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Generative KI ermöglicht klinische Vorhersagen bei Krebs

Eine kürzlich in «Nature Machine Intelligence» veröffentlichte Studie stellt ein fortschrittliches Modell der künstlichen Intelligenz (KI) vor, das in der Lage ist, virtuelle Färbungen von Krebsgewebe zu erzeugen. Die von Forschenden der Universität Lausanne und der Universität Bern geleitete Studie stellt einen wesentlichen Fortschritt auf dem Gebiet der pathologischen Analyse und Diagnose von Krebs dar.

Unter der Leitung von Marianna Rapsomaniki von der Universität Lausanne und Marianna Kruithof-de Julio von der Universität Bern hat ein Team von Forschenden aus den Computerwissenschaften, der Biologie und der Klinik durch die Kombination innovativer Computertechniken einen neuen Ansatz zur Analyse von Krebsgewebe entwickelt. Aus der Motivation heraus, fehlende experimentelle Daten zu überwinden – eine Herausforderung, mit der Forschende oft konfrontiert sind, wenn sie mit begrenztem Gewebe von Krebsbetroffenen arbeiten – haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den «VirtualMultiplexer» entwickelt: ein Modell der künstlichen Intelligenz (KI), das virtuelle Bilder von Gewebefärbungen erzeugt. Die Färbung erfolgt bislang im Labor mit Farbstoffen, die für bestimmte zelluläre Marker spezifisch sind. Dabei handelt es sich um Merkmale oder Moleküle in einer Zelle, welche die Erkennung dieser Zelle ermöglichen.

Virtuelle Färbung: Eine neue Ära in der Krebsforschung

Mithilfe generativer KI generiert der VirtualMultiplexer nun präzise und detaillierte Bilder von Krebsgewebe, die die Färbung dieser zellulären Marker nachahmen. Dies liefert wichtige Informationen über den Status der Krebserkrankung eines Patienten oder einer Patientin und kann eine wichtige Rolle bei der Diagnose spielen. «Die Idee basiert auf der Annahme, dass eine einzige tatsächliche Gewebefärbung, die im Rahmen der Routinepathologie im Labor durchgeführt wird, ausreicht, um zu simulieren, welche Zellen in diesem Gewebe für mehrere andere, spezifischere Marker positiv färben würden», erklärt Marianna Rapsomaniki, Computerwissenschaftlerin und KI-Expertin am Biomedical Data Science Center der Universität Lausanne und des Universitätsspitals Lausanne.

Marianna Kruithof-de Julio, Forschungsleiterin an der Universitätsklinik für Urologie des Inselspitals und am Department for BioMedical Research (DBMR) der Universität Bern, und Ko-Autorin der Studie, sieht ein grosses Potenzial für zukünftige Anwendungen: «Wir haben das Tool anhand von Geweben von Prostatakrebspatienten entwickelt. In der Studie konnten wir zeigen, dass es bei Bauchspeicheldrüsenkrebs ähnlich gut funktioniert. Dies stimmt uns zuversichtlich, dass das Tool auch für viele andere Krankheiten nützlich sein kann.»

Die Technologie reduziert die Notwendigkeit von ressourcenintensive Laboranalysen und soll die aus Experimenten gewonnenen Informationen ergänzen. Dies kann hilfreich sein, wenn das verfügbare Gewebematerial begrenzt ist oder wenn experimentelle Färbungen aus anderen Gründen nicht durchgeführt werden können.

Um die zugrundeliegende Methode zu verstehen, kann man sich eine Handy-App vorstellen, die vorhersagt, wie ein junger Mensch im Alter aussehen wird. Auf der Grundlage eines aktuellen Fotos erstellt die App ein virtuelles Bild, das das zukünftige Aussehen der Person simuliert. Dies geschieht durch die Verarbeitung von Informationen aus Tausenden von Bildern anderer, nicht verwandter, älterer Personen. Da der Algorithmus lernt, wie eine alte Person aussieht, kann er diese Transformation auf jedes beliebige Foto anwenden. In ähnlicher Weise wandelt der VirtualMultiplexer ein Foto mit einer Färbung, die verschiedene Regionen innerhalb eines Krebsgewebes grob unterscheidet, in Bilder um, die zeigen, welche einzelnen Zellen in diesem Gewebe positiv für ein bestimmtes Markermolekül gefärbt sind. Nachdem der VirtualMultiplexer die Logik erlernt hat, die ein real gefärbtes Bild definiert, ist er in der Lage, denselben «Stil» auf ein bestimmtes Gewebebild anzuwenden und eine virtuelle Version zu erzeugen, die den gewünschten Farbstoff zeigt.

Für Wirksamkeit und klinische Relevanz sorgen

Im Vergleich zu bestehenden Technologien geht das Team einen Schritt weiter: Mithilfe eines strengen Validierungsverfahrens wurde sichergestellt, dass die virtuellen Bilder klinisch aussagekräftig sind und nicht lediglich KI-generierte Ergebnisse, die zwar plausibel erscheinen, in der Realität jedoch falsche Erfindungen sind. Sie testeten, wie gut die künstlichen Bilder klinische Ergebnisse wie das Überleben der Patienten oder das Fortschreiten der Krankheit vorhersagen, und verglichen dies mit vorhandenen Daten aus real gefärbten Geweben. Der Vergleich bestätigte, dass die virtuellen Färbungen nicht nur genau, sondern auch klinisch nützlich sind, was zeigt, dass das Modell zuverlässig und vertrauenswürdig ist.

Weiter wurde der VirtualMultiplexer dem Turing-Test unterzogen. Bei diesem Test wird geprüft, ob eine KI Ergebnisse erzeugen kann, die von denen eines Menschen nicht zu unterscheiden sind. Die Ergebnisse zeigten, dass die künstlichen Bilder fast nicht von echten zu unterscheiden waren, was die Wirksamkeit des Modells belegt. «Der VirtualMultiplexer zeichnet sich durch seinen multiskaligen Ansatz aus», sagt Rapsomaniki. Das vorgeschlagene Modell berücksichtigt nämlich drei verschiedene Skalen der Struktur eines Krebsgewebes: sein globales Erscheinungsbild und seine Architektur, die Beziehungen zwischen benachbarten Zellen und die detaillierten Eigenschaften der einzelnen Zellen. Dieser ganzheitliche Ansatz ermöglicht eine genauere Darstellung des Gewebebildes.

Auswirkungen auf die Krebsforschung und darüber hinaus

Die Studie stellt einen bedeutenden Fortschritt in der Krebsforschung dar, da sie die vorhandenen experimentellen Daten ergänzt. Durch die Erzeugung qualitativ hochwertiger simulierter Färbungen kann der VirtualMultiplexer Forschenden helfen, Hypothesen zu formulieren, Experimente zu priorisieren und ihr Verständnis der Krebsbiologie zu verbessern. «Dies wird den Weg für neue Entdeckungen in Forschung und Diagnose ebnen», erwartet Rapsomaniki.

Angaben zur Publikation:

Pati, P., Karkampouna, S., Bonollo, F., et al. Accelerating histopathology workflows with generative AI-based virtually multiplexed tumour profiling. Nature Machine Intelligence (2024) https://www.nature.com/articles/s42256-024-00889-5

Department for BioMedical Research (DBMR)

Über 25 Jahre biomedizinische Forschung in Bern: Das Department for Biomedical Research (DBMR) der Universität Bern wurde 1994 gegründet und hat als Institut der Medizinischen Fakultät den Auftrag, Forschenden des Inselspitals, Universitätsspital Bern und der Medizinischen Fakultät eine optimale Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Die Core Facilitys entsprechen stets dem State of the Art, und die Forschenden finden im Departement bedarfsgerechte Labor- und Arbeitsplätze. Dem Departement sind 47 unabhängige Forschungsgruppen angegliedert, die fast alle Bereiche der biomedizinischen Forschung abdecken. Ziel des DBMR ist es, Brücken zwischen laborbasierter und patientenorientierter klinischer Forschung zu schlagen. Ausserdem richtet es seinen Fokus auf die Entwicklung von translationaler Forschung und die Anwendung von sogenannten Omics-Methoden.
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Bern Center for Precision Medicine (BCPM)  

Das Berner Zentrum für Präzisionsmedizin wurde 2019 auf Initiative und mit Unterstützung des Kantons, der Universität Bern und der Insel Gruppe gegründet. Das Zentrum widmet sich der Förderung der Präzisionsmedizin und entwickelt neuartige Medikamente zur Unterstützung von Patientinnen und Patienten, bei denen die Standardversorgung versagt. Das BCPM bietet ein interdisziplinäres Netzwerk für Forschende und Klinikerinnen und Kliniker aus verschiedenen Bereichen und Fakultäten. Es vereint mehr als 70 Mitglieder.  
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Weiterführende Informationen

Medienmitteilung der Universität Lausanne 

 

 

09.09.2024