Sind wir nicht alle Migranten?

Der mexikanische Schriftsteller Juan Villoro lehrt im Herbstsemester 2025 an der Universität Bern. Als «Friedrich Dürrenmatt Gastprofessor für Weltliteratur» widmet er sich in einem wöchentlichen Seminar den Erfahrungen der Migration.

Im Herbstsemester 2025 unterrichtet Juan Villoro als Friedrich Dürrenmatt Gastprofessor für Weltliteratur an der Universität Bern. Der mexikanische Schriftsteller wird am Walter Benjamin Kolleg der Philosophisch-historischen Fakultät eine Lehrveranstaltung geben und mit Studierenden und Doktorierenden zusammenarbeiten.

Von Mexiko-Stadt nach Ost-Berlin

Juan Villoro, geboren in Mexiko-Stadt, war nach dem Studium der Soziologie in Ost-Berlin für sein Land als Kulturattaché tätig. Neben seiner literarischen Arbeit hat er an den Universitäten Princeton, Yale und Stanford sowie an der New Journalist Foundation unterrichtet. Als Kolumnist schreibt Villoro für die mexikanische Zeitung Reforma.

Als Schriftsteller und öffentlicher Intellektueller stellt er sich immer wieder der Frage, wie Literatur auf soziale Umbrüche reagieren kann und welche Rolle dabei die sprachliche Form spielt. So beschreibt er in seinem Roman El testigo (2004) die Rückkehr eines mexikanischen Literaturprofessors in seine Heimat, die bestimmt wird von Korruption und einer Enttäuschung über die Demokratie. Villoro verbindet persönliche und kollektive Erinnerungen mit historischen und fiktiven Ereignissen und findet so eine literarische Sprache, die der widersprüchlichen Wirklichkeit auf verschiedenen Ebenen begegnet.

Vom Fussball bis zum Drogenkrieg

Juan Villoro hat Romane, Kurzgeschichten, Reportagen, Essays und Theaterstücke veröffentlicht. Auf Deutsch erschienen unter anderem der Jugendroman Das wilde Buch (2014) und der Krimi Das dritte Leben (2016). In El vértigo horizontal (2019, engl. Horizontal Vertigo: A City called Mexico) entwirft er ein Porträt seiner Heimatstadt von der aztekischen Antike bis zur heutigen Megacity. Thematisch reicht sein Spektrum vom Fussball, dem er die Essaysammlung Dios es redondo (God is round, 2006) gewidmet hat, bis zum Drogenkrieg in der Kurzgeschichtensammlung Los culpables (2007, engl. The Guilty). «Juan Villoro ist ein faszinierend vielseitiger Autor», erklärt Professor Oliver Lubrich, Literaturwissenschaftler am Institut für Germanistik und Leiter der Dürrenmatt-Gastprofessur: «Er verbindet Popkultur und Politik, reporterhafte Beobachtung und surreale Phantasie.»

Fremd schreiben, lesen, sein

Sein Seminar an der Universität Bern, das er auf Deutsch unterrichtet, widmet Juan Villoro den Erfahrungen der Migration. Mit den Studierenden will er den Fragen nachgehen: Welche Erfahrungen machen wir, wenn wir aus- und einwandern? Wie verhalten wir uns als Fremde? Wie begegnen wir Fremden? Wie bewahren wir unsere Kultur in der Fremde? Und sind wir nicht alle Migranten? Gelesen werden Texte mexikanischer, argentinischer, französischer, polnischer, südafrikanischer, US-amerikanischer und deutscher Autorinnen und Autoren, die davon handeln, was es bedeutet, sich in eine andere Kultur zu begeben und dort zu den «Anderen» zu gehören. Gemeinsam mit seinen Studierenden will Villoro vergleichende Perspektiven eröffnen: zwischen Gattungen und Sprachen, eigenen und fremden Erfahrungen, geschriebenem, gelesenem und erlebtem Anderssein.

Auftakt in der Burgerbibliothek

Die öffentliche Auftaktveranstaltung mit Juan Villoro findet am 1. Oktober um 18.30 Uhr im Hallersaal der Burgerbibliothek Bern statt.

Friedrich Dürrenmatt Gastprofessur

Die Friedrich Dürrenmatt Gastprofessur für Weltliteratur erweitert das akademische und kulturelle Angebot in Bern und darüber hinaus. Seit dem Frühjahr 2014 unterrichtet in jedem Semester ein internationaler Gast an der Universität Bern. Die Autorinnen und Autoren geben je eine 14-wöchige Lehrveranstaltung und arbeiten wie reguläre Professorinnen und Professoren mit Studierenden und Doktorierenden zusammen. Zusätzlich zu ihren Seminaren oder Vorlesungen werden universitäre und öffentliche Veranstaltungen in Bern sowie an anderen Orten in der Schweiz organisiert. Die Gastprofessur wird durchgeführt mit Unterstützung der Burgergemeinde Bern.

Bisherige Friedrich Dürrenmatt Gastprofessorinnen und Gastprofessoren

Frühjahr 2014: David Wagner (Deutschland)
Herbst 2014: Joanna Bator (Polen)
Frühjahr 2015: Louis-Philippe Dalembert (Haïti)
Herbst 2015: Wendy Law-Yone (Burma)
Frühjahr 2016: Fernando Pérez (Kuba)
Herbst 2016: Wilfried N’Sondé (Kongo)
Frühjahr 2017: Juan Gabriel Vásquez (Kolumbien)
Herbst 2017: Josefine Klougart (Dänemark)
Frühjahr 2018: Xiaolu Guo (China)
Herbst 2018: Peter Stamm (Schweiz)
Frühjahrs 2019: Nedim Gürsel (Türkei)
Herbst 2019: Lizzie Doron (Israel)
Frühjahr und Herbst 2020 (während der Corona-Pandemie): Mathias Énard (Frankreich)
Frühjahr 2021: Lukas Bärfuss (Schweiz)
Herbst 2021: Adania Shibli (Palästina)
Frühjahr 2022: Karl Schlögel (Vorlesung zur Ukraine, durchgeführt im Frühjahr 2023)
Herbst 2022: Nell Zink (USA)
Frühjahr 2023: Cristina Morales (Spanien)
Herbst 2023: Abdourahman Waberi (Dschibuti)
Frühjahr 2024: Johny Pitts (Grossbritannien)
Herbst 2024: Marlene Streeruwitz (Österreich)
Frühjahr 2025: Gaea Schoeters (Belgien)
Herbst 2025: Juan Villoro (Mexiko)

Weitere Informationen zur Dürrenmatt Gastprofessur:
http://www.wbkolleg.unibe.ch/ueber_uns/friedrich_duerrenmatt_gastprofessur

Projektseite:
www.wbkolleg.unibe.ch

10.09.2025