Die Venus ist tektonisch lebendiger als gedacht

Laut einer Studie von Forschenden des Center for Space and Habitability (CSH) der Universität Bern und der NASA finden unter der Oberfläche der Venus mehrere tektonische Prozesse statt. Die Studie zeigt, dass viele der zahlreichen Coronae, grossflächige, ringförmige Strukturen, die über die gesamte Venuskugel verstreut sind, mit Störungen des Schwerefeldes verbunden sind, was auf tektonische Prozesse unter der Oberfläche hindeutet. Dieses überraschende Ergebnis, das den ursprünglichen Annahmen widerspricht, dass das Innere der Venus tektonisch «tot» ist, wurde anhand von Archivdaten der Magellan-Mission der NASA entdeckt.

Die Venus, unser nächster Nachbarplanet, weist viele Ähnlichkeiten mit unserem eigenen Planeten auf, aber auch grosse Unterschiede. Geologisch gesehen zeichnet sich die Venus durch das Fehlen der globalen Plattentektonik aus, die für die Formung und Erneuerung der Erde so wichtig ist.

Neue Erkenntnisse eines Forschungsteams unter der Leitung von Dr. Anna Gülcher vom Center for Space and Habitability (CSH) der Universität Bern und dem Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) PlanetS stellen die ursprünglich akzeptierte Vorstellung in Frage, dass die Venus seit Äonen tektonisch inaktiv ist. Darüber hinaus würden die vorgeschlagenen tektonischen Mechanismen die Entstehung der zahlreichen Coronae erklären, die auf der Venusoberfläche zu sehen sind. Das Team fand heraus, dass die meisten Coronae mit Regionen mit dünnerer Planetenkruste in Verbindung stehen. Sie vermuten, dass Blasen aus heissem Mantelmaterial aufsteigen und die Venuskruste in den Coronae-Regionen aufblähen und an vielen Stellen den Rand dieser Regionen dazu zwingen, sich unter das Innere zu schieben, ähnlich wie es bei der plattentektonischen Subduktion auf der Erde geschieht. Die Studie wurde soeben in Science Advances veröffentlicht.

Untersuchung des für einen Planeten einzigartigen Terrains

Das Team verwendete Daten der NASA-Raumsonde Magellan, die zwischen 1990 und 1994 die Venus untersuchte. Insbesondere konzentrierte sich das Forschungsteam auf eine Art von Oberflächenstruktur, die es auf der Erde nicht gibt, die aber auf der Venus häufig vorkommt: Coronae. Diese Strukturen sind meist kreisförmig oder eiförmig und zeichnen sich durch einen Kranz von Verwerfungen und Brüchen aus, die ihre eigentümliche Form erzeugen. Zunächst analysierte das Team die Radarbilder der Oberfläche in Kombination mit topografischen Daten neu und fand Hunderte von Coronae mehr als zuvor identifiziert. Insgesamt wurden nun 740 Coronae identifiziert. Im Durchschnitt haben diese einen Durchmesser von

220 km, was der Schweiz von Nord nach Süd entspricht. «Wir haben uns auf die 75 grössten Coronae konzentriert, da dies die einzigen sind, bei denen die Schwerkraftdaten gut genug aufgelöst sind, um sie im Detail zu untersuchen», erklärt Gülcher. «Die von uns untersuchten Coronae haben einen Durchmesser von 350 km bis hin zu 2’500 km – letzteres entspricht der Fläche der USA von Norden nach Süden oder der Hälfte der Fläche Europas.»

Das Team untersuchte dann die Position der 75 Coronae und stellte fest, dass zwei Drittel von ihnen mit leichten Störungen der von der Raumsonde Magellan erfassten Schwerkraftdaten verbunden sind. Die aufgezeichneten Störungen deuten auf die Dichte der Lithosphäre hin und stimmen mit thermischen Auftriebsströmen von heissem, schwimmfähigem Material überein, das unter der Planetenkruste aufsteigt. «Coronae gibt es heute auf der Erde nicht, aber es könnte sie gegeben haben, als unser Planet noch jung war und bevor sich die Plattentektonik herausgebildet hat», sagte der Hauptautor der Studie, Gael Cascioli, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der University of Maryland, Baltimore County, und am Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt, Maryland. «Durch die Kombination von Schwerkraft- und Topographiedaten gibt unsere Forschung einen neuen und wichtigen Einblick in die möglichen unterirdischen Prozesse, die derzeit die Oberfläche der Venus formen.»

Eine Reihe von erdähnlichen tektonischen Prozessen

Die Computersimulationen des Teams zeigen, wie sich die grossen Coronae auf der Venus wahrscheinlich bilden. «Es beginnt damit, dass sich Material im Inneren der Venus erwärmt», erklärt Gülcher. «Das erwärmte Material steigt dann durch den Erdmantel in einem sogenannten Plume auf, der sich unter den Coronae befindet. Durch diesen Auftrieb entsteht eine tektonische Dynamik, die zu der eigentümlichen Form führt.» Näher an der Oberfläche wird das erwärmte Material geschmolzen und hebt die Oberfläche der Corona im Vergleich zu ihrer Umgebung an und dehnt sich radial aus, wodurch der Durchmesser wächst. In vielen Fällen stösst das nach aussen drängende Material mit der umgebenden Kruste zusammen, wodurch ein Gebirgsring am Rand der Corona entsteht. Der verdickte Krustenring kann schliesslich von unten abreissen und in das Innere des Planeten tropfen. Alternativ kann, wie bei der Plattentektonik auf der Erde, die kältere umgebende Kruste unter das wärmere Innere abtauchen, wodurch die charakteristischen Verwerfungen und engen Vertiefungen entstehen, die viele Coronae umgeben. Es gibt jedoch einen großen Unterschied zu den bekannten plattentektonischen Prozessen auf der Erde: Auf der Venus gibt es kein globales Netzwerk der Subduktion.

«Die Hypothese der Subduktion auf der Venus wurde von der wissenschaftlichen Gemeinschaft bereits in den neunziger Jahren nach der ersten Analyse der Magellan-Daten formuliert», betont Gülcher. Diese Theorie erhielt im Jahr 2020 neuen Auftrieb, als Gülcher die ersten erfolgreichen dreidimensionalen Computersimulationen solcher tektonischer Prozesse auf der Venus durchführte und dabei viele beobachtete Coronae erfolgreich reproduzierte. Das Phänomen wurde zwar schon seit Jahrzehnten vermutet, aber die Kombination von topografischen Daten und Gravitationsdaten mit diesen Computersimulationen ist wohl der stärkste Beweis für die Theorie.

Dennoch erklären diese Prozesse nur einen Teil der 75 Coronae. Die Subduktion ist einer der vier vom Team identifizierten Prozesse, zu denen auch das Krustenrecycling am Rand der Corona gehört (Krustentropfung vs. Subduktion), während die beiden anderen Prozesse durch ein einfaches Magmareservoir gekennzeichnet sind, das die Kruste durch kreisförmige Bruchmuster und Vulkanismus beeinflusst.

Neue Raumschiffe sind bald unterwegs

Um die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Coronae weiter zu erforschen, werden Daten mit höherer Auflösung benötigt. Dies wird dank mehrerer Sonden möglich sein, die Anfang der 2030er Jahre gestartet werden sollen: EnVision, unter der Leitung der Europäischen Weltraumorganisation ESA und VERITAS, unter der Leitung der NASA. Ein Schweizer Konsortium (ETHZ, KOEGL Space, FHNW, HSLU und Space Acoustics) ist an der ersten Mission beteiligt, indem es zum Instrument VenSpec-H beiträgt, das die atmosphärischen Gase der Venus analysieren wird, um vulkanische Aktivitäten, das Klima und die Wechselwirkungen zwischen Oberfläche und Atmosphäre zu untersuchen. Von besonderer Bedeutung für diese Studie ist, dass sowohl VERITAS als auch EnVision die Schwerkraftdaten der Venus in viel höherer Auflösung als derzeit verfügbar messen werden. «Die höhere Auflösung des Schwerefeldes wird uns in die Lage versetzen, eine ähnliche Studie an Hunderten von kleineren Koronen durchzuführen», so Gülcher, die zum Wissenschaftsteam beider Missionen gehört, abschliessend.

Publikationsangaben:

G. Cascioli, A. J. P. Gülcher, E. Mazarico, S. E. Smrekar, 2025. A spectrum of tectonic processes at coronae on Venus revealed by gravity and topography. Science Advances 11, 2025
URL: https://doi.org/10.1126/sciadv.adt5932 
DOI: 10.1126/sciadv.adt5932

Center for Space and Habitability (CSH)

Das Center for Space and Habitability (CSH) hat die Aufgabe, den Dialog und die Interaktion zwischen den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen zu fördern, die sich mit der Entstehung, Entdeckung und Charakterisierung anderer Welten innerhalb und ausserhalb des Sonnensystems, unserer Suche nach Leben in anderen Teilen des Universums und den Auswirkungen auf andere Disziplinen als die Naturwissenschaften beschäftigen. Zu den Mitgliedern, Partnern und Kooperationspartnern gehören Expertinnen und Experten aus der Astronomie, der Astrophysik und Astrochemie, der Klima- und Planetenforschung, der Geologie und Geophysik, der Biochemie und Philosophie. Beteiligt ist das CSH auch an Beobachtungen mit Weltraumteleskopen wie dem James Webb Space Telescope und mit grossen bodengestützten Einrichtungen wie dem Atacama Large Millimeter Array und dem European Extremely Large Telescope, das sich derzeit in der Bauphase befindet. Das CSH beherbergt zudem die CSH- und Bernoulli-Stipendien, die junge, dynamische und talentierte Forschende aus der ganzen Welt aufnehmen, um unabhängige Forschung zu betreiben. Das CSH führt eine Reihe von Programmen durch, um die interdisziplinäre Forschung an der Universität Bern zu fördern, einschliesslich der Zusammenarbeit und des offenen Dialogs mit Medizin, Philosophie und Theologie. Das CSH hat eine aktive Verbindung zu ähnlichen Zentren in der Schweiz, so mit dem Life in the Universe Center (LUC) in Genf und dem Centre for Origin and Prevalence of Life (COPL) in Zürich.

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Berner Weltraumforschung: Seit der ersten Mondlandung an der Weltspitze

Als am 21. Juli 1969 Buzz Aldrin als zweiter Mann aus der Mondlandefähre stieg, entrollte er als erstes das Berner Sonnenwindsegel und steckte es noch vor der amerikanischen Flagge in den Boden des Mondes. Dieses Solar Wind Composition Experiment (SWC), welches von Prof. Dr. Johannes Geiss und seinem Team am Physikalischen Institut der Universität Bern geplant, gebaut und ausgewertet wurde, war ein erster grosser Höhepunkt in der Geschichte der Berner Weltraumforschung.

Die Berner Weltraumforschung ist seit damals an der Weltspitze mit dabei: Die Universität Bern nimmt regelmässig an Weltraummissionen der grossen Weltraumorganisationen wie ESA, NASA oder JAXA teil. Mit CHEOPS teilt sich die Universität Bern die Verantwortung mit der ESA für eine ganze Mission. Zudem sind die Berner Forschenden an der Weltspitze mit dabei, wenn es etwa um Modelle und Simulationen zur Entstehung und Entwicklung von Planeten geht.

Die erfolgreiche Arbeit der Abteilung Weltraumforschung und Planetologie (WP) des Physikalischen Instituts der Universität Bern wurde durch die Gründung eines universitären Kompetenzzentrums, dem Center for Space and Habitability (CSH), gestärkt. Der Schweizer Nationalfonds sprach der Universität Bern zudem den Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) PlanetS zu, den sie gemeinsam mit der Universität Genf leitet.

14.05.2025

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