Tropenwälder: menschliche Eingriffe verändern Baumartenvielfalt
Ein internationales Team von Forschenden unter Beteiligung der Universität Bern haben die Folgen der Abholzung und Degradierung von Tropenwäldern untersucht. Sie konnten zeigen, dass es «Gewinner»- und «Verlierer»-Arten gibt, wobei die Verdrängung der «Verlierer» zu einem Rückgang der ökologischen Funktionen in tropischen Wäldern führen kann.
Tropische Wälder sind das wichtigste Reservoir der terrestrischen Biodiversität. Sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Aufnahme von Treibhausgasen und stellen wichtige Ökosystemdienstleistungen bereit. Dennoch sind sie Opfer einer rapiden Entwaldung und Waldfragmentierung mit einem Verlust von 3 bis 6 Millionen Hektar pro Jahr in den letzten zwei Jahrzehnten. Ein grosser Teil der heutigen Tropenwälder besteht daher aus vom Menschen veränderten Landschaften, die lokalen Belastungen wie Abholzung, Jagd und Bränden ausgesetzt sind. Die anthropogene Veränderung der Landschaft kann zur Zunahme einiger weniger Arten und zum Verlust vieler Arten führen.
In einer neuen Studie zeigt ein internationales Team mit Beteiligung von Dr. Bruno X. Pinho vom Institut für Pflanzenwissenschaften der Universität Bern nun, dass in tropischen Waldregionen mit intensiver Abholzung und Degradierung der Wälder, schnell wachsende Baumarten mit kleinen Samen vorherrschen. Die Veränderung der Baumarten könnte erhebliche Auswirkungen auf die Ökosystemdienstleistungen dieser Wälder haben – einschliesslich ihrer wichtigen Fähigkeit, Kohlenstoff aufzunehmen und zu speichern.
Die in der Studie als «Gewinner» bezeichnete Baumarten wachsen zwar schnell, haben aber nur eine begrenzte Lebensdauer, da ihre Stämme und Äste weit weniger dicht sind als die der langsam wachsenden Baumarten, die sie verdrängen. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature Ecology and Evolution veröffentlicht.
Über 1'200 tropische Baumarten untersucht
Für die Studie untersuchte die internationale Forschungsgruppe einen einzigartigen Datensatz von über 1’200 tropischen Baumarten in mehr als 270 Waldparzellen in sechs Regionen des brasilianischen Amazonas- sowie Atlantischen Regenwaldes, die durch menschliche Aktivitäten wie Entwaldung und lokale Störungen wie Holzeinschlag, Jagd und Brandrodung beeinflusst wurden.
Mithilfe verschiedener statistischer Modelle analysierte die Forschungsgruppe die kausalen Auswirkungen von Waldverlust, Fragmentierung und lokaler Waldzerstörung auf die Zusammensetzung der Wälder und ermittelte die Merkmale der sogenannten «Gewinner»- und «Verlierer»-Arten.
«Unsere Untersuchungen zeigen, dass die Baumarten, die Landschaften dominieren, in denen der Waldanteil noch hoch ist, eher dichtes Holz und grosse Samen haben. Diese Samen werden von mittelgrossen bis grossen Tieren, die für die brasilianischen Regenwälder typisch sind, verbreitet», erklärte Bruno X. Pinho, Erstautor der Studie und Postdoktorand am Institut für Pflanzenwissenschaften der Universität Bern. Pinho hat einen grossen Teil der Forschung durchgeführt, als er noch an der Universität Montpellier tätig war.
«In stark entwaldeten Landschaften hingegen, wo die verbliebenen Wälder zusätzlich dem Druck des Menschen ausgesetzt sind, verlieren diese Baumarten an Bedeutung zugunsten so genannter ,opportunistischer’ Arten, die weicheres Holz und kleinere Samen haben, die von kleinen, mobilen Vögeln und Fledermäusen gefressen werden, die an die Störung des Waldes angepasst sind. Diese Arten wachsen in der Regel schneller und können sich besser ausbreiten», so Pinho weiter.
Dringender Handlungsbedarf, um Ökosystemfunktionen und Flora und Fauna zu schützen
Diese Forschungsergebnisse unterstreichen die dringende Notwendigkeit, den Schutz und die Wiederherstellung der Tropenwälder zu verstärken, um diese lebenswichtigen Ökosysteme zu erhalten. «Die starken Auswirkungen der Walddegradierung in einigen Amazonasregionen zeigen, wie wichtig es ist, nicht nur gegen die Abholzung vorzugehen, sondern auch Störungen der Wälder wie selektiven Holzeinschlag und Brände zu bekämpfen», sagt Professor Jos Barlow von der Lancaster University, der die Studie leitete.
«Die funktionellen Veränderungen haben ernsthafte Auswirkungen, die dringend quantifiziert werden müssen. Sie deuten auf eine mögliche Verschlechterung wichtiger Ökosystemprozesse und ihrer Leistungen für den Menschen hin, insbesondere durch Veränderungen der biogeochemischen Kreisläufe – insbesondere des Kohlenstoffkreislaufs – aber auch der Wechselwirkungen zwischen Fauna und Flora und der Regeneration von Wäldern», erklärt Felipe Melo, zweiter Autor der Studie und Forschender an der Universidade Federal De Pernambuco in Brasilien (jetzt an der Nottingham Trent University). Unter anderem zeigen die Forschenden auf, dass es Massnahmen braucht, um Populationen grosser Vögel wie Tukane und Säugetiere wie Spinnenaffen zu schützen, welche die Samen der «verlierenden» langsam wachsenden Baumarten mit grossen Samen verbreiten.
Zukunftsweisende Forschung und politische Implikationen
«Die negativen Auswirkungen des Verlustes von Lebensräumen auf die biologische Vielfalt sind allgemein anerkannt. Weniger bekannt und umstritten sind jedoch die unabhängigen Auswirkungen der Landschaftsfragmentierung und lokaler Degradierung. Das liegt vor allem daran, dass es schwierig ist, zwischen kausalen und nicht-kausalen Zusammenhängen zu unterscheiden», erklärt David Bauman, Forschungsbeauftragter des French National Research Institute for Sustainable Development (IRD) an der Université de Montpellier und Mitautor der Studie. So berichten einige Studien von positiven, andere von negativen Auswirkungen dieser Fragmentierung. Diese oft geringen Auswirkungen werden nur in Bezug auf die Artenzahl dokumentiert. Hinter einer geringen Auswirkung auf die Artenzahl kann sich jedoch die Verdrängung mehrerer Arten durch andere Arten mit anderen ökologischen Strategien verbergen, was erhebliche Auswirkungen auf die Vielfalt und das Funktionieren dieser Ökosysteme hat.
Das Verständnis dieser Veränderungen und die Unterscheidung zwischen kausalen und nicht-kausalen Zusammenhängen sind den Forschenden zufolge entscheidend für ein Management fragmentierter Landschaften, das diese Ökosysteme und ihre Vielfalt erhält.
Die Studie wurde von der UKRI National Environment Research Council finanziell unterstützt.
Angaben zur Publikation:Bruno X. Pinho, Felipe P.L. Melo, Cajo J.F. ter Braak, David Bauman, Isabelle Maréchaux, Marcelo Tabarelli, Maíra Benchimol, Victor Arroyo-Rodriguez, Bráulio A. Santos, Joseph E., Hawes, Erika Berenguer, Joice Ferreira, Juliana M. Silveira, Carlos A. Peres, Larissa Rocha‐Santos, Fernanda Souza, Thiago Gonçalves-Souza, Eduardo Mariano-Neto, Deborah Faria & Jos Barlow. (2024). Winner-loser plant trait replacements in human-modified tropical forests. Nature Ecology and Evolution. |
Das Institut für PflanzenwissenschaftenDas Institut für Pflanzenwissenschaften an der Universität Bern widmet sich dem Verständnis der Funktionsweise, des Wachstums und der Entwicklung von Pflanzen. Die Grundlagenforschung am Institut umfasst viele Bereiche, von der Physiologie zur Ökologie, von Molekülen über Zellen bis hin zu ganzen Pflanzen und Vegetationen. |
10.12.2024