Hohe Geschlechtergerechtigkeit führt für Männer zu hohem Statusdruck
Es ist eine gängige Annahme, dass Frauen und Männer in Ländern mit hoher Geschlechtergerechtigkeit viel Freiraum in ihrem Verhalten haben. Gerade in diesen Ländern – wie der Schweiz und Schweden – bestehen jedoch vergleichsweise starke soziale Normen für Männer, den höheren Status ihrer Geschlechtergruppe aufrechtzuerhalten. Dies zeigt eine nun publizierte Studie des Instituts für Psychologie der Universität Bern.
Westliche Länder wie die Schweiz oder Schweden rangieren in den Indizes zur Geschlechtergleichstellung zumeist weltweit oben, etwa im Global Gender Gap Index des World Economic Forum (WEF). Wie darin abgebildet, haben Frauen und Männer in diesen Ländern die grösste Chancengleichheit hinsichtlich politischer Ermächtigung, wirtschaftlicher Teilhabe sowie in den Bereichen Bildung und Gesundheit. In diesen Indizes ist hingegen die (Un-)Gleichheit im sozialen Status der zwei Geschlechtergruppen nicht abgebildet.
Die beiden Forscherinnen Dr. Christa Nater und Prof. Sabine Sczesny vom Institut für Psychologie der Universität Bern haben nun in sieben Ländern mit teils sehr unterschiedlich ausgeprägter Geschlechtergleichheit die Statusnormen für Frauen und Männer untersucht. Dafür haben sie in einem ersten Schritt sogenannte Geschlechterregeln in jedem Land identifiziert. Als Geschlechterregeln gelten vorschreibende und verbietende geschlechtsspezifische Stereotype, die bestimmen, wie Frauen und Männer sein sollen und wie sie nicht sein sollen. In einem zweiten Schritt wurde untersucht, wie sehr diese erwünschten und unerwünschten Eigenschaften von hohem bzw. niedrigem sozialen Status sind. Die Studie mit 4'327 Teilnehmenden wurde unter der Leitung der Universität Bern in internationaler Zusammenarbeit in weiteren sechs Ländern durchgeführt (Schweden, USA, Türkei, Indien, Ghana, Iran) und soeben in der renommierten Fachzeitschrift Psychology of Women Quarterly veröffentlicht.
Männer sollen keine Schwäche zeigen
«Die Konsequenzen eines tieferen sozialen Status von Frauen im Vergleich zu Männern sind vielfältig und reichen von nicht plausiblen Lohnunterschieden bis zu erlittener häuslicher und sexualisierter Gewalt – auch in relativ geschlechtergerechten Ländern», sagt Christa Nater, Co-Leiterin der Studie. «Daher gingen wir der Frage nach, ob und wie die traditionelle Geschlechterhierarchie durch Statusnormen in relativ egalitären Gesellschaften auch heute noch aufrechterhalten wird», so Nater weiter.
Die Ergebnisse zeigen ein unterschiedliches Bild für Frauen und Männer. Konkret wurde in allen sieben Ländern gefunden, dass Männer entsprechend der Statusnormen keine Eigenschaften zeigen sollen, die mit Schwäche und tiefem sozialem Status verbunden werden (wie z. B. Naivität). Sie sollen hingegen Eigenschaften zeigen, die von Handlungsfähigkeit, Tatkraft und Stärke zeugen und hohen sozialen Status haben (z. B. Führungsqualitäten, Ehrgeiz). Demgegenüber werden Frauen in Ländern mit höherer Geschlechtergerechtigkeit (Schweiz, Schweden) keine Eigenschaften im Sinne einer Geschlechterregel vorgeschrieben. In den weniger geschlechtergerechten Ländern (USA, Türkei, Indien, Ghana, Iran) hingegen sollen Frauen kein dominantes Verhalten zeigen, das von hohem sozialem Status ist.
Besonders starke Statuserwartungen für Männer in geschlechtergerechten Gesellschaften
Die wichtigsten Erkenntnisse dieser Studie ergeben sich aus dem Vergleich über die Länder hinweg: sie unterscheiden sich mitunter deutlich hinsichtlich des Ausmasses, wie sehr Männer Verhalten von hohem Status zeigen und von tiefem Status vermeiden sollten. «Interessanterweise bestehen in den relativ geschlechtergerechten Ländern Schweiz und Schweden besonders starke soziale Normen für Männern, die sie auffordern, den höheren sozialen Status ihrer Geschlechtergruppe aufrechtzuerhalten», führt Nater aus. In Ländern mit relativ geringer Geschlechtergerechtigkeit (USA, Indien, Türkei, Ghana, Iran), in denen Frauen weniger Chancengleichheit haben, sähen sich Männer mit weniger starken Statusnormen konfrontiert, so die Forscherin weiter.
Statusnormen halten die traditionelle Geschlechterhierarchie aufrecht
«Gesellschaftliche Geschlechtergerechtigkeit wird allgemein als fair empfunden», sagt Sabine Sczesny, Co-Leiterin der Studie und Psychologieprofessorin an der Universität Bern. «Die grössere Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern rüttelt jedoch an der traditionellen Geschlechterhierarchie und verstärkt den Wettbewerb zwischen den Geschlechtergruppen um statushohe Positionen, Macht und Ressourcen», erklärt Sczesny weiter.
Christa Nater weist zudem auf das Problem hin, dass die für Männer stärker geltende soziale Norm, den höheren Status ihrer Geschlechtergruppe aufrechtzuerhalten, einen verborgenen Mechanismus darstelle, der das Erreichen von Geschlechtergerechtigkeit im Hinblick auf gleichen sozialen Wert, Prestige und Autorität untergrabe. «Unsere Studie zeigt, wie wichtig es ist, die vielfältigen und teilweise verborgenen Hindernisse auf dem Weg zur tatsächlichen Chancengleichheit zu kennen, um soziale Ungleichheiten effektiv abbauen zu können», sagt Nater abschliessend.
Angaben zur Publikation:Sczesny, S.*, Nater, C.*, Rudman, L., Lohmore, A., Malayeri, S., Sakallı, N., Saxler, F., & Gustafsson Sendén, M. (2025). How women and men should (not) be: Gender rules and their alignment with status beliefs in seven nations. Psychology of Women Quarterly. Online First. |
Über die Abteilung Soziale Neurowissenschaft und SozialpsychologieDie Abteilung Soziale Neurowissenschaft und Sozialpsychologie ist am Institut für Psychologie der Universität Bern angesiedelt. Sie beschäftigt sich mit dem menschlichen Verhalten und Erleben im sozialen Kontext. Die Abteilung bezieht in ihrer Forschung interdisziplinäre Perspektiven ein und integriert Paradigmen der Psychologie, Soziologie, Management, und Gesundheitswissenschaften. Der Forschungsansatz ist empirisch-quantitativ. Schwerpunkte sind: Intergruppenbeziehungen, Stereotype/Vorurteile, Kulturvergleichende Forschung, Soziale Neurowissenschaften. |
23.04.2025