Transparente Klimapolitik stösst auf Zustimmung

Wer die Klimaerwärmung als dringendes Problem wahrnimmt, befürwortet ehrgeizige Klimaziele stärker – nicht aber konkrete politische Massnahmen, die auf persönliche Verhaltensänderungen abzielen. Einschneidenden Massnahmen werden eher mitgetragen, wenn deren Bedeutung für den Klimaschutz verstanden wird. Dies zeigt eine neue Studie unter Leitung des Berner Politologen Lukas Fesenfeld.

An Wissen über Ursachen und Folgen des Klimawandels fehlt es nicht, doch mit dem Handeln tun sich Politik, Wirtschaft, aber auch die Bevölkerung schwer. Weshalb sich diese Kluft zwischen Wissen und Handeln nicht schliessen lässt, ist in den Sozialwissenschaften ein viel diskutiertes Thema. Genau wie die Frage, wie sich Bürgerinnen und Bürger für Klimaschutzmassnahmen gewinnen lassen. Nun melden sich zwei Politologen mit neuen Erkenntnissen. In einer grossangelegten Befragung haben Lukas Fesenfeld von der Universität Bern und Adrian Rinscheid von der Universität St. Gallen ermittelt, dass Menschen, die den Klimawandel als dringendes Problem betrachten, ehrgeizige Klimaschutzmassnahmen stärker befürworten. Die wahrgenommene Dringlichkeit des Klimawandels hat allerdings keinen Effekt auf die Zustimmung zu Massnahmen, die auf persönliche Verhaltensänderungen abzielen – zum Beispiel weniger Fleisch essen und Auto fahren.

Die Bevölkerung steht einer ehrgeizigen Klimapolitik nicht im Weg

Die soeben in der Fachzeitschrift «One Earth» erschienene Studie liefert jedoch auch Erkenntnisse, die zuversichtlich stimmen. Lukas Fesenfeld, Politologe am Oeschger-Zentrum für Klimaforschung der Universität Bern, sagt: «Wenn Regierungen eine offene und transparente Klimapolitik betreiben, sind die Menschen eher bereit, einschneidende Massnahmen mitzutragen. Auch die Verknüpfung abstrakter Informationen über die Dringlichkeit des Klimawandels mit persönlichen Erlebnissen von Extremwetterereignissen könnte die Zustimmung erhöhen.» Grundsätzlich stünden Bürgerinnen und Bürger der Einführung effektiver Klimapolitik nicht im Weg, so der Ko-Autor der Studie «Emphasizing urgency of climate change is insufficient to increase policy support.

Die Untersuchung stützt sich auf die Befragungen von rund 10'000 Wählerinnen und Wählern in Deutschland und den USA. Dabei zeigte sich unter anderem, dass 80 Prozent der deutschen und 64 Prozent der amerikanischen Teilnehmenden der Meinung sind, der Klimawandel stelle bereits heute ein ernsthaftes Problem dar und betreffe zudem künftige Generationen. Für die Auswirkungen auf ihr eigenes Leben machen sich die Studienteilnehmenden allerdings weniger Sorgen.

Zum Hintergrund der Studie erklärt Ko-Autor Adrian Rinscheid von der Universität St. Gallen: «Wir hatten den Eindruck, dass Politiker eine ehrgeizige Klimapolitik scheuen, weil sie sich vor negativen Reaktionen der Bevölkerung fürchten. Zudem ist in der Klimakommunikation heute viel davon die Rede, es müsse die Dringlichkeit des Klimawandels und von Klimaschutzmassnahmen betont werden. Aus diesem Grund beschlossen wir herauszufinden, wie sich die wahrgenommene Dringlichkeit auf die Unterstützung der Klimapolitik auswirkt.»

Bedeutung von Massnahmen verstehen

Die Befragung zeigte, dass das Bewusstsein der Dringlichkeit mit einer grösseren Unterstützung allgemeiner Klimaziele einhergeht. Sind allerdings Veränderungen am persönlichen Lebensstil gefragt, sinkt der Effekt der wahrgenommenen Dringlichkeit auf die Zustimmung. Trotzdem, so der Schluss der beiden Politologen, gebe es für Politikerinnen und Politiker Handlungsspielraum und es liessen sich durchaus starke Massnahmen zum Schutz des Klimas vorantreiben. Die Studie zeigt nämlich, dass bei den Befragten die Bereitschaft wächst, einschneidende Massnahmen mitzutragen, wenn sie deren Bedeutung verstehen. Wichtig sei dabei unter anderem, dass Politikerinnen und Politiker den Menschen konkret erklären, warum solche Massnahmen notwendig sind, um effektiv den Klimawandel zu stoppen.

«Werden die Zusammenhänge richtig dargestellt und begründet, zum Beispiel warum die Reduktion des Fleischkonsums ein sehr effektives Instrument ist, um besonders klimaschädliche Methanemissionen zu reduzieren, wächst die Zustimmung sogar für Massnahmen, die persönliche Verhaltensänderungen nötig machen oder für die Einzelnen mit Kosten verbunden sind», sagt Lukas Fesenfeld «Es geht also nicht nur darum, die zeitliche Dringlichkeit des Klimawandels hervorzuheben. Es muss auch betont werden, warum bestimmte zeitkritische Lösungen besonders effektiv sind, um der Klimakrise entgegenzuwirken.»

Interview mit Lukas Fesenfeld im Online-Magazin «uniaktuell» der Universität Bern:

«Ambitionierte Klimapolitik ist politisch machbar»

Eine konsequente Klimapolitik verliert an Zustimmung, wenn persönliche Verhaltensänderungen gefragt sind, zeigt eine Studie unter Leitung des Berner Politologen Lukas Fesenfeld. Zugleich macht sie deutlich, wie sich beim Thema Klimaerwärmung die Kluft zwischen Wissen und Handeln überbrücken lässt.

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Oeschger-Zentrum für Klimaforschung

Das Oeschger-Zentrum für Klimaforschung (OCCR) ist eines der strategischen Zentren der Universität Bern. Es bringt Forscherinnen und Forscher aus 14 Instituten und vier Fakultäten zusammen. Das OCCR forscht interdisziplinär an vorderster Front der Klimawissenschaften. Das Oeschger-Zentrum wurde 2007 gegründet und trägt den Namen von Hans Oeschger (1927-1998), einem Pionier der modernen Klimaforschung, der in Bern tätig war.

www.oeschger.unibe.ch

Publikation:

Fesenfeld, L.P., Rinscheid, A. (2021). Emphasizing Urgency of Climate Change is Insufficient to Increase Policy Support. One Earth, Volume 4, Issue 3, 19 March 2021, Pages 411-424. DOI: https://doi.org/10.1016/j.oneear.2021.02.010  Free (download) access for 50 days via: https://authors.elsevier.com/a/1cmC69C%7EItuWt8

16.04.2021