Neue Publikation zu direkter Demokratie in den Gemeinden
Bisherige Analysen zur direkten Demokratie in der Schweiz beziehen sich fast ausschliesslich auf Abstimmungen auf der Kantons- oder Bundesebene. Adrian Vatter und Martina Flick Witzig vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern präsentieren nun das erste umfassende Übersichtswerk zur direkten Demokratie in den Schweizer Gemeinden. Es wird heute im Polit-Forum Bern an einer Vernissage vorgestellt.
Die Schweiz gilt als unangefochtene Weltmeisterin der direkten Demokratie. In keinem anderen Staat sind die unmittelbaren Entscheidungsbefugnisse der Bürgerinnen und Bürger bei Sachgeschäften so stark ausgebaut und werden so intensiv praktiziert wie in der Schweizer Eidgenossenschaft. Bis heute hat weltweit rund die Hälfte aller nationaler Volksabstimmungen in der Schweiz stattgefunden. «Entsprechend bietet die Schweiz einen einmaligen Bestand an empirischen Daten und Befunden zur Funktions- und Wirkungsweise der direkten Demokratie», sagt Adrian Vatter vom Institut für Politikwissenschaft (IPW) der Universität Bern. Dennoch fehlte bis heute ein Grundlagen- und Übersichtswerk über die Institutionen und die Praxis der unmittelbaren Sachbefugnisse der Bürgerinnen und Bürger auf kommunaler Ebene. «Unser Buch schliesst nun diese Lücke mit einer vertieften Darstellung und Analyse der direkten Demokratie in den Gemeinden und Städten der Schweiz», sagt Martina Flick Witzig vom IPW.
Umfassendes Grundlagen- und Übersichtswerk
Mit Daten zu allen Grossstädten und ausgewählten Gemeinden aus sämtlichen Kantonen zeigen Martina Flick Witzig und Adrian Vatter neue Facetten und die herausragende Bedeutung der direkten Demokratie im politischen System der Schweiz auf. Sie gehen dabei folgenden konkreten Fragen nach: Welche Instrumente der direkten Demokratie bestehen in den Schweizer Gemeinden und Städten? Wie häufig werden Initiativen und Referenden in den Schweizer Gemeinden und Städten in Anspruch genommen? Welche Themen stehen bei lokalen Urnenabstimmungen im Vordergrund, welche nicht? Wie fallen die Ergebnisse kommunaler Volksentscheide aus? Mit welchen Faktoren lassen sich die Häufigkeit, das Resultat und die Beteiligung bei kommunalen Volksabstimmungen erklären? Welche Veränderungen werden bei Abstimmungen in den Schweizer Grossstädten über einen Zeitraum von 30 Jahren sichtbar?
Röstigraben, Spillover-Effekte und weltweiter Spitzenplatz für Bern
Die Studie wartet mit überraschenden Befunden auf: So zeigt sich beim Gebrauch der Volksrechte ein ausgeprägter Röstigraben, der zusätzlich durch einen Stadt-Landgraben verstärkt wird. «Die kommunale direkte Demokratie wird nämlich hauptsächlich in den grossen Deutschschweizer Städten intensiv praktiziert und gelebt, während sie in den kleinen französisch- und italienischsprachigen Kommunen nur eine vernachlässigbare Bedeutung besitzt», erklärt Flick Witzig. Dabei führt eine hohe Zahl von Abstimmungen an einem Wochenende nicht zu einer verstärkten Ablehnung der Vorlagen, sondern vielmehr zu einer gesteigerten Orientierung an den Empfehlungen der Behörden.
Insgesamt werden kommunale und kantonale Vorlagen fast doppelt so häufig an der Abstimmungsurne angenommen wie eidgenössische Sachgeschäfte. Für die Höhe der Stimmbeteiligung auf kommunaler Ebene ist vor allem ein Faktor entscheidend, nämlich ob zeitgleich Urnengänge auf eidgenössischer Ebene stattfinden. In diesen Fällen steigen die Teilnahmewerte auf rund 45 Prozent. Dieser Spillover-Effekt von Multipack-Abstimmungen erklärt alleine über 70 Prozent der Beteiligungsunterschiede zwischen den kommunalen Urnengängen. Schliesslich kürt die Studie auch noch die eigentlichen Weltmeisterinnen der direkten Demokratie, was die Häufigkeit von Abstimmungen anbetrifft. «Den Spitzenplatz mit den weltweit meisten Urnenabstimmungen nimmt für das 21. Jahrhundert die Stadt Bern ein, danach folgen die Stadt Zürich und der Kanton Zürich», sagt Vatter. Die Publikation «Direkte Demokratie in den Gemeinden» ist beim Verlag NZZ Libro erschienen und wird heute Abend, 15. Juni 2023 im Polit-Forum Bern vorgestellt.
Buchvernissage und Podiumsgespräch «Direkte Demokratie in den Gemeinden»
Donnerstag, 15. Juni 2023; 18:00 - 19:30 Uhr, Polit-Forum Bern, Podiumssaal (4. OG)
Am Podiumsgespräch nehmen teil:
- Adrian Vatter, Professor für Schweizer Politik und Direktor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern
- Martina Flick Witzig, Postdoc am Lehrstuhl für Schweizer Politik an der Universität Bern
- Martin Flügel, Direktor Schweizerischer Städteverband
- Christoph Niederberger, Direktor Schweizerischer Gemeindeverband
Moderation: Anna-Lisa Achtermann, Journalistin der SRF-Nachrichtenredaktion
Im Anschluss sind alle herzlich zu einem Apéro an der Demokratie-Bar eingeladen.
Um Anmeldung wird gebeten. Zum Anlass gibt es einen Livestream.
Für Interviewanfragen an Adrian Vatter und Martina Flick Witzig wenden Sie sich bitte an
Media Relations der Universität Bern: Tel. +41 31 684 41 42 / medien@unibe.ch.
Zur PublikationMartina Flick Witzig, Adrian Vatter |
Zur Autorin und zum AutorMartina Flick Witzig ist Postdoc am Lehrstuhl für Schweizer Politik der Universität Bern. Ihre berufliche Laufbahn startete sie mit einer Ausbildung als Rechtspflegerin. Nach mehrjähriger Tätigkeit am Amtsgericht Pforzheim studierte sie Politik- und Verwaltungswissenschaft an der Universität Konstanz und promovierte dort. Vor ihrer Anstellung an der Universität Bern war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Adrian Vatter, Prof. Dr., ist seit 2009 Inhaber der Professur für Schweizer Politik und Direktor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern. Zwischen 2003 und 2009 war er Professor an den Universitäten Konstanz und Zürich. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Schweizer Politik, die empirische Demokratieforschung im internationalen Vergleich und politische Institutionen (Föderalismus, Direkte Demokratie, Konkordanz). |
Zum Institut für Politikwissenschaft (IPW) der Universität BernDas IPW ist eines der führenden politikwissenschaftlichen Institute der Schweiz und gehört gemäss CHE Excellence Einstufung zur Spitzengruppe in Europa. Es beheimatet ausgezeichnete Grundlagenforschung und praxisrelevante Auftragsforschung. Deren Kernbotschaften sind Bestandteile der angebotenen Studiengänge Bachelor «Sozialwissenschaften» sowie Master «Politikwissenschaft» und Master «Schweizer Politik und Vergleichende Politik». Schwerpunkte in der Lehre und Forschung sind schweizerische Politik, vergleichende Politikwissenschaft, europäische Politik, Policy Analyse, Klima-, Energie- und Umweltpolitik sowie die Einstellungs- und Verhaltensforschung im Rahmen der politischen Soziologie. Zudem offeriert das IPW Dienstleistungen für die Öffentlichkeit wie etwa das Année Politique Suisse. |
15.06.2023