«Viertel vor Enzian» im BOGA: Können Blumen die Zeit anzeigen?
Bereits vor knapp 300 Jahren beobachtete der schwedische Botaniker Carl von Linné, dass einige Pflanzenarten ihre Blüten zu bestimmten Tages- und Nachtzeiten öffnen und schliessen. Lässt sich daran die Zeit ablesen? Ein interdisziplinäres Team aus Forschenden des Botanischen Garten der Universität Bern (BOGA) und der Universität Zürich hat basierend auf den Ideen von Linné eine Blumenuhr entwickelt, die ab dem 13. Mai im BOGA im Rahmen einer Sonderausstellung zu sehen ist.
Blumen knospen und blühen, sind farbenfroh und formenreich. Vielen ist nicht bewusst, dass sie sich auch bewegen und zahlreiche Pflanzenarten einen regelmässigen Aufblüh- und Schliesszyklus haben, der sich täglich wiederholt. Mit diesen Beobachtungen konzipierte der schwedische Botaniker Carl von Linné (1707 - 1778) eine «Blumenuhr», an der sich die Uhrzeit ablesen lässt. Das klingt nach einer fantastischen Idee, die Zeit zu messen. Aber gelingt das wirklich? Woher wissen die Blüten überhaupt, wie spät es ist? Und wie und weshalb vollführen viele Arten diese aufwändigen, täglich wiederkehrenden Blütenbewegungen? Wäre es nicht einfacher, einmal erblüht, einfach geöffnet zu bleiben?
Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, hat ein interdisziplinäres Team aus Forschenden des Botanischen Gartens der Universität Bern (BOGA) und der Universität Zürich basierend auf den Ideen von Linné eine Blumenuhr für das Berner Klima entwickelt. Vom 13. Mai bis 2. Oktober 2022 können Besuchende im BOGA in der Sonderausstellung «Viertel vor Enzian – Wie ticken Pflanzen?» den Blühereignissen der Blumenuhr sowohl vor Ort im Garten als auch rund um die Uhr über eine Live-Webcam und als Zeitraffer-Videos folgen. Die Ausstellung ist Teil des übergeordneten Zweijahresprogramms «Chronoversum – Pflanzen im Wandel der Zeit» des BOGA, das sich mit dem Wandel befasst, dem die scheinbar unveränderliche Pflanzenwelt unterliegt.
Eine Berner Blumenuhr
Zur «Eichung» der Blumenuhr führte das Team des BOGA und der Universität Zürich 2020 und 2021 eine intensive Testphase mit 56 Pflanzenarten durch. Denn für die Blühbewegungen spielen Klima, Lichtverhältnisse und Interaktionen mit Tieren eine wichtige Rolle. Somit öffnen und schliessen dieselben Arten ihre Blüten in Bern womöglich zu einer anderen Tageszeit als damals bei Herrn von Linné in Schweden. Bisher gibt es nur sehr wenige Angaben dazu, von wann bis wann welche Art ihre Blüten öffnet und wodurch die Blütenbewegungen der jeweiligen Art genau ausgelöst werden. Deshalb wird die Blumenuhr auch wissenschaftlich im Rahmen eines Forschungsprojektes begleitet. Katja Rembold, Wissenschaftliche Mitarbeiterin des BOGA: «Mit der Berner Blumenuhr möchten wir das Wissen um die faszinierenden Blütenbewegungen und ihre Hintergründe vermitteln. Darüber hinaus freuen wir uns, neue Erkenntnisse zu den Auslösern dieser Bewegungen gewinnen zu können.»
Die innere Uhr der Pflanzen
Die Blumenuhr soll nicht nur zum spielerischen Zeitablesen animieren, sondern möchte den Besuchenden auch ökologische und physiologische Zusammenhänge näherbringen. Seit Linné hat die Forschung in den Bereichen Ökologie, Physiologie und Chronobiologie faszinierende Erkenntnisse zu Tage gebracht. Um sich regelmässigen wiederkehrenden Veränderungen (beispielweise hell-dunkel, Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht) anzupassen, haben Pflanzen – wie auch Menschen und Tiere – eine innere Uhr entwickelt. Diese auch «zirkadiane Uhr» genannte Steuerung der Pflanzenbewegungen bringt relevante Vorteile: Pflanzen mit einer an die Umwelt angepassten zirkadianen Uhr sind «fitter» als Pflanzen mit einem abweichenden Rhythmus. Sie binden mehr Kohlenstoff, wachsen schneller und haben bessere Überlebenschancen. «Ein besseres Verständnis dieser Mechanismen kann zum Beispiel in der Landwirtschaft von Vorteil sein», erklärt Sylvain Aubry, Oberassistent am Institut für Pflanzen- und Mikrobiologie der Universität Zürich (IPMB).
«Chronoversum – Pflanzen im Wandel der Zeit»Wie hat sich die Pflanzenwelt im Laufe der Jahrmillionen gewandelt und wie wird sie in Zukunft aussehen? Welchen zeitlichen Rhythmen folgt sie und wie reagiert sie, wenn sich diese durch den menschgemachten globalen Wandel plötzlich verändern? Unter dem Titel «Chronoversum – Pflanzen im Wandel der Zeit» beleuchtet der Botanische Garten der Universität Bern (BOGA) diese Fragen auf vielfältigste Weise in seinem Programm. Die Sonderausstellung «Viertel vor Enzian – Wie ticken Pflanzen?» mit der Blumenuhr-Installation ist ein Teil davon. Viele weitere Veranstaltungen und Ausstellungen befassen sich im 2022 und 2023 mit dem Wandel, dem die scheinbar unveränderliche Pflanzenwelt seit Urzeiten unterliegt, mit langfristigen Prozessen wie Evolution und Kontinentaldrift und mit kurzfristigen Veränderungen, etwa im Laufe eines 24-Stunden-Zyklus. |
Das SNF Agora-Projekt FlorologiumDie Sonderausstellung «Viertel vor Enzian – Wie ticken Pflanzen?» ist Teil des Wissenschaftskommunikation-Projektes florologium.ch. Dieses wird unterstützt vom Instrument Agora des Schweizerischen Nationalfonds SNF (Projekt n°207083), das den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft fördert. Auf der Website florologium.ch sind weitere Informationen zum Projekt (Live-Stream, historischer Hintergrund, Pflanzenliste, Bibliographie, Unterrichtsmaterial) zu finden. |
10.05.2022