Rasende Winde auf dem Mars
Auf dem Mars erreichen Staubteufel und Winde Geschwindigkeiten von bis zu 160 km/h und sind damit schneller als bisher angenommen: Dies zeigt eine Untersuchung eines internationalen Forschungsteams unter der Leitung der Universität Bern. Die Forschenden analysierten Bilder der Berner Mars-Kamera CaSSIS sowie der Stereokamera HRSC mit Hilfe maschinellen Lernens. Die Studie liefert damit wertvolle Datengrundlagen für ein detaillierteres Verständnis der atmosphärischen Dynamik, was für bessere Klimamodelle und zukünftige Marsmissionen von Bedeutung ist.
Trotz der sehr dünnen Marsatmosphäre gibt es auch auf dem Mars Winde, die zentral für das Klima und für die Verteilung von Staub sind. Durch die Windbewegungen und das Aufwirbeln von Staub entstehen auch sogenannte Staubteufel, rotierende Säulen aus aufgewirbeltem Staub und Luft, die sich über die Oberfläche bewegen. Auf Bildern vom Mars ist der Wind selbst unsichtbar, Staubteufel hingegen sind gut zu erkennen. Sie sind durch ihre Vorwärtsbewegung wertvolle Indikatoren für Forschende, um die sonst unsichtbaren Winde bestimmen zu können.
Eine neue Studie unter der Leitung von Dr. Valentin Bickel vom Center for Space and Habitability der Universität Bern zeigt, dass sich die Staubteufel und die Winde, die sie umgeben, deutlich höhere Geschwindigkeiten erreichen als bisher angenommen. Die stärkeren Winde könnten für einen grossen Teil des Staubauftriebs auf dem Mars verantwortlich sein, was wiederum einen grossen Einfluss auf das Wetter und Klima des Mars hat. Die Studie, an der auch Forschende der Abteilung Weltraumforschung und Planetologie des Physikalischen Instituts an der Universität Bern, der Open University in Grossbritannien und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) beteiligt sind, wurde soeben im Journal Science Advances publiziert.
Bewegung von Staubteufeln mithilfe von Deep Learning untersucht
«Mit Hilfe eines hochmodernen Deep Learning-Ansatzes konnten wir in über 50'000 Satellitenbildern Staubteufel identifizieren», erklärt Erstautor Valentin Bickel. Das Team verwendete Bilder von der Berner Mars-Kamera CaSSIS (Colour and Stereo Surface Imaging System) und der Stereokamera HRSC (High Resolution Stereo Camera). CaSSIS befindet sich an Bord der Sonde ExoMars Trace Gas Orbiter der Europäischen Weltraumorganisation ESA, während sich die Kamera HRSC an Bord des ESA-Orbiters Mars Express befindet. «Unsere Studie basiert demnach ausschliesslich auf Daten der europäischen Marserkundung», so Bickel weiter.
In einem nächsten Schritt untersuchte das Forschungsteam für etwa 300 der identifizierten Staubteufel Stereobilder, um deren Bewegungsrichtungen und Geschwindigkeiten zu messen. Co-Autor Nicolas Thomas, unter dessen Leitung das Kamerasystem CaSSIS an der Universität Bern entwickelt und gebaut wurde und das von der Abteilung Raumfahrt des SBFI durch das PRODEX-Programm der ESA (siehe Infobox) finanziert ist, erklärt: «Stereobilder sind Bilder derselben Stelle auf der Oberfläche des Mars, die aber im Abstand von einigen Sekunden aufgenommen wurden. Diese Bilder können daher zur Messung der Bewegung von Staubteufeln verwendet werden.» Bickel betont: «Wenn man die Stereobilder in einer Sequenz aneinanderfügt, kann man beobachten, wie dynamisch sich die Staubteufel über die Oberfläche bewegen.»
Winde auf dem Mars stärker als bisher angenommen
Die Ergebnisse zeigen, dass die Staubteufel und die sie umgebenden Winde auf dem Mars mit Geschwindigkeiten von bis zu 44 m/s, also rund 160 km/h, auf dem ganzen Planeten weitaus schneller werden können als bisher angenommen (vorherige Messungen auf der Oberfläche hatten ergeben, dass Winde grösstenteils unter 50 km/h bleiben und – in seltenen Fällen – maximal 100 km/h erreichen können).
Die hohe Windgeschwindigkeit beeinflusst wiederum den Staubkreislauf auf dem Roten Planeten: «Die starken, geradlinigen Winde bringen mit grosser Wahrscheinlichkeit eine beträchtliche Menge an Staub in die Marsatmosphäre ein – und zwar wesentlich mehr als bisher vermutet», so Bickel. Er fährt fort: «Unsere Daten zeigen, wo und wann die Winde auf dem Mars stark genug zu sein scheinen, um Staub von der Oberfläche zu heben. Dies ist das erste Mal, dass solche Erkenntnisse auf globaler Ebene für einen Zeitraum von etwa zwei Jahrzehnten verfügbar sind.»
Zukünftige Marsmissionen können von den Forschungsresultaten profitieren
Die gewonnenen Resultate sind insbesondere auch für zukünftige Marsmissionen von Bedeutung. «Ein besseres Verständnis der Windverhältnisse auf dem Mars ist entscheidend für die Planung und Durchführung von zukünftigen Landemissionen», erklärt Daniela Tirsch vom Institut für Weltraumforschung des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und Mitautorin der Studie. «Mithilfe der neuen Erkenntnisse zur Winddynamik können wir die Marsatmosphäre und die damit verbundenen Oberflächenprozesse präziser modellieren», so Tirsch weiter. Diese Modelle sind essenziell, um Risiken für zukünftige Missionen besser einschätzen und technische Systeme entsprechend anpassen zu können. Die neue Studie liefert damit wichtige Erkenntnisse für eine Reihe von Forschungsbereichen zum Mars, beispielsweise die Erforschung der Bildung von Dünen und Hangstreifen, aber auch die Erstellung von Wetter- und Klimamodellen vom Mars.
Die Forschenden planen, die Beobachtungen von Staubteufeln weiter zu intensivieren und die gewonnenen Daten mit gezielten und koordinierten Beobachtungen von Staubteufeln mit CaSSIS und HRSC zu ergänzen. «Unsere Forschung soll damit langfristig dazu beitragen, die Planung von Marsmissionen effizienter zu gestalten», sagt Bickel abschliessend.
Angaben zur Publikation:Valentin T. Bickel, Miguel Almeida, Matthew Read, Antonia Schriever, Daniela Tirsch, Ernst Hauber, Klaus Gwinner, Nicolas Thomas, Thomas Roatsch (2025). Dust Devil Migration Patterns Reveal Strong Near-surface Winds across Mars. Science Advances. https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.adw5170 |
Förderung durch das SBFI / Abteilung RaumfahrtCaSSIS ist ein Projekt der Universität Bern und ist finanziert von der Abteilung Raumfahrt des SBFI durch das PRODEX-Programm der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Die Entwicklung der Instrumenten-Hardware wurde auch von der Italienischen Weltraumagentur (ASI), dem INAF/Astronomischen Observatorium von Padua und dem Weltraumforschungszentrum (CBK) in Warschau unterstützt. Bei allen in der Schweiz entwickelten Instrumenten kommen wesentliche Beiträge und/oder Teillieferungen von der Schweizer Industrie. Das Programm PRODEX, in dessen Rahmen wissenschaftliche Instrumente oder Teilsysteme geliefert werden, setzt eine Industriebeteiligung voraus und fördert so den Wissens- und Technologietransfer zwischen Hochschulen und Industrie und verschafft dem Wirtschaftsstandort Schweiz einen strukturellen Wettbewerbsvorteil – nicht zuletzt dank Spillover-Effekten auf andere Bereiche der beteiligten Unternehmen. Die Schweizer Beteiligung an ESA-Programmen ermöglicht es Schweizer Akteuren aus Wissenschaft und Industrie, sich in den ESA-Aktivitäten in diesem Bereich optimal zu positionieren. |
Center for Space and Habitability (CSH)Das Center for Space and Habitability (CSH) wurde 2011 gegründet und fördert interdisziplinäre Forschung in den Bereichen Erd- und Planetenwissenschaften, die Suche nach Leben im Universum, Wissenschaftsphilosophie und biomedizinische Forschung. Das CSH ist Teil eines reichen wissenschaftlichen Umfelds auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene. |
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08.10.2025