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Hinweise auf eine mögliche Atmosphäre um einen felsigen Exoplaneten

Forschende haben mit dem NASA/ESA/CSA James-Webb-Weltraumteleskop möglicherweise eine Atmosphäre um 55 Cancri e, einen felsigen Exoplaneten 41 Lichtjahre von der Erde entfernt, entdeckt. Dies ist der bisher beste Beweis für eine Atmosphäre bei einem Gesteinsplaneten ausserhalb unseres Sonnensystems. Brice Olivier Demory, Professor für Astrophysik an der Universität Bern und Mitglied des Nationalen Forschungsschwerpunkts NFS PlanetS, war Teil des internationalen Forschungsteams, dessen Studie soeben in Nature publiziert wurde.

55 Cancri e ist einer von fünf bekannten Planeten, die einen sonnenähnlichen Stern im Sternbild Krebs umkreisen. Mit einem Durchmesser, der fast doppelt so gross ist wie jener der Erde, und einer geringfügig höheren Dichte wird der Planet als sogenannte Supererde eingestuft: grösser als die Erde, kleiner als Neptun und in der Zusammensetzung ähnlich wie die Gesteinsplaneten in unserem Sonnensystem.

Brice-Olivier Demory vom Center for Space and Habitability CSH der Universität Bern und Mitglied des NFS PlanetS ist Mitautor der Studie, die kürzlich in Nature veröffentlicht wurde. Er sagt: «55 Cancri e ist einer der rätselhaftesten Exoplaneten. Trotz enormer Beobachtungszeit in den letzten zehn Jahres mit einem Dutzend Boden- und Weltrauminstrumenten blieben seine Eigenschaften unbekannt. Dies änderte sich nun mit der Auswertung von Daten, die mit dem NASA/ESA/CSA James-Webb-Weltraumteleskops (JWST) gewonnen wurden.» Unerwarteterweise zeigen diese Beobachtungen von 55 Canceri e einerseits, dass ein heisser und starker Strahlung ausgesetzter Gesteinsplanet eine Gasatmosphäre besitzen könnte, und sie sind ausserdem ein gutes Vorzeichen für die Fähigkeit des JWST, kühlere – und möglicherweise habitable – Gesteinsplaneten zu charakterisieren, die sonnenähnliche Sterne umkreisen. Renyu Hu vom Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA, Erstautor der aktuellen Studie, sagt: «JWST erweitert die Möglichkeiten der Charakterisierung von Exoplaneten auf felsige Exoplaneten», sagte Hu. «Dies eröffnet ein neues Forschungsfeld.»

Berner Weltraumteleskop CHEOPS lieferte wichtige Erkenntnisse

Demory wurde von Hu, einem seiner Kollegen aus seiner Zeit am Massachusetts Institute of Technology MIT, zum Forschungsprogramm eingeladen. Demory hat 55 Cancri e seit Beginn seiner Karriere untersucht: «Als Postdoc am MIT leitete ich die Entdeckung des ersten Transits von 55 Cancri e, und 2016 veröffentlichte mein Team die erste Karte eines felsigen Exoplaneten, der 55 Cancri e war.» Das Ergebnis von 2016 deutete bereits auf das mögliche Vorhandensein einer Atmosphäre um 55 Cancri e hin. Für die aktuelle Studie führte Demory eine unabhängige Analyse des Datensatzes durch. Er erklärt: «In den vergangenen zwei Jahren hat das Weltraumteleskop CHEOPS, das an der Universität Bern entwickelt und gebaut wurde, entscheidend dazu beigetragen, mehrere Fragen von Astrophysikern und Astrophysikerinnen zu 55 Cancri e zu beantworten. JWST ergänzte dieses Bild bei Infrarot-Wellenlängen und zeigte, dass die Super-Erde 55 Cancri e von einer Atmosphäre umgeben ist, deren Zusammensetzung mit Kohlenmonoxid oder Kohlendioxid übereinstimmt.»

Superheisse Super-Erde und dennoch kühler als erwartet

Obwohl 55 Cancri e in seiner Zusammensetzung den Gesteinsplaneten in unserem Sonnensystem ähnelt, könnte die Bezeichnung «felsig» einen falschen Eindruck vermitteln. Der Planet kreist so nahe um seinen Stern (eine volle Umkreisung dauert 18 Stunden, verglichen mit den 365 Tagen unserer Erde um die Sonne), dass seine Oberfläche geschmolzen sein muss und ein tiefer, brodelnder Ozean aus Magma ist. «Der Planet ist so heiss, dass ein Teil des geschmolzenen Gesteins verdampfen sollte», erklärt Hu. Bei einer so engen Umlaufbahn um seinen Stern ist der Planet wahrscheinlich auch gezeitenabhängig. Das bedeutet, dass seine Tagseite immer dem Stern zugewandt ist und seine Nachtseite in ständiger Dunkelheit liegt.

Obwohl JWST kein direktes Bild von 55 Cancri e einfangen kann, ist es in der Lage, subtile Veränderungen im Licht des Systems zu messen, wenn der Planet vor dem Stern vorbeizieht. Das Team verwendete die NIRCam (Nahinfrarotkamera) und das MIRI (Mittelinfrarotinstrument) von JWST, um das vom Planeten kommende Infrarotlicht zu messen. Durch Subtraktion der Helligkeit während der sekundären Finsternis, wenn sich der Planet hinter dem Stern befindet (nur Sternenlicht), von der Helligkeit, wenn sich der Planet direkt neben dem Stern befindet (Licht von Stern und Planet zusammen), konnte das Team die Menge an Infrarotlicht verschiedener Wellenlängen berechnen, das von der Tagseite des Planeten stammt.

Der erste Hinweis darauf, dass 55 Cancri e eine nennenswerte Atmosphäre besitzen könnte, ergab sich aus Temperaturmessungen, die auf der thermischen Emission, also der in Form von Infrarotlicht abgegebenen Wärmeenergie, basieren. Wenn der Planet mit einem dünnen Schleier aus verdampftem Gestein oder gar keiner Atmosphäre bedeckt wäre, müsste die Temperatur auf der Tagseite etwa 2’200 Grad Celsius betragen. «Stattdessen zeigten die MIRI-Daten eine relativ niedrige Temperatur von etwa 1’500 Grad Celsius», so Hu. «Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Energie von der Tagseite des Planeten auf die Nachtseite übertragen wird, höchstwahrscheinlich durch eine Atmosphäre mit vielen flüchtigen Bestandteilen.» Lavaströme könnten zwar etwas Wärme auf die Nachtseite transportieren, aber nicht effizient genug, um die Temperaturdifferenz zu erklären. Selbst wenn die Wärme gleichmässig über den Planeten verteilt wäre, erscheint die Tagseite um mehrere hundert Grad kühler als erwartet. Dies kann damit erklärt werden, dass ein Teil des von der Oberfläche abgestrahlten Infrarotlichts von der Atmosphäre absorbiert wird, bevor es von Teleskopen gemessen werden kann.

Blubbernder Magma-Ozean

Das Team geht davon aus, dass die Gase, die 55 Cancri e bedecken, aus dem Inneren des Planeten heraussprudeln. Die primäre Atmosphäre wäre aufgrund der hohen Temperatur und der intensiven Strahlung des Sterns längst verschwunden. Es würde sich also um eine sekundäre Atmosphäre handeln, die durch den Magmaozean ständig gespiesen wird, da Magma nicht nur aus Kristallen und flüssigem Gestein besteht, sondern auch eine Menge gelöstes Gas enthält.

Obwohl 55 Cancri e viel zu heiss ist, um habitabel zu sein, könnte er ein einzigartiges Fenster für die Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen Atmosphären, Oberflächen und dem Inneren von Gesteinsplaneten bieten und vielleicht auch Einblicke in die frühe Erde sowie in Venus und Mars ermöglichen, von denen man annimmt, dass sie von Magma-Ozeanen bedeckt waren. «Letztendlich wollen wir verstehen, welche Bedingungen es einem Gesteinsplaneten ermöglichen, eine gasreiche Atmosphäre aufrechtzuerhalten: die wichtigste Zutat für einen bewohnbaren Planeten» sagt Hu abschliessend.

Angaben zur Publikation:

A Secondary Atmosphere on the Rocky Exoplanet 55 Cnc e by Renyu Hu and al. ist in Nature publiziert.https://www.nature.com/articles/s41586-024-07432-x
DOI: 10.1038/s41586-024-07432-x

Das James-Webb-Weltraumteleskop

Das James-Webb-Weltraumteleskop ist das weltweit bedeutendste Weltraumteleskop für Weltraumforschung. JWST löst Rätsel in unserem Sonnensystem, blickt in ferne Welten um andere Sterne und erforscht die geheimnisvollen Strukturen und Ursprünge unseres Universums und unseren Platz darin. JWST ist ein internationales Programm unter der Leitung der NASA mit ihren Partnern, der Europäischen Weltraumorganisation ESA und der kanadischen Weltraumorganisation CSA. Forscherinnen und Forscher der Universität Bern sind an verschiedenen Beobachtungsprogrammen mit dem James Webb Space Telescope beteiligt.

Berner Weltraumforschung: Seit der ersten Mondlandung an der Weltspitze

Als am 21. Juli 1969 Buzz Aldrin als zweiter Mann aus der Mondlandefähre stieg, entrollte er als erstes das Berner Sonnenwindsegel und steckte es noch vor der amerikanischen Flagge in den Boden des Mondes. Dieses Solarwind Composition Experiment (SWC), welches von Prof. Dr. Johannes Geiss und seinem Team am Physikalischen Institut der Universität Bern geplant und ausgewertet wurde, war ein erster grosser Höhepunkt in der Geschichte der Berner Weltraumforschung.

Die Berner Weltraumforschung ist seit damals an der Weltspitze mit dabei: Die Universität Bern nimmt regelmässig an Weltraummissionen der grossen Weltraumorganisationen wie ESA, NASA oder JAXA teil. Mit CHEOPS teilt sich die Universität Bern die Verantwortung mit der ESA für eine ganze Mission. Zudem sind die Berner Forschenden an der Weltspitze mit dabei, wenn es etwa um Modelle und Simulationen zur Entstehung und Entwicklung von Planeten geht.

Die erfolgreiche Arbeit der Abteilung Weltraumforschung und Planetologie (WP) des Physikalischen Instituts der Universität Bern wurde durch die Gründung eines universitären Kompetenzzentrums, dem Center for Space and Habitability (CSH), gestärkt. Der Schweizer Nationalsfonds sprach der Universität Bern zudem den Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) PlanetS zu, den sie gemeinsam mit der Universität Genf leitet.

 

08.05.2024