Woher der Strom im Jahr 2050 kommt
Bis 2050 soll das Energiesystem der Schweiz dekarbonisiert werden und ohne Atomstrom auskommen. Wie das möglich ist und was das kostet, zeigt ein neuer Bericht eines Schweizer Forschungskonsortium, an dem Forschende der ETH Zürich, der Universitäten Bern und Genf, der EPFL, der WSL und der ZHAW beteiligt waren.
In Kürze
- Um bis 2050 60 Prozent des Schweizer Strombedarfs aus neuen erneuerbaren Energiequellen zu decken, muss sich die Kapazität der installierten Solarstromanlagen im Vergleich zu heute vervierfachen. Die Kapazität der Windturbinen müsste sogar 80-mal grösser sein.
- Die Forschenden kommen ausserdem zum Schluss, dass für eine kosteneffiziente Schweizer Stromversorgung der funktionierende Stromhandel mit dem Ausland entscheidend ist.
- Mehr als die Hälfte der jährlichen Investitionen von Schweizer Stromversorgern und Finanzinvestoren in erneuerbare Energieprojekte fliessen heute nach Europa. Nur ein Prozent dieser Investitionen bleiben in der Schweiz.
Die Energieversorgung der Schweiz soll bis 2050 CO2-neutral sein. Dafür müssen der Verkehr, die Wärmeversorgung und die Industrie elektrifiziert werden. Dadurch steigt der heutige Strombedarf von 56 Terawattstunden (TWh) pro Jahr bis 2050 auf rund 75 TWh. Gleichzeitig müssen 23 TWh Strom aus den Schweizer Kernkraftwerken ersetzt werden.
Ein neuer Bericht des SWEET-Konsortiums EDGE untersucht nun erstmals umfassend, wie die Energiewende bis 2050 gelingen kann. Der Bericht umfasst mehrere Studien, an denen Forschende der ETH Zürich, der Universitäten Genf und Bern, der EPFL, der WSL und der ZHAW beteiligt waren.
Deutlich mehr Strom aus Wind und Sonne
Am 9. Juni 2024 stimmten 69 Prozent der Schweizer Stimmberechtigten dem Stromgesetz zu. Demnach soll die Schweiz bis 2050 rund 60 Prozent ihres Strombedarfs (45 TWh pro Jahr) mit neuen erneuerbaren Energiequellen wie Photovoltaik, Windenergie oder Biomasse decken.
In der ersten Studie des Berichtes haben die Forschenden nachgewiesen, dass die Schweiz das 45-TWh-Ziel über verschiedene Wege erreichen kann. Dazu muss sie jedoch die Photovoltaik und die Windenergie massiv ausbauen. Von den 45 TWh kämen im Schnitt rund 28 TWh Strom von Photovoltaikanlagen, 13 TWh von Windanlagen und der Rest aus Biomasse.
Im Durchschnitt müsste die Kapazität der in der Schweiz installierten Photovoltaikanlagen von heute 6,4 Gigawatt (GW) auf rund 26,8 GW im Jahr 2050 ansteigen - was einer Vervierfachung entspricht. Bei der Windenergie, die für die Stromproduktion im Winter entscheidend ist, wäre der nötige Ausbau deutlich grösser: Die Kapazität müsste von heute durchschnittlich 0,1 GW auf rund 8,4 GW im Jahr 2050 steigen – das ist über 80-mal mehr als heute.
«Dieser starke Zubau an Photovoltaik und Windenergie bis 2050 ist ohne griffige Subventionen kaum vorstellbar», sagt Giovanni Sansavini, Professor für Reliability and Risk Engineering an der ETH Zürich und einer der Mitautoren der Studie.
Eine Beschränkung der Nettoimporte wäre teuer
Das Stromgesetz schreibt zudem vor, dass die Nettostromimporte im Winter fünf TWh nicht überschreiten dürfen. Um diese Richtlinie zu erfüllen, braucht es bei einer strikten Umsetzung deutlich mehr eigenen Strom.
Die Modellrechnungen der Forschenden zeigen, dass dafür 80 Prozent mehr Kapazität aus Windkraftanlagen, 11 Prozent mehr aus Gaskraftwerken und 10 Prozent mehr aus Solaranlagen erforderlich sind. Zudem könnten die Kosten der Stromversorgung, die sich vor allem aus den Investitions- und Betriebskosten zusammensetzen, um ein Fünftel steigen. Der Strompreis könnte sich mehr als verdoppeln.
Auf den europäischen Strommarkt angewiesen
Die EU könnte in Zukunft 70 Prozent ihrer Netzkapazität für den Handel zwischen den EU-Mitgliedstaaten reservieren. Die Forschenden modellierten deshalb in der ersten Studie, wie sich eine Einschränkung des grenzüberschreitenden Stromhandelsvolumens um 70 Prozent auf den Strommix und die Kosten der Stromversorgung in der Schweiz auswirken würde.
Sie kommen zum Schluss, dass die Kapazität der in der Schweiz installierten Windanlagen um weitere 20 Prozent steigen müsste, um eine Reduktion des Stromhandelsvolumens um 70 Prozent zu verkraften. Ausserdem würden die Kosten der Stromversorgung in so einem Szenario um acht Prozent steigen.
«Unsere Ergebnisse belegen eindrücklich, wie wichtig es ist, dass die Schweiz einen reibungslosen Zugang zum europäischen Strommarkt hat. Ohne Integration wird sowohl die Stromversorgung insgesamt als auch der Strom selbst teurer. Zudem brauchen wir auch mehr Windkraftanlagen», erklärt Ambra Van Liedekerke, Doktorandin in Sansavinis Gruppe und eine der Mitautorinnen.
Gemäss einer repräsentativen Umfrage des Forschungskonsortiums EDGE befürworten rund 60 Prozent der Schweizer Bevölkerung eine engere Zusammenarbeit mit der EU, um die Energieversorgung sicherzustellen. Gleichzeitig geben aber rund 70 Prozent der rund 2000 Befragten an, die Schweiz solle in Energiefragen unabhängig sein, und Stromimporte sind im Vergleich zu einheimischen Energiequellen unbeliebt.
Schweizer Investitionen fliessen ins Ausland
Wie eng das Schweizer Energiesystem finanziell mit Europa vernetzt ist, wird durch die Ergebnisse einer weiteren Studie im Bericht deutlich: Mehr als die Hälfte aller jährlichen Investitionen von Schweizer Stromversorgern und Finanzinvestoren in erneuerbare Energie-Grossprojekte fliessen heute nach Europa. Es handelt sich dabei um Anlagen von über einem Megawatt. Nur ein Prozent dieser Investitionen bleiben in der Schweiz.
Das meiste Geld fliesst nach Deutschland (im Schnitt 177 Mio. US-Dollar jährlich), Frankreich (im Schnitt 112 Mio. US-Dollar jährlich) und Italien (im Schnitt 43 Mio. US-Dollar jährlich). Schweizer Geldgeber investieren zusätzlich 644 Mio. US-Dollar ausserhalb Europas. Auffallend ist, dass fast 60 Prozent dieser Schweizer Gelder in Windenergieprojekte fliessen. «Investor:innen scheinen vor allem erneuerbare Energieprojekte im Ausland zu finanzieren, die sie in der Schweiz in diesem Umfang nicht realisieren können. Damit trägt die Schweiz zur Energiewende im Ausland bei», erklärt Bjarne Steffen, Leiter der Gruppe für Klimafinanzierung an der ETH Zürich und einer der Mitautoren des Berichts.
Was Netto-Null die Schweiz kostet
Eine dritte Studie des EDGE-Berichts modelliert, wie teuer es für die Schweiz Bevölkerung werden könnte, das Netto-Null-Ziel im Pariser Klimaabkommen zu erreichen. Die Forschenden gehen davon aus, dass bis 2050 durch CO2-Steuern und den Emissionshandel die Preise für fossile Energieträger und die Produktionskosten vieler Güter steigen würden. Dies würde viele Produkte und Dienstleistungen des täglichen Lebens wie etwa Wohnen, Energie, aber auch Nahrungsmittel und Mobilität verteuern.
Schweizer Haushalte wären zwischen 2020 und 2050 von einem geringeren Einkommen und höheren Preisen betroffen und könnten dadurch weniger konsumieren. Wie stark dieser Verlust ausfällt, hängt von den Klimaschutzbemühungen im Ausland ab. Wenn nur Europa bis 2050 klimaneutral wird, könnte die Umstellung einen durchschnittlichen Schweizer Haushalt jährlich 0,63 Prozent seines Konsums kosten. Erreichen hingegen alle OECD-Länder Netto-Null bis 2050, China bis 2060 und der Rest der Welt bis 2070, könnten die Kosten auf Grund eines schwächeren Wirtschaftswachstums jedes Jahr auf 0,75 Prozent des jährlichen Konsums eines Schweizer Haushalts steigen.
Ob diese Kosten höher ausfallen, hängt davon ab, ob die Schweiz ihre Emissionen im Ausland kompensieren kann. Ist dies nicht möglich, steigen die Kosten pro Jahr und Haushalt um rund 1 Prozent. «Bei der Interpretation dieser Kosten muss immer auch berücksichtig werden, dass die Kosten eines ungebremsten CO2-Ausstosses wohl deutlich höher wären», sagt Philippe Thalmann, Professor für Ökonomie an der EPFL und einer der Mitautoren des Berichts.
Video zum Bericht: https://www.youtube.com/watch?v=PuqXCn6eABI&t=2s
LiteraturhinweisVan Liedekerke A, et. al., Renewable Energy Outlook II for Switzerland. Date 22.05.2025doi: 10.3929/ethz-b-000735887 |
SWEET und SWEET EDGESWEET (SWiss Energy research for the Energy Transition) ist ein Förderprogramm des Bundesamts für Energie (BFE) mit dem Ziel, Innovationen für die Schweizer Energiestrategie 2050 und die Klimaziele voranzutreiben. EDGE ist ein von SWEET gefördertes Konsortium, das von der Universität Genf und EPFL koordiniert wird. Die Universität Bern, die ETH Zürich und weitere Partner sind daran beteiligt. Das Konsortium soll zeigen, dass das Schweizer Energiesystem bis 2035 und 2050, wenn erneuerbare Energien einen ambitionierten Anteil erreich haben, technisch und wirtschaftlich optimal und sicher gestaltet und betrieben werden und auf den europäischen Märkten gut positioniert sein kann. Die in dieser Publikation veröffentlichte Forschung wurde mit Unterstützung des BFE im Rahmen des SWEET-Konsortiums EDGE durchgeführt. Die Autoren tragen die alleinige Verantwortung für die in dieser Publikation dargestellten Schlussfolgerungen und Ergebnisse. |
Quelle: ETH Zürich
22.05.2025