Pfeilgiftfrösche: Der Charakter bestimmt die Fortpflanzung
Pfeilgiftfrösche der Spezies Allobates femoralis sind zwar im Gegensatz zu ihren Verwandten nicht giftig, bestechen aber durch ihre verschiedenen Charakterzüge: je nachdem, ob sie mutig, aggressiv oder entdeckungsfreudig sind, haben sie mit unterschiedlichen Strategien Erfolg bei der Fortpflanzung. Zudem sind bestimmte Charaktereigenschaften schon im Kaulquappenstadium der Amphibien vorhanden. Dies zeigen zwei kürzlich publizierte Studien der Universität Bern.
Pfeilgiftfrösche der Spezies Allobates femoralis sind in den tropischen Regenwäldern Südamerikas weit verbreitet. Ihre hochgiftigen Verwandten, wie in etwa Frösche der Gattung Phyllobates, wurden häufig von indigenen Völkern Kolumbiens verwendet, um durch Reiben der Haut an Pfeilspitzen Giftstoffe zu extrahieren, und diese dann zum Zweck der Jagd und des Kampfes einzusetzen. Frösche der Art Allobates femoralis sind nicht giftig. Aber sie haben, wie viele andere Tierarten auch, ausgeprägte Persönlichkeitsmerkmale. Sowohl Männchen als auch Weibchen können zum Beispiel besonders mutig, aggressiv oder entdeckungsfreudig sein. Pfeilgiftfrösche verpaaren sich im Laufe einer Fortpflanzungsperiode mit mehreren Partnern, und ihre Charaktereigenschaften haben einen grossen Einfluss auf die Fortpflanzungsstrategien der einzelnen Tiere.
Bisherige Studien in anderen Tierarten untersuchten meist den Effekt von Persönlichkeitsmerkmalen auf nur einzelne Aspekte von Fortpflanzungserfolg. In zwei kürzlich publizierten Studien präsentieren Forschende des Instituts für Ökologie und Evolution der Universität Bern nun neue Ergebnisse zu den Auswirkungen unterschiedlicher Kombinationen von Persönlichkeitsmerkmalen bei Männchen und Weibchen auf verschiedene Komponenten von Fortpflanzungserfolg. Dabei untersuchten sie sowohl den Einfluss von Persönlichkeit auf den Paarungserfolg, die Anzahl der produzierten Gelege als auch auf die Anzahl der Nachkommen, die bis ins Erwachsenenalter überlebten. Zudem konnten die Forschenden zeigen, dass gewisse Persönlichkeitsmerkmale bei Pfeilgiftfröschen bereits im Kaulquappenstadium vorhanden sind und sogar über die nachfolgende Metamorphose hinweg erhalten bleiben.
Verhaltens-Experimente im Feld und im Labor
Amphibien und insbesondere Pfeilgiftfrösche sind ideal, um die Zusammenhänge zwischen Verhalten und Fortpflanzungserfolg zu untersuchen, da zwischen Männchen und Weibchen bei der Partnerwahl und auch bei der Aufzucht des Nachwuchses komplexe Interaktionen und Abgrenzungen stattfinden.
Die Forschungsgruppe von Eva Ringler, Professorin und Leiterin der Abteilung Verhaltensökologie am Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern, untersuchte eine natürliche Population von Pfeilgiftfröschen auf einer Flussinsel in Französisch-Guayana. Diese Population ist dort seit über zehn Jahren etabliert. «Die Situation dieser Flussinsel bietet uns die Möglichkeit, mit freilebenden Amphibien auf Populationsebene in abgegrenztem Gebiet zu arbeiten. Wir können einerseits untersuchen, wie sich einzelne Individuen voneinander in ihrem Verhalten unterscheiden. Andererseits ist es uns möglich, mittels genetischer Methoden den individuellen Fortpflanzungserfolg zu erfassen, und dies in Bezug zur Gesamtpopulation zu setzen», sagt Eva Ringler. Die Forschenden führten auch Verhaltens-Experimente mit Tieren an der Ethologischen Forschungsstation Hasli der Universität Bern durch. Aus diesen Untersuchungen stammen die Ergebnisse über die Stabilität der Persönlichkeitsmerkmale über die Metamorphose hinweg.
Kein Verhalten verspricht in jedem Fall Erfolg
Die Persönlichkeitsmerkmale der Pfeilgiftfrösche wurden in speziellen Verhaltensversuchen erfasst. «Um zum Beispiel die Aggressivität zu messen, wurden akustische Signale abgespielt, um bei den Männchen territoriales Verteidigungsverhalten auszulösen», erklärt Studien-Erstautorin Mélissa Peignier. Die Forschenden kamen zum Schluss, dass die Persönlichkeitsmerkmale Mut, Aggressivität und Entdeckergeist je nach Kontext sowohl bei Männchen als auch bei Weibchen Vor- oder Nachteile für verschiedene Aspekte von Fortpflanzungserfolg haben können. «Es gibt kein Verhalten, das generell Erfolg verspricht und sich durchsetzt. Es kommt auf den jeweiligen Kontext an», sagt Eva Ringler.
So konnte das Team zeigen, dass Männchen, die viele Partnerinnen anwerben konnten, entweder nicht aggressiv und nicht erkundungsfreudig oder sehr aggressiv und erkundungsfreudig waren. «Männchen mit niedrigem Aggressionslevel haben es wahrscheinlich schwer, sich gegen aggressivere Artgenossen durchzusetzen. Deshalb ist es für sie vorteilhaft, geschützt im eigenen Revier zu bleiben und dort auf Partnerinnen zu warten», erklärt Peignier. «Aggressivere Männchen, die aber nicht auf Erkundungstour gehen und im eigenen Revier bleiben, haben dort möglicherweise das Problem, dass sie potenzielle Partnerinnen schlecht von Konkurrenten unterscheiden können. Ein Angriff im eigenen Revier auf ein sich näherndes Weibchen ist für den Paarungserfolg natürlich nicht förderlich», sagt Peignier. Umgekehrt könnten aggressive Männchen mit einem hohen Erkundungsdrang ihren Paarungserfolg steigern, indem sie ihre Chancen erhöhen, sich an Orten mit vielen Weibchen niederzulassen.
Charakter entwickelt sich früh und ist stabil
Viele Tiere zeigen eine hohe Konsistenz in ihrem Verhaltensrepertoire, unabhängig von Zeit und Kontext. Bei Amphibien ist diese Stabilität in Persönlichkeitsmerkmalen besonders interessant, da sie während der Metamorphose von der Kaulquappe zum Frosch drastische morphologische und ökologische Veränderungen durchlaufen. «In Verhaltenstests im Labor haben wir festgestellt, dass beispielsweise die Eigenschaften Mut und Erkundungsdrang bereits in der Kaulquappe vorhanden sind und auch nach der Metamorphose erhalten bleiben», erklärt Studienautorin Lauriane Bégué.
«Die beiden Studien zeigen, wie wichtig es ist, individuelle Unterschiede bei ökologischen und evolutionären Fragestellungen zu berücksichtigen. Und sie liefern wichtige Einblicke in die Mechanismen, die die Vielfalt an Persönlichkeitsausprägungen einerseits generiert und diese auch über evolutionäre Zeiträume erhält», sagt Ringler. Die Ergebnisse deuten überdies darauf hin, dass Verhaltensmerkmale eine physiologische und/oder eine genetische Grundlage haben könnten. «Zukünftige Studien sollten untersuchen, inwieweit die Persönlichkeit bei Pfeilgiftfröschen vererbt wird, um besser zu verstehen, wie genetische Faktoren Vielfalt in Charaktereigenschaften einschränken können.», sagt Eva Ringler abschliessend.
Publikationsdetails:Peignier Mélissa, Araya-Ajoy Yimen G., Ringler Max and Ringler Eva. 2023. Personality traits differentially affect components of reproductive success in a Neotropical poison frog. Proc. R. Soc. B. 290: 20231551 https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rspb.2023.1551 Bégué, L., Tschirren, N., Peignier, M. et al. 2023. Behavioural consistency across metamorphosis in a neotropical poison frog. Evol Ecol. https://link.springer.com/article/10.1007/s10682-023-10274-0 |
Das Institut für Ökologie und EvolutionDas Institut für Ökologie und Evolution an der Universität Bern widmet sich der Forschung und Lehre in allen Aspekten von Ökologie und Evolution und versucht eine wissenschaftliche Basis für das Verständnis und die Erhaltung der lebenden Umwelt zu bieten. Es werden die Mechanismen untersucht, durch die Organismen auf ihre Umwelt reagieren und mit ihr interagieren, einschliesslich phänotypischer Reaktionen auf individueller Ebene, Veränderungen in Häufigkeiten von Genen und Allelen auf Populationsebene, wie auch Veränderungen in der Artenzusammensetzung von Gemeinschaften bis hin zur Funktionsweise von ganzen Ökosystemen. |
08.11.2023