Vortragsreihe: Queerness im Nahen Osten – Geschichte, Aktivismus und sozialer Wandel
Homosexualität, Heterosexualität oder LGBTQI+ sind Konzepte aus dem Westen. Ergeben diese Konzepte ausserhalb des Westens Sinn? Ist die weit verbreitete Meinung, der Islam sei eine homophobe Religion, historisch begründet? Welche Rolle spielt der Kolonialismus bei Gesetzen gegen Homosexualität im Nahen Osten? Diesen Fragen geht eine öffentliche Vortragsreihe an der Universität Bern ab dem 20. September nach.
Die Untersuchung von Queerness im Nahen Osten entwickelt sich zu einem etablierten Forschungsgebiet. «Der Islam wird oft als eine homophobe Religion dargestellt. Insbesondere die Scharia wird als Grund dafür angesehen, dass die Rechte von LGBTQI+ im Nahen Osten nicht geachtet würden. Die Realität ist jedoch viel komplexer», sagt Serena Tolino, Professorin für Islamwissenschaft am Institut für Studien zum Nahen Osten und zu muslimischen Gesellschaften an der Universität Bern (ISNO, vormals Institut für Islamwissenschaft). Die Geschichte des Nahen Ostens sei voll von Beispielen, die viel mehr Flexibilität und Pluralität im Verständnis von Geschlecht und Sexualität zeigen, als wir vielleicht erwarten würden. «Wir wissen zum Beispiel, dass muslimische Rechtsgelehrte bereits in den ersten Jahrhunderten des Islam über Intersexualität diskutierten. Der Kolonialismus war einer der Faktoren, die zur Verringerung dieser Pluralität beigetragen haben», sagt die Mitorganisatorin der öffentlichen Vortragsreihe «Queerness in the Middle East: History, Activism & Social Change», die sie selbst am 20. September eröffnen wird. Titel ihres Vortrags ist: «Queerness and Middle Eastern Studies: Why Does that Matter?»
Von der Vergangenheit zur Gegenwart
«Was wir seit den arabischen Aufständen 2011 erlebt haben, ist eine zunehmende Unterdrückung von LGBTQI+-Gemeinschaften in der Region, aber gleichzeitig auch eine grössere Widerstandsfähigkeit, um den Aktivismus aufrechtzuerhalten», sagt Ali Sonay, Assistenzdozent am ISNO und ebenfalls Mitorganisator der Vortragsreihe. In der Vortragsreihe werden internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler etwa untersuchen, wie das islamische Recht mit nicht-normativen Geschlechtern umging, wie im Iran gleichgeschlechtliche Praktiken in der Vergangenheit toleriert wurden oder wie die performative Kraft der Kunst in Marokko und im Libanon Geschlecht und Begehren zum Ausdruck brachte. Auch die sexuelle Enthaltsamkeit der Kämpferinnen in Kurdistan oder die Auswirkungen der Kolonialgesetze auf die Kriminalisierung von Homosexualität in Tunesien werden in den Blick genommen.
Medienschaffende sind herzlich zu den Vorlesungen der Vortragsreihe und zur Podiumsdiskussion anlässlich einer Buchvorstellung eingeladen. Den Anlässen kann live vor Ort oder via Zoom beigewohnt werden. Um Anmeldung an debora.ulrich@islam.unibe.ch wird gebeten.
Datum: ab 20. September jeweils dienstags, 16.15 Uhr bis 18.00 Uhr
Ort: Universität Bern, UniTobler, Raum F011, Lerchenweg 36, 3012 Bern
Vortragssprache: Englisch oder Deutsch
Programm der Vortragsreihe:
20. September 2022
Serena Tolino, University of Bern
Queerness and Middle Eastern Studies: Why Does that Matter?
4. Oktober 2022
Arash Guitoo, Kiel University
Queere Vergangenheit, homophobe Gegenwart? Der Umgang der iranischen Gesellschaft mit der mann-männlichen Begierde im Laufe der Zeit
18. Oktober 2022
Isabel Käser, University of Bern
Abstinence in War: Thinking about Sexuality and Revolution in Kurdistan
8. November 2022
Sara Borrillo, University of Naples «L’Orientale»
Queer activism in the post-revolutionary North Africa: postcards from the future
22. November 2022
Abed al Wahab Kassir, University of Bern
Performing arts as an act of queer activism in Lebanon
6. Dezember 2022
Ramy Khouili, Association Tunisienne des Femmes Démocrates
Criminalization of Homosexuality in Tunisia, From Colonialism to Present Day Activism
20. Dezember 2022
Buch-Präsentation «Sex and Desire in Muslim Cultures – Beyond Norms and Transgression from the Abbasids to the Present Day». Mit den Herausgeber:innen Aymon Kreil (Ghent University) Lucia Sorbera (University of Sydney), Serena Tolino (University of Bern). Discussant: Bettina Dennerlein (University of Zurich)
Weitere Informationen zur Vortragsreihe finden Sie hier.
Institut für Studien zum Nahen Osten und zu muslimischen Gesellschaften ISNODas ISNO in Bern verbindet die fachliche Stringenz der textorientierten Islamwissenschaft mit der Expertise der Regionalstudien und postkolonialer Ansätze. Das Institut ist auf historische, sozial- und politikwissenschaftliche Methoden spezialisiert und befasst sich insbesondere mit Gender- und Sexualitätsforschung, Rechtsgeschichte, Arbeitsgeschichte, Forschung zu Medien und politischen Bewegungen, Transnationalismus und Migrationsstudien. Es konzentriert sich nicht nur auf die «normativen» Aspekte des Islams, sondern auch auf die Geschichte, die Kultur und das Alltagsleben in islamisch geprägten Gesellschaften. Geographisch liegt der Schwerpunkt auf dem Nahen Osten, chronologisch auf der Moderne und der Gegenwart. Der neue Name des Instituts (bis Ende 2021 hiess es Institut für Islamwissenschaft) unterstreicht zum einen den geografischen Fokus, zum anderen die zentrale Rolle, die Menschen und Gesellschaften in den Regionalstudien spielen sollten. Am Institut werden verschiedene Studiengänge auf Stufe Bachelor und Master angeboten. Webseite des ISNO: www.islamwissenschaft.unibe.ch
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16.09.2022