewegungen Computer ansteuern zu lassen. Aus Deutschland kommt eine Studie, welche die Augenbewegungen von Flugschülern mit jenen von erfahrenen Piloten verglich, und aus der Schweiz eine Untersuchung, welche die Augenbewegungen während der Fahrt durch den Gotthard-Tunnel genauer analysierte. In Schweden wurden sogar die Augenbewegungen eines Fussballkommentators untersucht, oder die Frage, ob die Markierungen von Schulbussen die Autofahrer dazu veranlasst, vorsichtiger zu fahren.
Augenbewegungen und Kunst
Doch Augenbewegungen sind nicht nur in Wissenschaft und Technik von Interesse, sondern auch in der Kunst. An der Konferenz wird ein japanischer Referent von einer traditionellen Theaterkunst berichten, in welcher die Darsteller es verstehen, ihre beiden Augen unabhängig voneinander zu bewegen. Durch diese ungewöhnlichen Augenstellungen versuchen sie, ihrem Spiel noch mehr Ausdruck zu verleihen. In einem gemeinsamen Projekt der Universität Bern und dem neu eröffneten Paul Klee Zentrum stand hingegen die Kunstwahrnehmung im Zentrum. Das Team untersuchte, wie Kunstexperten und Laien sich die Werke von Klee unterschiedlich anschauen. Von der Einzigartigkeit der Werke Klees werden sich die Kongressbesucher auf einem Ausflug ins neue Zentrum auch selber überzeugen können. Mit dem Vortrag des bekannten Neurowissenschafters Semir Zeki zum Thema «Mehrdeutigkeit in der Kunst und im Hirn» wird vor Ort die Brücke zwischen Wissenschaft und Kunst geschlagen, denn auch Paul Klee bediente sich stilistischer Effekte, welche sich heute neurologisch belegen lassen. So ist es denn auch nicht verwunderlich, dass die Wissenschaftler gerne ein zweites Mal aus aller Welt nach Bern reisen. Mit seinen Lauben, Restaurants, dem Einsteinjahr und dem Paul Klee Zentrum ist Bern nicht bloss ein Schauplatz für einen trockenen Wissensaustausch, sondern auch Garant für die Musse, welche neues Wissen überhaupt erst ermöglicht.
Vor 25 Jahren legte der Berner Psychologieprofessor Rudolf Groner den Grundstein für ein Forschungsnetzwerk, welches in der Folge Beachtung weit über die Grenzen Europas hinaus fand. Das Ziel war, den Austausch unter Wissenschaftlern zu fördern, welche in ihrem Gebiet mit der Aufzeichnung von Augenbewegungen arbeiten. Neben aktuellen Forschungsresultaten war der Erfahrungsaustausch über die notwendigen Mess-Apparaturen von besonderem Interesse. Um Augenbewegungen zu erforschen, musste man damals wie heute die Geräte zu deren Messung oft selber konstruieren oder zumindest verbessern. Im September 1981 wurde in Bern die erste European Conference on Eye Movements (ECEM) durchgeführt. Seither fand diese Konferenz jedes zweite Jahr in einer anderen europäischen Stadt statt. Die Konferenz wird gesponsert von der SAGW und dem Max und Elsa Beer-Brawand-Fonds.
11.08.2005