Gezeitenkräfte der Sonne könnten Klippen auf dem Merkur verformt haben
Eine neue Studie von Forschenden der Universität Bern zeigt, dass die hügelige Oberfläche des Merkurs nicht nur durch die Abkühlung und Kontraktion des Planeten, sondern auch durch die Gezeitenkräfte der Sonne beeinflusst sein könnte. In weiteren Schritten sollen neue Daten der BepiColombo-Mission, die derzeit zum Merkur unterwegs ist, analysiert werden. BepiColombo ist eine gemeinsame Mission der europäischen Weltraumorganisation ESA und der japanischen Weltraumorganisation JAXA. Die Universität Bern ist mit zwei Instrumenten daran beteiligt.
Die Oberfläche des Merkur ist geprägt von Hügeln und steilen Klippen. Anders als die Erde hat Merkur keine tektonischen Platten, die sich gegeneinander verschieben. Stattdessen ist seine Kruste wie eine einzige feste Schale. Die Hügel und Klippen entstanden grösstenteils, weil der Planet sich nach seiner Entstehung vor über 4.5 Milliarden Jahren im Laufe der Zeit abkühlte und dadurch schrumpfte.
Normalerweise zieht sich ein Planet bei der Abkühlung gleichmässig zusammen mit geringen horizontalen Bewegungen. Genauere Untersuchungen des Merkur zeigen jedoch, dass es nicht nur zu einer Schrumpfung kam, sondern auch zu Seitwärtsverschiebungen in der Oberflächenstruktur. Dies deutet darauf hin, dass komplexere innere und äussere Kräfte am Werk sind. Eine neue Studie von Dr. Liliane Burkhard und Prof. Dr. Nicolas Thomas von der Abteilung Weltraumforschung und Planetologie des Physikalischen Instituts an der Universität Bern liefert nun weitere Erklärungen zur Entstehung dieser Oberflächenstrukturen. Sie zeigen in der neuen Studie, dass die Oberflächenmerkmale des Merkurs nicht nur durch die Abkühlung und Schrumpfung des Planeten beeinflusst wurden, sondern auch durch Gezeitenkräfte, die mit der Umlaufbahn des Merkurs um die Sonne und seiner Rotation um sich selbst zusammenhängen. Die Studie wurde soeben in der Zeitschrift Journal of Geophysical Research: Planets publiziert.
Neue Hinweise durch Modelle zur Umlaufbahn und Rotation Merkurs
Seit Langem diskutieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wie die auf dem Merkur beobachteten Verwerfungsmuster, also Risse und Bruchlinien in der Gesteinskruste, genau entstanden sind. Bislang ging man davon aus, dass diese Tektonik hauptsächlich eine Folge der Abkühlung und Kontraktion des Planeten sei.
Der kleine Planet in unmittelbarer Nähe der Sonne ist ihrem enormen Schwerefeld und somit ihrer Gezeitenkraft ausgesetzt. Der Merkur ist auch bekannt für seine 3:2 Spin-Orbit-Resonanz, das heisst, er rotiert dreimal um seine eigene Achse, während er zweimal die Sonne umrundet. Besonders ist ebenfalls seine hohe Bahnexzentrizität, also die Tatsache, dass seine Umlaufbahn um die Sonne stark elliptisch und nicht kreisförmig ist. Dies bedeutet, dass die Gezeitenkräfte der Sonne, denen er ausgesetzt ist, im Laufe der Zeit periodisch variieren. Die wechselnden Kräfte erzeugen Spannungen in der Kruste, welche die Oberfläche allmählich deformieren und möglicherweise tektonische Aktivitäten beeinflussen. «Diese orbitalen Eigenschaften erzeugen Gezeitenspannungen, die Spuren auf der Oberfläche des Planeten hinterlassen können. Der Merkur zeigt tektonische Muster, die auf mehr als nur einfache Abkühlung und Kontraktion hindeuten. Unser Ziel war es, herauszufinden, wie die Gezeitenkräfte zur Formung der Merkurkruste beitragen», erklärt Liliane Burkhard, Erstautorin der Studie.
Burkhard und Thomas erstellten physikalische Modelle des Merkur-Inneren, sowohl der Gegenwart als auch der Vergangenheit, und nutzten diese, um zu berechnen, wie die Gezeitenkräfte der Sonne die Oberflächenspannungen über die letzten vier Milliarden Jahre beeinflussen konnten. «Durch die Veränderung von Parametern wie Rotationsgeschwindigkeit und Bahnexzentrizität konnten wir simulieren und ableiten, wie sich die Tektonik des Merkurs entwickelt haben könnte», erläutert Burkhard.
Der Einfluss der Sonne
Die Forschungsergebnisse zeigen, dass die Gezeitenkräfte der Sonne über lange geologische Zeiträume hinweg die Entwicklung und Ausrichtung der tektonischen Merkmale auf der Merkuroberfläche beeinflusst haben könnten. «Die Gezeitenspannungen wurden bislang weitgehend übersehen, da sie als zu gering angesehen wurden, um eine bedeutende Rolle zu spielen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass das Ausmass dieser Spannungen zwar nicht ausreicht, um allein Verwerfungen zu erzeugen, jedoch stimmt die Richtung der gezeitenbedingten Oberflächenspannungen mit den beobachteten Ausrichtungen der Verwerfungsmuster auf der Merkuroberfläche überein. Dies deutet darauf hin, dass die Gezeitenspannungen über lange geologische Zeiträume hinweg die Entwicklung und Ausrichtung tektonischer Merkmale beeinflusst haben könnten. Dies ist ein Aspekt der Entwicklung des Merkurs, der bisher noch nicht erforscht wurde,» so Burkhard.
Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass selbst subtile Kräfte wie die sich ändernde Anziehungskraft der Sonne einen bleibenden Eindruck auf der Oberfläche eines Planeten hinterlassen können. «Zu verstehen, wie sich ein Planet wie Merkur verformt, hilft uns zu begreifen, wie sich planetarische Körper über Milliarden von Jahren entwickeln», betont Burkhard. Diese Erkenntnisse könnten auch auf andere Planeten angewendet werden, um deren geologische Geschichte und Entwicklung besser zu verstehen.
Berner Beteiligung an der BepiColombo-Mission
Weitere Erkenntnisse erhoffen sich die Forschenden von der Analyse von Daten der BepiColombo-Mission der europäischen Weltraumorganisation ESA und der japanischen Weltraumorganisation JAXA, die derzeit zum Merkur unterwegs ist. Die Universität Bern ist mit zwei Instrumenten an dieser Mission beteiligt, darunter mit dem Laser-Altimeter BELA (BepiColombo Laser Altimeter), das am Physikalischen Institut der Universität Bern mit einem internationalen Konsortium konzipiert und gebaut wurde. Nicolas Thomas ist Co-Projektleiter, Liliane Burkhard Instrumentenwissenschaftlerin von BELA.
Im April 2018 hat BELA an Bord des Mercury Planetary Orbiter seine 80 Millionen Kilometer lange Reise zum Planeten Merkur angetreten, wo es Ende 2026 angekommen wird. «BELA ist ein Laser-Altimeter, das aus etwa 1'000 km Höhe mithilfe von Laserpulsen die Entfernung zur Oberfläche von Merkur messen wird mit einer Genauigkeit von rund 10 cm. Wir werden dank dieser Daten ein 3D-Bild der Topografie von Merkur erstellen können», so Thomas. Burkhard ergänzt: «Die Daten von BELA werden uns helfen, die Modelle zur tektonischen Deformation und der Oberflächenbeschaffenheit des Merkur zu verfeinern und ein noch detaillierteres Bild der geologischen Prozesse auf dem Merkur zu zeichnen», sagt Burkhard abschliessend.
Angaben zur Publikation:Liliane M.L. Burkhard & Nicolas Thomas. (2025). Exploring Mercury’s Tidal Stresses Through Time: Effects of Orbital Eccentricity, Rotational Dynamics, and Their Implications for Tectonics. Journal of Geophysical Research: Planets, 14.06.2025 URL: https://agupubs.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1029/2024JE008736 DOI: 10.1029/2024JE008736 |
Über die BepiColombo-MissionBepiColombo wurde am 20. Oktober 2018 gestartet und ist eine gemeinsame Mission der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) und der Jjapanischen Weltraumagentur JAXA, die unter der Leitung der ESA durchgeführt wird. Es handelt sich um die erste Mission Europas zum Merkur. Die Mission besteht aus zwei Raumfahrzeugen, dem von der europäischen Weltraumorganisation ESA konstruierten und gebauten Mercury Planetary Orbiter (MPO) und dem von der japanischen Weltraumorganisation JAXA konstruierten und gebauten Mercury Magnetospheric Orbiter (MMO). Die beiden Raumfahrzeuge fliegen in einem gekoppelten System gemeinsam zum Merkur, bis sie die Merkurumlaufbahn erreichen. Der MMO wird dann in eine ideale Umlaufbahn gebracht, um die magnetosphärische Wechselwirkung zwischen dem Planeten und dem Sonnenwind detailliert zu untersuchen. Der MPO wird auf eine Umlaufbahn von rund 1'000 km absinken, die optimal für die Fernerkundung der Planetenoberfläche ist. Mehr Informationen zur Mission auf der ESA-Webseite Mit an Bord von BepiColombo sind Instrumente, die am Physikalischen Institut der Universität Bern konzipiert und gebaut wurden: Das Laser Altimeter BELA und das neuartige Massenspektrometer STROFIO. Das Altimeter BELA ist eines der wichtigsten Experimente an Bord des MPO. Zielsetzung ist die Vermessung der Form, der Topographie, und der Morphologie der Oberfläche von Merkur. BELA wird die absolute Höhe und Position der Topographie in einem Merkur-zentrierten Koordinatensystem liefern. Das Massenspektrometer STROFIO ist Teil von SERENA an Bord des MPO. Zielsetzung von SERENA ist die vollständige Charakterisierung der Teilchenpopulationen, der Ionen und Neutralteilchen, im Umfeld von Merkur unter dem Einfluss der Sonneneinstrahlung und des Sonnenwindes. |
Berner Weltraumforschung: Seit der ersten Mondlandung an der WeltspitzeAls am 21. Juli 1969 Buzz Aldrin als zweiter Mann aus der Mondlandefähre stieg, entrollte er als erstes das Berner Sonnenwindsegel und steckte es noch vor der amerikanischen Flagge in den Boden des Mondes. Dieses Solar Wind Composition Experiment (SWC), welches von Prof. Dr. Johannes Geiss und seinem Team am Physikalischen Institut der Universität Bern geplant, gebaut und ausgewertet wurde, war ein erster grosser Höhepunkt in der Geschichte der Berner Weltraumforschung. Die Berner Weltraumforschung ist seit damals an der Weltspitze mit dabei: Die Universität Bern nimmt regelmässig an Weltraummissionen der grossen Weltraumorganisationen wie ESA, NASA oder JAXA teil. Mit CHEOPS teilt sich die Universität Bern die Verantwortung mit der ESA für eine ganze Mission. Zudem sind die Berner Forschenden an der Weltspitze mit dabei, wenn es etwa um Modelle und Simulationen zur Entstehung und Entwicklung von Planeten geht. Die erfolgreiche Arbeit der Abteilung Weltraumforschung und Planetologie (WP) des Physikalischen Instituts der Universität Bern wurde durch die Gründung eines universitären Kompetenzzentrums, dem Center for Space and Habitability (CSH), gestärkt. Der Schweizer Nationalfonds sprach der Universität Bern zudem den Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) PlanetS zu, den sie gemeinsam mit der Universität Genf leitet. |
20.06.2025