«Mausmikrobiom-Atlas» stärkt die Reproduzierbarkeit von Tierversuchen

Forschende der Universität Bern und des Inselspitals Bern haben in Zusammenarbeit mit über 50 Institutionen den weltweit ersten umfassenden Atlas des Maus-Darmmikrobioms veröffentlicht. Die wegweisende Studie umfasst Daten von Mausmikrobiomen aus sechs Kontinenten und zeigt, dass Stoffwechselfunktionen trotz mikrobieller Vielfalt relativ stabil sind. Die Studie unterstreicht die Bedeutung der mikrobiellen Funktion für experimentelle Ergebnisse und trägt zur Reproduzierbarkeit der biomedizinischen Forschung mit Mausmodellen bei.

Experimente mit Mausmodellen sind für die biomedizinische Forschung unverzichtbar, doch selbst genetisch identische Mäuse können je nach Zusammensetzung ihrer Mikrobiota widersprüchliche Versuchsergebnisse liefern. Das komplexe Zusammenspiel zwischen mikrobiellen Gemeinschaften und den damit verbundenen Stoffwechselfunktionen im Darm kann experimentelle Ergebnisse, therapeutische Massnahmen und unser Verständnis verschiedener biologischer Prozesse erheblich beeinflussen. Für die biomedizinische Forschung ist es deshalb wichtig, die Dynamik des Darmmikrobioms zu verstehen, da es eine entscheidende Rolle für die Gesundheit und den Verlauf von Krankheiten spielt.

Die vorliegende wegweisende Studie befasst sich mit einer grundlegenden Frage der Mikrobiomforschung: Wie wirkt sich die Zusammensetzung mikrobieller Gemeinschaften auf die Stoffwechselfunktionen aus? Die Erforschung dieses Zusammenhangs soll zu Erkenntnissen führen, die zu effektiveren Strategien für den Einsatz von Mausmodellen in biomedizinischen Studien beitragen könnten.

Unter der Leitung von Forschenden des Department for Biomedical Research der Universität Bern und der Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin des Inselspital, Universitätsspital Bern hat ein internationales Konsortium rund 4'000 Darmproben von Mäusen im Detail analysiert. Die Studie stellt den bislang geografisch umfassendsten Datensatz zum Mausmikrobiom dar. Die Forschenden fanden heraus, dass gewisse Stoffwechselfunktionen, trotz der erheblichen Unterschiede in den Mikrobiomen der verschiedenen Mäuseeinrichtungen auffallend einheitlich sind. Die Ergebnisse der Studie stellen einen wichtigen Meilenstein in der Mikrobiomforschung dar und wurden kürzlich in der Fachzeitschrift Cell Host & Microbe veröffentlicht.

Bern als internationales Referenzzentrum für Mikrobiom-Systembiologie

Über 50 Forschungseinrichtungen aus Europa, Amerika, Asien und Afrika beteiligten sich an der Studie. Gemeinsam stellten sie Proben aus 51 Mäuseeinrichtungen und 12 Wildmauskolonien bereit – insgesamt rund 4’000 standardisiert erhobene Darmproben. «Durch den Einsatz modernster Techniken, darunter stammesaufgelöste Metagenomik, Metabolomik und fortschrittliche Strukturmodellierung, konnten wir eine gründliche Analyse des Darmmikrobioms der Maus durchführen, die die Rekonstruktion von 98 vollständigen bakteriellen Genomen ermöglichte», sagt der Erst- und Mitkorrespondierender Autor Bahtiyar Yilmaz vom Departement for Biomedical Research der Universität Bern und der Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin des Inselspitals, Universitätsspital Bern. Er fügt hinzu: «Alle Proben wurden in unseren Labors empfangen, kuratiert, sequenziert, annotiert und analysiert. Das macht Bern zu einem wichtigen Zentrum für die Systembiologie des Mausmikrobioms.» Durch den Multi-Omics-Ansatz konnten die mikrobielle Gemeinschaftsstruktur, die genetische Vielfalt und die metabolische Funktion erstmals umfassend miteinander verknüpft werden.

Verbesserung der Reproduzierbarkeit in der Mikrobiomforschung

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass zentrale Stoffwechselfunktionen in verschiedenen mikrobiellen Gemeinschaften bemerkenswert stabil bleiben. «Zu unserer Überraschung offenbarte unsere Analyse ein universelles ökologisches Prinzip: Vielfalt und Stabilität existieren nebeneinander. So wie der menschliche Darm und unsere Umgebung inmitten von Veränderungen ein Gleichgewicht aufrechterhalten, passt das Mikrobiom der Maus seine Zusammensetzung an und bewahrt gleichzeitig seine Kernfunktionen, was die Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit des mikrobiellen Lebens unterstreichen», erklärt Bahtiyar Yilmaz.

Ko-Autor Prof. em. Dr. Andrew Macpherson vom Departement für Biomedizinische Forschung der Universität Bern und der Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin des Inselspitals, Universitätsspital Bern, betont: «Die Ergebnisse widerlegen die bisherige Annahme, dass allein die Zusammensetzung der Mikrobenarten die Funktion des Mikrobioms bestimmt. Sie zeigen, dass man die Reproduzierbarkeit biomedizinischer Studien erheblich verbessern kann, wenn man sich auf die metabolische Funktionalität statt auf die Artenidentität im Mikrobiom konzentriert.» Die Studie zeigt ausserdem, dass jede Bakterienart aus verschiedenen Unterarten besteht, die gemeinsam für eine funktionierende Mikrobiota wichtig sind. Bei vielen Krankheiten ist die Vielfalt der mikrobiellen «Spezialisten» reduziert. MacPherson erklärt: «Die Herausforderung besteht darin, dafür zu sorgen, dass immer genügend gesunde Bakterien und ihre spezialisierten Unterarten vorhanden sind, um ihren Wirt, den Darm, und uns gesund zu halten».

Zwei interaktive Online-Ressourcen, die im Rahmen dieser Studie entwickelt wurden, ermöglichen es Forschenden weltweit, ihre Daten einzuordnen und potenzielle metabolische Ausrichtungen des Mikrobioms, die sich auf die Versuchsergebnisse auswirken könnten, zu identifizieren. Damit schaffen Sie eine wichtige Grundlage für eine bessere Reproduzierbarkeit in der Mikrobiomforschung.

Beispiellose internationale Zusammenarbeit

Die Ergebnisse bieten einen wertvollen Referenzrahmen für die Interpretation von mikrobiombedingten Variationen in Mausmodellen, die üblicherweise zur Untersuchung menschlicher Krankheiten verwendet werden. «Die beispiellose internationale Zusammenarbeit unterstreicht die globale Reichweite der Studie und die zentrale Rolle der Universität Bern bei der Koordinierung der weltweit umfassendsten Analyse der Diversität und Funktion des Mausmikrobioms», so Yilmaz. Die Studie legt eine wichtige Grundlage für das Verständnis mikrobieller Funktionen und ebnet den Weg für gezielte Mikrobiom-Interventionen in der translationalen Forschung. Dies ermöglicht zuverlässigere Krankheitsmodelle und beschleunigt die Entdeckung neuer Therapien für Krankheiten wie entzündliche Darmerkrankungen, Fettleibigkeit und Infektionen, von denen weltweit Millionen Menschen betroffen sind.

Zukünftig möchten die Forschenden untersuchen, wie bestimmte Arten von Bakterien die Körperfunktionen beeinflussen und wie der Austausch von Bakterien die Ergebnisse von Stoffwechsel und Immunsystem beeinflusst. «Die aus dieser Studie gewonnenen Erkenntnisse ebnen den Weg für einen nuancierteren Ansatz in der Mikrobiomforschung und fördern eine Verlagerung hin zu funktionsbasierten Konzepten, die zu einer verbesserten Versuchsplanung und -auswertung führen könnten», so Yilmaz abschliessend.

Angaben zur Publikation

Yilmaz B. et al. (2025). A global survey of taxa–metabolic associations across mouse microbiome communities. Cell Host & Microbe. URL: https://www.cell.com/cell-host-microbe/fulltext/S1931-3128(25)00424-X
DOI: doi.org/10.1016/j.chom.2025.10.010

Department for BioMedical Research (DBMR)

Das Departement für BioMedizinische Forschung (DBMR) der Medizinischen Fakultät der Universität Bern wurde 1994 von der Universität Bern und dem Inselspital, Universitätsspital Bern, gegründet. Das DBMR ist in 13 Forschungsprogramme mit rund 100 beteiligten Einzellabors und mehreren unabhängigen Forschungslaboratorien gegliedert, deren Forschung alle biomedizinischen Bereiche abdeckt. Um die Kluft zwischen Labor und Krankenbett zu überbrücken, fördert das DBMR die klinische Forschung mit einem starken Schwerpunkt auf der Entwicklung von translationalen Ansätzen, dem Einsatz von "Omics" und anderen Spitzentechnologien sowie einer umfassenden Zusammenarbeit zwischen laborgestützter und patientenzentrierter klinischer Forschung. Das DBMR engagiert sich auch für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Weitere Informationen: https://www.dbmr.unibe.ch/index_eng.html

04.11.2025