Erstmals Neutrinos mit Prototyp im ultimativen Neutrino-Observatorium DUNE beobachtet
In den USA entsteht am Forschungszentrum Fermilab mit DUNE das weltweit umfassendste Neutrino-Experiment. Die Universität Bern trägt massgeblich dazu bei, indem sie den Detektor «ND-LAr» entwickelt, der sich durch eine neuartige Technik und ein innovatives Design zur Beobachtung von Neutrinos auszeichnet. Der Prototyp des «ND-LAr» wurde nun erfolgreich getestet und konnte die ersten Neutrinos nachweisen.
Neutrinos sind Elementarteilchen, die schon in der Frühphase des Universums eine wichtige Rolle spielten. Sie sind der Schlüssel, um mehr über grundlegende Naturgesetze zu erfahren, wie etwa die Fragen danach, warum es im Universum mehr Materie als Antimaterie gibt. Das Deep Underground Neutrino Experiment (DUNE) in den USA soll die Geheimnisse dieser Neutrino-Elementarteilchen entschlüsseln. DUNE ist ein internationales Flaggschiff-Experiment am Teilchenphysik-Forschungszentrum Fermi National Accelerator Laboratory (Fermilab) nahe Chicago (USA), an dem mehr als 1'400 Forschende aus über 200 Instituten weltweit beteiligt sind. Im Rahmen der Forschungsvereinbarung zwischen der Universität Bern und dem Fermilab beteiligen sich auch Forschende des Laboratoriums für Hochenergiephysik (LHEP) und des Albert Einstein Center for Fundamental Physics (AEC) der Universität Bern am DUNE-Experiment. Der DUNE-Kollaboration ist es nun gelungen, die ersten Neutrinos mit dem «2x2»-Prototyp des Detektors «ND-LAr», der an der Universität Bern entwickelt und gebaut wurde, am Fermilab nachzuweisen.
Aufbau des ultimativen Neutrino-Observatoriums der Welt
DUNE ist auf zwei Standorte aufgeteilt, auf das Fermilab bei Chicago und auf die Sanford Underground Research Facility in South Dakota. Ein Neutrinostrahl, der am Fermilab erzeugt wird, durchläuft zunächst einen «near detector», um Neutrinos nahe der Quelle zu erfassen. Der Strahl reist dann 1’300 Kilometer durch den Boden zu mehreren riesigen Teilchendetektoren in South Dakota. Durch die Messungen nahe und fern der Quelle wollen die Forschenden erfahren, wie die Teilchen auf ihrer Reise ihren Typ ändern, ein Phänomen, das als Neutrino-Oszillation bekannt ist. Die Forschenden werden DUNE auch nutzen, um das Gegenstück der Neutrinos, die Antineutrinos, zu untersuchen. DUNE befindet sich derzeit noch im Bau, wird zukünftig aber das umfassendste Spitzenexperiment in der Neutrinoforschung der Welt sein.
Die Forschenden der Universität Bern steuern die Hauptkomponente des sogenannten «near detectors» bei. Dieser «ND-LAr», wie der spezielle Detektor genannt wird, ist eine neuartige Implementierung der Flüssig-Argon-Technik, die in Bern konzipiert und entwickelt wurde. Der Detektor «ND-LAr» verfügt über ein Pixelauslesesystem mit Millimeter-Auflösung, das hochpräzise 3D-Bilder der Neutrino-Wechselwirkungen grossem Massstabs ermöglicht. «An diesem Forschungsprojekt ist besonders faszinierend, dass wir 3D-Bilder mit einer sehr guten Auflösung von einem Teilchen machen, das nur sehr selten Wechselwirkungen mit dem Argon im Detektor hat. Mit der hier an der Universität Bern im Labor entwickelten Detektortechnologie können wir aber tatsächlich sehen, wie diese Teilchen wechselwirken», freut sich Michele Weber, Direktor des Laboratoriums für Hochenergiephysik (LHEP) und Leiter der Berner DUNE-Gruppe. Der «ND-LAr» wird 35 Flüssig-Argon-Module mit einer 5x7-Anordnung umfassen, welche die Neutrinos erkennen und analysieren. Die hohe Anzahl an Modulen wird dafür benötigt um die vielen überlappenden Wechselwirkungen des gewaltigen Neutrinostroms in der Nähe der Strahlquelle zu separieren und beobachten zu können. Um die Funktionsweise des Detektors zu testen, wurde ein kleinerer Prototyp des «ND-LAr» – bekannt als «2x2»-Prototyp, weil er nur aus vier quadratisch angeordneten und kleineren Flüssig-Argon-Modulen besteht – mit derselben Technik gebaut.
Erfolgreicher Nachweis von Neutrinos
In Vorbereitung auf die endgültige Installation des «ND-LAr» wurde der «2x2»-Prototyp am Fermilab in einem Neutrinostrahl getestet. Dabei ist es gelungen, die ersten Neutrinos nachzuweisen. Der erfolgreiche Nachweis bestätigt die neuartige Technologie und das Design vom «ND-LAr». «Es ist grossartig zu sehen, wie aus kleinen Tests in unserem Berner Labor nun eine fortgeschrittene Technologie entstanden ist, mit der wir Neutrinos messen können. Nicht nur die Technologie hat sich weiterentwickelt, sondern auch das Projekt selbst. Aus einem kleinen Experiment ist eine bedeutende Zusammenarbeit mit vielen anderen Forschenden an der Weltspitze der Teilchenphysik geworden», sagt Livio Calivers, der ihm Rahmen seiner Doktorarbeit am Fermilab den «2x2»-Prototyp aufbaute. Die Erprobung des Prototyps des «ND-LAr» war notwendig, um sicherzustellen, dass das innovative Design und die Technologie auch in grossem Massstab funktionieren wird und die Anforderungen des «ND-LAr» erfüllt werden können. Detektoren mit Flüssig-Argon-Technik, wie der Detektor des ebenfalls am Fermilab durchgeführten MicroBooNE-Experiments, bei dem auch die Universität Bern massgeblich beteiligt war, wurden in der Neutrinoforschung bereits eingesetzt. Ein Detektor, wie der «ND-LAr», der einen intensiven Strom von Neutrinos und Antineutrinos in 3D-Bildern nachweisen kann, wurde hingegen noch nie zuvor gebaut oder getestet. «Der erfolgreiche Test des Prototyps stellt einen bedeutenden Meilenstein dar, der das Potenzial dieser Technologie verdeutlicht und den Weg für den Bau des ‘ND-LAr’ ebnen wird», so Weber weiter.
Nächste Schritte zur Beantwortung grundlegender Fragen des Universums
Der erfolgreiche Nachweis von Neutrinos mit dem Prototyp des «ND-LAr» stellt einen bedeutenden Fortschritt im DUNE-Experiment dar und bringt die Wissenschaft näher an neue Erkenntnisse in der Neutrino-Forschung. «Der erfolgreiche Neutrinonachweis vom ‘2x2’-Prototyp erlaubt uns das Design von ‘ND-LAr’ zu finalisieren und anschliessend mit dem Bau des ‘near detector’ zu beginnen. Parallel dazu werden derzeit bei Tests an der Universität Bern Flüssig-Argon-Module in der endgütligen Grösse des Detektors geprüft», erklärt Weber. Nach Wartungsarbeiten wird der Neutrinostrahl am Fermilab ab dem Herbst 2024 wieder in Betrieb genommen. Der Prototyp wird dann über mehrere Monate hinweg Daten aufzeichnen und pro Tag rund 10’000 Bilder von Neutrinos erstellen. «Diese Daten werden vielen Doktoratsarbeiten und wissenschaftlichen Publikationen dienen und die Grundlage für die Inbetriebnahme des ‘ND-LAr’ im Jahr 2030 schaffen», sagt Calivers abschliessend.
Die Beteiligung der Universität Bern und der Schweiz am DUNE Experiment wird durch Mittel der Universität Bern und des Staatsekretariats für Bildung, Forschung und Innovation, sowie kompetitiv erworbene Mittel von Schweizerischen Nationalfond und der EU finanziert.
Fermilab und die Universität BernZwischen Fermilab und der Universität Bern besteht seit 2019 eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit bei Neutrino-Experimenten. Es ist das erste Abkommen zwischen einer Schweizer Universität und Fermilab, einem der weltweit führenden Labors für Teilchenphysik. Mehr zur Zusammenarbeit zwischen Fermialb und der Universität Bern |
Albert Einstein Center for Fundamental PhysicsDas Albert Einstein Center for Fundamental Physics (AEC) wurde 2011 gegründet. Sein Ziel ist es, Forschung und Lehre in der Grundlagenphysik an der Universität Bern auf höchster Ebene zu fördern. Der Schwerpunkt liegt auf der experimentellen und theoretischen Teilchenphysik und ihren Anwendungen (z.B. Medizinphysik), sowie auf den damit verbundenen Spin-off- und Outreach-Aktivitäten. Das AEC wurde unter Mitwirkung des Instituts für Theoretische Physik (ITP) und des Labors für Hochenergiephysik (LHEP) der Universität Bern gegründet. Mit seinen über 100 Mitgliedern ist das AEC eine der grössten universitären Gruppen von Forschenden, die in der Schweiz auf dem Gebiet der Teilchenphysik arbeiten, und ein starker Akteur auf internationaler Ebene. Mehr Informationen: https://www.einstein.unibe.ch/ |
Das Laboratorium für Hochenergiephysik (LHEP)Das Laboratorium für Hochenergiephysik (LHEP) ist eine Abteilung des Physikalischen Instituts der Universität Bern und gehört zum Albert Einstein Center for Fundamental Physics (AEC). Es forscht im Gebiet der experimentellen Teilchenphysik. Mehr Informationen: https://www.lhep.unibe.ch/ |
14.08.2024