Klimaerwärmung verursachte 60 Prozent der Schweizer Hitzetoten 2022
Der Klimawandel verstärkt die Hitze, was zu einem erheblichen Anstieg der hitzebedingten Gesundheitsbelastung führt. Rund 60 Prozent der über 600 Hitzetoten im Sommer 2022 in der Schweiz können auf die vom Menschen verursachte Klimaerwärmung zurückgeführt werden. Dies zeigt eine von der Universität Bern geleitete Studie.
Die Zahlen zum Hitzesommer 2022 sind eindrücklich: In Genf zum Beispiel war es an 41 Tagen über 30 Grad warm, in Sion waren es gar 49 Tage und in Lugano 38. Eine ausgeprägtere Hitzewelle hat die Schweiz in jüngerer Zeit nur noch im legendären Sommer 2003 erlebt. Die hohen Temperaturen hatten gravierende Folgen für die Gesundheit. Zwischen Juni und August 2022 sind 623 Menschen aufgrund der Hitze verstorben, das sind in diesem Zeitraum 3,5 Prozent aller Todesfälle. Zu diesem Schluss kommt eine soeben in der Fachzeitschrift «Environmental Research Letters» veröffentlichte Studie unter Leitung der Universität Bern. Gemäss der Publikation gab es im Sommer 2022 drei Mal mehr Hitzetote als im Durchschnitt der Jahre 2009 bis 2017.
Klimaerwärmung verursachte mehr als 370 zusätzliche Todesfälle
Die Untersuchung belegt nicht nur die auf Hitze zurückzuführende Übersterblichkeit, als eine der ersten Studien weltweit beziffert sie den Anteil der Klimaerwärmung an den Hitzetoten: er liegt bei rund 60 Prozent. «Ohne den menschgemachten Klimawandel wären also in der Schweiz im Sommer 2022 mehr als 370 Menschen nicht an den Folgen der Hitze gestorben», sagt Dr. Ana Vicedo-Cabrera, Erstautorin der Studie vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM) und vom Oeschger-Zentrum für Klimaforschung (OCCR) der Universität Bern. Ebenfalls an der Studie beteiligt waren Forschende der ETH Zürich und des Schweizerischen Tropen- und Public Health-Instituts in Basel (Swiss TPH) sowie der Universität Basel.
Studien, die den Beitrag des Klimawandels zu den beobachteten Auswirkungen der Hitze berechnen, sind selten. Grosse internationale Beachtung fand 2021 eine internationale Studie, koordiniert von der Universität Bern und der London School of Hygiene & Tropical Medicine, die für 732 Städte in 43 Ländern weltweit erstmals den tatsächlichen Beitrag des menschengemachten Klimawandels an hitzebedingten Todesfällen zwischen 1991 und 2018 zeigte. Für den Hitzesommer 2022, der ganz Europa betraf, gibt es abgesehen von derjenigen aus der Schweiz keine einzige Studie. Das Team um die Epidemiologin Ana Vicedo-Cabrera stützte sich bei seinen Berechnungen auf sogenannte Attributionsstudien. Diese nutzen etablierte statistische Methoden und Klimasimulationen, um den Anteil des vom Menschen verursachten Klimawandels an der beobachteten Gesundheitsbelastung abzuschätzen.
Stadtbevölkerung leidet besonders unter der Hitze
Die Studie zu den hitzebedingten Todesfällen kommt je nach Region zu unterschiedlichen Ergebnissen: Besonders betroffen waren die urbanen Kantone Genf, Waadt, Basel-Stadt und Zürich. Nicht alle Kantone und Städte sind gleichermassen für den Umgang mit Hitze gerüstet. In Basel und Zürich etwa gibt es keine systematische und umfassende Strategie des öffentlichen Gesundheitswesens zur Hitzebekämpfung. In der Westschweiz und im Tessin hingegen wurden bereits in Folge des Hitzesommers 2003 Hitzeaktionspläne erarbeitet. Sie umfassen unter anderem Sensibilisierungskampagnen und Verhaltensempfehlungen. «Diese Hitzeaktionspläne haben im vergangenen Sommer zum Beispiel in den Kantonen Genf oder der Waadt, wo die Temperaturen besonders hoch waren, eine noch höhere hitzebedingte Sterblichkeitsrate verhindert», erklärt Ana Vicedo-Cabrera.
Die Epidemiologin empfiehlt den Behörden ausserdem, die bestehenden Massnahmenpläne zum Schutz vor Hitze zu optimieren. Denn, so heisst es in ihrer Studie: «Bei den derzeitigen Erwärmungsraten wird ein Hitzesommer wie 2022 bereits in den kommenden Jahrzehnten zu einem durchschnittlichen Sommer. Ohne wirksame Anpassungsstrategien könnten zudem die fortschreitende Alterung der Bevölkerung und das (Wieder-)Auftreten von Infektionskrankheiten zu noch grösseren gesundheitlichen Auswirkungen führen.» Zudem sprechen sich die Studienautorinnen- und -autoren für verstärkten Klimaschutz aus und befürworten «ehrgeizige Minderungsstrategien».
Frauen sind stärker betroffen – vor allem Seniorinnen
Die Studie mit dem Titel «Der Einfluss des vom Menschen verursachten Klimawandels auf die hitzebedingten Todesfälle im Sommer 2022 in der Schweiz» hat die Auswirkungen des Hitzesommers nicht nur mit Blick auf regionale Unterschiede analysiert, sondern auch bezogen auf Alter und Geschlecht. Dabei zeigte sich, dass die hitzebedingten Todesfälle in annähernd 90 Prozent der Fälle über 65-jährige Menschen betrafen. Die Zahl der Toten war bei den Frauen generell höher als bei den Männern. Unter allen Untergruppen wiesen ältere Frauen die höchste Sterblichkeitsrate auf.
Noch sei wissenschaftlich nicht geklärt, so Ana Vicedo-Cabrera, weshalb ältere Frauen besonders empfindlich auf Hitze reagierten. Hypothesen gehen unter anderem von physiologischen Ursachen aus, zum Beispiel verbunden mit der Menopause. Ebenfalls eine Rolle spielen könnte, dass ältere Frauen gewöhnlich einen aktiveren Lebensstil pflegen als Männer und deshalb stärker hohen Temperaturen ausgesetzt sind.
PublikationsangabenAna M. Vicedo-Cabrera, Evan de Schrijver, Dominik L. Schumacher, Martina S. Ragettli, Erich M. Fischer, Sonia I. Seneviratne: The footprint of human-induced climate change on heat-related deaths in the summer of 2022 in Switzerland. 4. Juli 2023, Environmental Research Letters. |
Das Oeschger-Zentrum für KlimaforschungDas Oeschger-Zentrum für Klimaforschung (OCCR) ist eines der strategischen Zentren der Universität Bern. Es bringt Forscherinnen und Forscher aus 14 Instituten und vier Fakultäten zusammen. Das OCCR forscht interdisziplinär an vorderster Front der Klimawissenschaften. Das Oeschger-Zentrum wurde 2007 gegründet und trägt den Namen von Hans Oeschger (1927-1998), einem Pionier der modernen Klimaforschung, der in Bern tätig war. Weitere Informationen |
Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM)Seit 1971, seit 50 Jahren, engagiert sich das Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM) der Universität Bern für die Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden von Individuen und der Gesellschaft. Durch qualitativ hochstehende Forschung in den Bereichen Prävention, Sozialmedizin, Epidemiologie, Biostatistik und Public Health und zusammen mit zahlreichen nationalen und internationalen Partnern steht das ISPM für «Gesundheit für alle». Neben der Spitzenforschung widmet sich das ISPM unter anderem der Ausbildung der nächsten Generation von Epidemiologinnen und Epidemiologen, Public-Health-Forschenden sowie Ärztinnen und Ärzten. Das ISPM beteiligt sich aktiv an universitären Lehrprogrammen für Studierende der Medizin, Pharmakologie, Biomedizintechnik und Biomedizin. Weitere Informationen |
04.07.2023