Media Relations

Bartgeier: Steinbock und Kalkstein auf dem Wunschzettel

Dank einem umfassenden Wiederansiedlungsprojekt hat der Bartgeier die Alpen zurückerobert. Unklar war bisher, warum der Greifvogel bestimmte Alpenregionen bevorzugt und andere meidet. Eine Forschergruppe der Universität Bern hat nun den Grund für diese unterschiedliche Verbreitung herausgefunden. Ihre Erkenntnisse sind massgebend für den weiteren Verlauf des Wiederansiedlungsprojekts.

Die Wissenschaftler der Abteilung «Conservation Biology» unter der Leitung von Prof. Raphaël Arlettaz und Dr. Alexandre Hirzel haben Jungvögel nach ihrer Freilassung untersucht, um herauszufinden, wo sie sich am liebsten niederlassen. Dafür wurden 1'500 seit 1987 gesammelte Sichtungen von Jungvögeln aus dem Wallis anhand geografischer Gegebenheiten analysiert. Die Ergebnisse der Untersuchung erschienen soeben im Journal of Applied Ecology.

Die Forscher unterteilten die Sichtungen nach Jungvögeln unter vier Jahren und Vögeln ab vier Jahren, die allmählich die Geschlechtsreife erreichen. Sie stiessen bei der Analyse auf grundlegende geografische Unterschiede. Während die jüngeren Vögel Gebiete bevorzugten, in denen genügend Steinwild vorhanden ist, liessen sich die älteren Vögel vor allem in kalksteinreichen Zonen nieder. Dies erklärt ihr Fehlen in den Penninen Alpen ebenso wie im Aaremassiv, dem Lötschental und dem Rhonegletscher: diese Zonen bestehen hauptsächlich aus Granit-, Gneiss- und anderen Gesteinsschichten. Hingegen leben viele Bartgeier im Massiv der Dents du Midi und in den Regionen zwischen den Dents de Morcles und Loèche-les-Bains.

Die Vorliebe der Bartgeier für den Kalkstein basiert vermutlich auf dem häufigen Vorkommen von steilen Klippen, die von Spalten und Nischen durchsetzt sind. Ideal also für den Nestbau und den Schutz vor Unwettern – für Bartgeier besonders wichtig, da sie ab Januar brüten. In Kalksteinregionen finden sich zudem überall kleine Gesteinsbrocken, die das Zerschlagen und Verstauen von Knochen erleichtern. Die Forscher schliessen daraus, dass die alpinen Bartgeier sich vor allem in Kalksteinregionen niederlassen – am liebsten in solchen, die auch eine hohe Steinbockpopulation aufweisen. Sie empfehlen, in Zukunft keine Bartgeier mehr in kalksteinarmen Regionen auszusetzen, da die Vögel dort keine optimalen Bedingungen antreffen würden.

Dank diesen Erkenntnissen über die ökologischen Vorlieben der Bartgeier wird klar, warum Wiederansiedelungsprogramme in den südlichen Alpen Österreichs seit zwanzig Jahren erfolglos geblieben sind. Diese Regionen sind zu weit von Kalksteingebieten entfernt. Hingegen ist die Präsenz mehrerer brütender Pärchen im Park von Selvio (Italien), Haute-Savoie und im französischen Nationalpark der Vanoise auf das Vorhandensein der zwei wichtigsten Faktoren zurückzuführen: grosse Steinbockpopulationen und Kalksteinschichten.

Bartgeier wurden gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit Gift und Feuerwaffen ausgerottet. Seit 1986 läuft ein umfassendes Wiedereinführungsprogramm im Alpenraum. Während 19 Jahren wurden 129 in Gefangenschaft geschlüpfte Jungvögel an vier Orten ausgesetzt: in Zentralösterreich, beim Schweizerischen Nationalpark, in der Haute-Savoie und den südlichen Alpen nahe am Mittelmeer. Die ausgesetzten Vögel haben sich gut angepasst, trotz der tiefgreifenden Veränderungen in der Alpenlandschaft – etwa wegen des Tourismus. Inzwischen haben sich auch die Wildbestände erholt, die den Bartgeiern das Überleben sichern. Als Aasfresser ernähren sich Bartgeier vor allem von Knochen und dem nährstoffreichen Mark toter Steinböcke.

12.01.2005