Media Relations

2025

Grosswildjagd in Bern

Die belgische Autorin und Librettistin Gaea Schoeters lehrt im Frühjahrssemester 2025 als 22. «Friedrich Dürrenmatt Gastprofessorin für Weltliteratur» an der Universität Bern. Ihr wöchentliches Seminar widmet sie der Frage, wie Inhalt und Form der Literatur politisch zusammenhängen und wie klassische Kunstwerke neue Ideen vermitteln. Eine wichtige Rolle soll die moderne Oper spielen.

Im Frühjahrssemester 2025 übernimmt Gaea Schoeters die «Friedrich Dürrenmatt Gastprofessur für Weltliteratur» an der Universität Bern. Die flämische Schriftstellerin und Drehbuchautorin wird ein Semester lang am Walter Benjamin Kolleg der Philosophisch-historischen Fakultät ein Seminar anbieten und mit Studierenden und Doktorierenden zusammenarbeiten.

Eine Frage der Form

Gaea Schoeters, geboren 1976 in Sint-Niklaas bei Antwerpen, hat neben Romanen bereits Theaterstücke, Opernlibretti und ein bebildertes Kinderbuch veröffentlicht. Sie verwendet verschiedene Formen, um gesellschaftliche Verhältnisse zu analysieren.

Ihr 2020 veröffentlichter und 2024 auf Deutsch erschienener Roman Trophäe zum Beispiel erzählt die Geschichte eines Grosswildjägers, der selbst zum Gejagten wird. «Gaea Schoeters schreibt das Genre der kolonialen Jagdliteratur gleichsam gegen den Strich», sagt Oliver Lubrich, Professor für Komparatistik an der Universität Bern und Initiator der Dürrenmatt Gastprofessur. «Ebenso einfühlend wie herausfordernd beleuchtet sie die dunklen Flecken eines eurozentrischen Weltbildes und einer exotisierenden Wahrnehmung Afrikas.» In ihrer Kritik an der Grosswildjagd frage Schoeters, wie wir mit unserer kolonialen Vergangenheit umgehen können. Der Roman wurde von der Autorin 2024 auf der Leipziger Buchmesse vorgestellt und in deutschsprachigen Medien sehr positiv aufgenommen.

Die Frage, wie klassische Gattungen oder auch kanonische Kunstwerke zeitgenössische Anliegen übersetzen können, treibt Schoeters generell in ihrem Schreiben an. So behandelt ihre Kurzoper Rosalind die Geschichte der Wissenschaftlerin Rosalind Franklin, die als Erste die Doppelhelix-Struktur der DNA auf Fotografien festhielt, aber von der Nachwelt vergessen wurde. In Anlehnung an Adriano Banchieris Vokalwerk Barca di Venetia per Padova (1605) hat sie das Kammerspiel Notwehr verfasst, die Geschichte einer inhaftierten Aktivistin.

Fächerübergreifend feministisch

Schoeters führt die Literatur mit anderen Kunstformen zusammen, etwa mit Musik oder mit Illustrationen. «Formale Experimente sind für Gaea Schoeters kein ästhetischer Selbstzweck, sondern ein Ausdruck von sozialem Engagement», erklärt Oliver Lubrich. Als Gastgeberin der Dead Ladies Show stellt die vielseitige Künstlerin vergessene Frauen der Kunst- und Weltgeschichte in den Mittelpunkt. Mit dem feministischen Autorinnenkollektiv FixDit setzt sie sich für Gleichberechtigung im Literatur­betrieb ein.

Alte Formen, neue Ideen

In ihrem wöchentlichen Seminar an der Universität Bern geht Schoeters der Frage nach, inwiefern die Literatur noch unsere Wirklichkeit abbildet. Welche Rolle spielen Formen wie das Theater, die Oper oder der Roman heute? Wie können alte Formate neue Ideen vermitteln? Was sagen uns kanonische Texte? Wie verstehen wir ihre historischen Hintergründe? Wie verändern sich in der Literatur die Geschlechterrollen? Und welche Bereiche der Wirklichkeit werden in den Künsten nach wie vor übersehen?

Literatur erleben

Mit ihren Studierenden will Gaea Schoeters in Bern und in Zürich ins Theater und in die Oper gehen und mit Dramaturgen und Regisseurinnen ins Gespräch kommen. Das persönliche Erleben der Aufführungen soll den Teilnehmenden die Möglichkeit bieten, sich mit den klassischen Formen und deren heutigen Inszenierungsbedingungen auseinanderzusetzen. Die im Seminar behandelten Fragen sollen nicht nur an die Texte, sondern auch an die Kulturschaffenden gerichtet werden, die sie an die Öffentlichkeit bringen.

Auftakt in der Burgerbibliothek

Die öffentliche Auftaktveranstaltung mit Gaea Schoeters findet am 24. Februar um 18.30 Uhr im Hallersaal der Burgerbibliothek in Bern statt.

Friedrich Dürrenmatt Gastprofessur

Die Friedrich Dürrenmatt Gastprofessur für Weltliteratur erweitert das akademische und kulturelle Angebot in Bern und darüber hinaus. Seit dem Frühjahr 2014 unterrichtet in jedem Semester ein internationaler Gast an der Universität Bern. Die Autorinnen und Autoren geben je eine 14-wöchige Lehrveranstaltung und arbeiten wie reguläre Professorinnen und Professoren mit Studierenden und Doktorierenden zusammen. Zusätzlich zu ihren Seminaren oder Vorlesungen werden universi­täre und öffentliche Veranstaltungen in Bern sowie an anderen Orten in der Schweiz organisiert. Die Gastprofessur wird durch­geführt mit Unterstützung der Burgergemeinde Bern.

Bisherige Friedrich Dürrenmatt Gastprofessorinnen und Gastprofessoren

Frühjahr 2014: David Wagner (Deutschland)

Herbst 2014: Joanna Bator (Polen)

Frühjahr 2015: Louis-Philippe Dalembert (Haïti)

Herbst 2015: Wendy Law-Yone (Burma)

Frühjahr 2016: Fernando Pérez (Kuba)

Herbst 2016: Wilfried N’Sondé (Kongo)

Frühjahr 2017: Juan Gabriel Vásquez (Kolumbien)

Herbst 2017: Josefine Klougart (Dänemark)

Frühjahr 2018: Xiaolu Guo (China)

Herbst 2018: Peter Stamm (Schweiz)

Frühjahrs 2019: Nedim Gürsel (Türkei)

Herbst 2019: Lizzie Doron (Israel)

Frühjahr und Herbst 2020 (während der Corona-Pandemie): Mathias Énard (Frankreich)

Frühjahr 2021: Lukas Bärfuss (Schweiz)

Herbst 2021: Adania Shibli (Palästina)

Frühjahr 2022: Karl Schlögel (Vorlesung zur Ukraine, durchgeführt im Frühjahr 2023)

Herbst 2022: Nell Zink (USA)

Frühjahr 2023: Cristina Morales (Spanien)

Herbst 2023: Abdourahman Waberi (Dschibuti)

Frühjahr 2024: Johny Pitts (Grossbritannien)

Herbst 2024: Marlene Streeruwitz (Österreich)

Frühjahr 2025: Gaea Schoeters (Belgien)

Weitere Informationen zur Dürrenmatt Gastprofessur: http://www.wbkolleg.unibe.ch/ueber_uns/friedrich_duerrenmatt_gastprofessur

Projektseite: www.wbkolleg.unibe.ch

 

04.02.2025