Insekten sind stark vom Klimawandel betroffen

70 Forschende aus 19 Ländern der Welt fordern in einer Studie Massnahmen, um die Auswirkungen des Klimawandels auf Insekten besser zu verstehen und zu verringern. Sonst werde die Chance auf eine nachhaltige Zukunft mit gesunden Ökosystemen drastisch eingeschränkt. Die Forschenden zeigen auch Wege auf, wie Insekten in einer sich erwärmenden Welt geholfen werden kann.

In einer neuen Studie gibt ein internationales Forschungsteam einen Überblick über die Rolle des Klimawandels und von klimatischen Extremen beim Rückgang von Insektenpopulationen. Prof. Jeffrey Harvey vom Niederländischen Institut für Ökologie (NIOO-KNAW) und der Vrije Universiteit Amsterdam leitete die umfangreiche Arbeit des internationalen Forschungsteams. Die Studie ist Teil der Reihe Scientists' Warning und ist im Journal Ecological Monographs erschienen. Beteiligt ist auch Prof. Madhav Thakur vom Institut für Ökologie und Evolution (IEE) der Universität Bern

Essenziell für die Ökosysteme

«Insekten spielen in so vielen Ökosystemen eine entscheidende Rolle, aber wir sind dabei, zumindest einen Teil von ihnen zu verlieren», erklärt Harvey. Und dies scheint vor allem in Regionen mit gemässigten Temperaturen der Fall zu sein. Die Autoren und Autorinnen betonen, dass sowohl längerfristige Ereignisse als auch kurzfristige Extreme den Insekten in mehrfacher Hinsicht schaden. Der allmähliche Anstieg der globalen Oberflächentemperatur wirkt sich auf die Physiologie, das Verhalten, die Phänologie, die Verteilung und die Interaktionen zwischen den Arten aus. Harvey fügt hinzu: «Aber auch mehr und länger anhaltende Extremereignisse wie Hitze- und Kälteeinbrüche, Brände, Dürren und Überschwemmungen hinterlassen ihre Spuren.»

Wie Madhav Thakur erklärt, häufen sich die Beweise für die Auswirkungen: «So können beispielsweise Fruchtfliegen, Schmetterlinge und Mehlkäfer Hitzewellen überleben, aber Männchen oder Weibchen werden steril und können sich somit nicht mehr fortpflanzen.» Vor allem Hummeln reagieren sehr empfindlich auf Hitze, und der Klimawandel wird inzwischen als Hauptfaktor für den Rückgang mehrerer nordamerikanischer Arten angesehen.

Eine große Sorge im Zusammenhang mit dem Rückgang der Insekten in einer sich erwärmenden Welt besteht darin, dass die Pflanzen, auf die die Insekten als Nahrung und Schutz angewiesen sind, ebenfalls vom Klimawandel betroffen sind. Und wenn die Zahl der Insekten abnimmt, wirkt sich das wiederum auf die Nahrungskette aus.

Unentbehrliche Leistungen von Insekten

Bestäubung, Schädlingsbekämpfung, Nährstoffkreislauf und Zersetzung von Abfällen: Insekten erbringen lebenswichtige Leistungen, die die menschliche Zivilisation aufrechterhalten und die der Weltwirtschaft jedes Jahr Milliarden von Dollar einbringen. Ausserdem machen sie den überwältigenden Teil der biologischen Vielfalt aus.

«Im Laufe der Zeit müssen die Insekten ihre saisonalen Lebenszyklen und ihre Verbreitung anpassen, wenn es wärmer wird», sagt Harvey. Ihre Fähigkeit, dies zu tun, wird jedoch durch andere, vom Menschen verursachte Bedrohungen wie die Zerstörung und Fragmentierung von Lebensräumen und den Einsatz von Pestiziden beeinträchtigt. Darüber hinaus können kurzfristige Hitzewellen und Dürren die Insektenpopulationen drastisch schädigen, so dass sich die Insekten weniger gut an eine allmähliche Erwärmung anpassen können.

Massnahmen gegen den Insektenrückgang

Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen beschreiben in der Studie nicht nur die Herausforderungen, sondern erörtern auch eine Reihe von Massnahmen, die dazu beitragen können, Insekten gegen die Klimaerwärmung zu schützen. Sie fordern unter anderem, dass der Klimawandel im grossen Stil bekämpft wird, dass der Einsatz von Pestiziden und anderen Chemikalien reduziert werden sollte und dass Renaturierungs-Programme auch Ökosysteme auf Mikroebene berücksichtigen sollen, die sich auf die Erhaltung von Kleintieren wie Insekten konzentrieren. «Das Insektensterben kann nur durch interdisziplinäre Ansätze eingedämmt werden. Und ohne die Auswirkungen des Klimawandels auf unsere Insekten zu berücksichtigen, wird es nicht möglich sein, eine wirksame Strategie gegen den Insektenrückgang zu entwickeln», sagt Thakur.

Das Institut für Ökologie und Evolution

Das Institut für Ökologie und Evolution an der Universität Bern widmet sich der Forschung und Lehre in allen Aspekten von Ökologie und Evolution und versucht eine wissenschaftliche Basis für das Verständnis und die Erhaltung der lebenden Umwelt zu bieten. Es untersucht die Mechanismen, durch die Organismen auf ihre Umwelt reagieren und mit ihr interagieren, einschliesslich phänotypischer Reaktionen auf individueller Ebene, Veränderungen in Häufigkeiten von Genen und Allelen auf Populationsebene wie auch Veränderungen in der Artenzusammensetzung von Gemeinschaften bis hin zur Funktionsweise von ganzen Ökosystemen.

Mehr Informationen

Publikationsangaben

Scientists’ warning on climate change and insects, Jeffrey A. Harvey, Kévin Tougeron, Rieta Gols, Robin Heinen, Mariana Abarca, Paul K. Abram, Yves Basset, Matty Berg, Carol Boggs, Jacques Brodeur, Pedro Cardoso, Jetske G. de Boer, Geert De Snoo, Charl Deacon, Jane E. Dell, Nicolas Desneux, Michael E. Dillon, Grant A. Duffy, Lee A. Dyer, Jacintha Ellers, Anahí Espíndola, James Fordyce, Matt Forister, Caroline Fukushima, Matthew J. G. Gage, Carlos García-Robledo, Claire Gely, Mauro Gobbi, Caspar Hallmann, Thierry Hance, John Harte, Axel Hochkirch, Christian Hof, Ary Hoffmann, Joel Kingsolver, Greg Lamarre, William Laurance, Blas Lavandero, Cécile Le Lann, Simon Leather, Philipp Lehmann, Margarita M. López-Uribe, Chun-Sen Ma, Gang Ma, Joffrey Moiroux, Lucie Monticelli, Chris Nice, Paul J. Ode, Sylvain Pincebourde, William J. Ripple, Melissah Rowe, Michael Samways, Arnaud Sentis, Alisha A. Shah, Nigel Stork, John S. Terblanche, Madhav P. Thakur, Matthew Thomas, Jason M. Tylianakis, Joan Van Baaren, Martijn Van de Pol, Wim H. Van der Putten, Hans Van Dyck, Wilco C.E.P. Verberk, David Wagner, Wolfgang Weisser, William C. Wetzel, H. Arthur Woods, Kris A.G. Wyckhuys and Steven L. Chown, Ecological Monographs, e1553, 07 NOV 2022.

DOI: 10.1002/ecm.1553

 

07.11.2022