Fürsorgliche Glasfrosch-Väter haben kleinere Hoden
Ein internationales Team von Forschenden unter Beteiligung der Universität Bern zeigt in einer neuen Studie, dass männliche Glasfrösche, die sich um ihren Nachwuchs kümmern, kleinere Hoden haben als Männchen von jenen Arten, die keine Brutpflege betreiben. Dies deutet auf einen evolutionären Kompromiss zwischen Spermienproduktion und väterlicher Brutpflege hin.
Frösche aus der Familie der Glasfrösche, die in den tropischen Regenwäldern Mittel- und Südamerikas leben, faszinieren durch ihre durchsichtige Haut auf der Körperunterseite, die den Blick auf die inneren Organe freigibt. Doch nicht nur das Aussehen dieser Amphibien ist bemerkenswert, sondern auch ihr Sozialverhalten. Bei vielen – aber nicht allen – Glasfroscharten bewachen und versorgen die Männchen ihre Nachkommen. In einer neuen Studie zeigt ein internationales Team, an dem auch Forschende des Instituts für Ökologie und Evolution der Universität Bern beteiligt sind, dass es einen Zusammenhang zwischen dieser väterlichen Brutpflege und der Hodengrösse von Glasfröschen gibt. Die Ergebnisse wurden kürzlich in der Fachzeitschrift Proceedings of the Royal Society B veröffentlicht.
37 verschiedene Glasfrosch-Arten
«Für die Untersuchungen wurden Daten über das Verhalten und Körpermerkmale verschiedener Glasfrosch-Arten bei einem mehrmonatigen Feldforschungsaufenthalt in den Regenwäldern Brasiliens und Ecuadors gesammelt», sagt Eva Ringler, Professorin und Leiterin der Abteilung Verhaltensökologie am Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern. Zudem führten die Forschenden sogenannte phylogenetische Analysen zum gesamten Glasfrosch-Stammbaum durch. Solche Untersuchungen geben Aufschluss über evolutionäre Veränderungen von bestimmten Körpermerkmalen aber auch Verhaltensausprägungen, wie zum Beispiel elterliche Brutpflege. Insgesamt wurden 37 verschiedene Glasfrosch-Arten untersucht. Bei 11 dieser Arten kümmern sich die Männchen um den Nachwuchs, bei den anderen nicht. «Unsere Studie ist ein wichtiger Beitrag, um die Evolution von männlicher Brutpflege besser zu verstehen», sagt Cynthia Prado, die Letztautorin der Studie und Professorin an der São Paulo State University.
Ein evolutionärer Kompromiss
In der Studie konnte das Team zeigen, dass männliche Glasfrösche, die sich um ihren Nachwuchs kümmern, im Verhältnis kleinere Hoden haben als Männchen von Arten, die keine Brutpflege betreiben. Diese Erkenntnisse werfen ein Licht auf die unterschiedlichen Strategien, mit denen verschiedene Tierarten ihren Fortpflanzungserfolg maximieren. «Unsere Ergebnisse deuten auf einen evolutionären Kompromiss zwischen Hodengrösse und väterlicher Fürsorge bei Glasfröschen hin», erklärt Anyelet Valencia Aguilar, Erstautorin der Studie, die bis vor kurzem am Institut für Ökologie und Evolution der
Universität Bern arbeitete und nun im Rahmen eines Post-doc Mobility Grants des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) an der Justus-Liebig-Universität in Giessen forscht. Um diesen Zusammenhang zu erklären, ist es wichtig zu wissen, dass bei den Glasfröschen, wie bei allen Amphibien, die Eier der Weibchen extern befruchtet werden: Beim Paarungsakt legt das Weibchen noch unbefruchtete Eier ab, und das Männchen verteilt sofort seine Spermien darüber. Diese externe Befruchtung birgt die Gefahr von «Laichpiraterie»: Froschmännchen, die es schaffen, dass ihre Spermien zu einem frischen Gelege gelangen und somit jene Eier befruchten, die nicht schon durch die Spermien des ursprünglichen Paarungsmännchens befruchtet wurden.
«Wenn ein Männchen sein eigenes Gelege bewacht, verringert es das Risiko einer Befruchtung durch andere Männchen und senkt damit den evolutionären Selektionsdruck für grössere Spermienproduktion – was schlussendlich zu kleineren Hoden bei Männchen von Arten, die Brutpflege betreiben, führt. Unsere Studie unterstreicht damit die wichtige Rolle der väterlichen Brutpflege in der Evolution der Hodengrösse bei Arten mit externer Befruchtung», schliesst Ringler.
Ähnliche Zusammenhänge bei Primaten dokumentiert
«Wir waren überrascht, wie deutlich sich diese Zusammenhänge bei Glasfröschen zeigen», sagt Ringler. Bisher waren solche Zusammenhänge zwischen männlichen Genitalien und Reproduktionsverhalten vor allem bei Primaten bekannt: Männchen von Arten mit Haremsbildung sind gross und kräftig, um Rivalen fernzuhalten, was zu kleineren Genitalien führt, da sie bei der Paarung keine Konkurrenz haben. Im Gegensatz dazu haben Männchen von Arten mit gemischtgeschlechtlichen Gruppen und freier Paarung relativ grosse Genitalien, um die Befruchtungserfolg zu maximieren, da grosse Genitalien in der Regel mit grosser Spermienproduktion einhergehen. In diesen Arten wird also der männliche Konkurrenzkampf nicht vor der Paarung, sondern im Anschluss daran auf Ebene der Spermien ausgetragen. «Es ist sehr spannend, dass wir ähnliche evolutionäre Zusammenhänge auch bei Glasfröschen finden. In den letzten Jahren hat sich immer mehr gezeigt, dass es noch viele faszinierende Aspekte bei Glasfröschen zu entdecken gibt», sagt Ringler.
Die Forschung bei Glasfröschen geht weiter: Das Forschungsteam um Eva Ringler untersucht derzeit im Rahmen eines Forschungsprojektes des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) die Zusammenhänge zwischen Brutpflegeverhalten, Raumnutzung, Kognition und Kommunikation bei verschiedenen Glasfrosch-Arten. «Von vielen Arten wissen wir noch recht wenig über ihr Sozial- und Reproduktionsverhalten und die damit verbundenen kognitiven Fähigkeiten. Unser Projekt soll einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Zusammenhänge zwischen Verhalten, Reproduktion und Kognition besser zu verstehen.», so Ringler abschliessend.
Die Studie wurde finanziell unterstützt von der São Paulo Research Foundation (FAPESP), der Universidad San Francisco de Quito (USFQ) und dem Schweizerischen Nationalfonds (SNF).
Publikationsdetails:Valencia-Aguilar A, Ringler E, Lüpold S, Guayasamin JM, Prado CPA. 2024. Evolutionary trade-offs between testes size and parenting in Neotropical glassfrogs. Proc. R. Soc. B 291: 20240054. https://doi.org/10.1098/rspb.2024.0054 |
Das Institut für Ökologie und EvolutionDas Institut für Ökologie und Evolution an der Universität Bern widmet sich der Forschung und Lehre in allen Aspekten von Ökologie und Evolution und versucht eine wissenschaftliche Basis für das Verständnis und die Erhaltung der lebenden Umwelt zu bieten. Es werden die Mechanismen untersucht, durch die Organismen auf ihre Umwelt reagieren und mit ihr interagieren, einschliesslich phänotypischer Reaktionen auf individueller Ebene, Veränderungen in Häufigkeiten von Genen und Allelen auf Populationsebene, wie auch Veränderungen in der Artenzusammensetzung von Gemeinschaften bis hin zur Funktionsweise von ganzen Ökosystemen. Mehr Informationen |
22.02.2024