Wie Feinstaub die Atemwege schädigt und bestehende Lungenerkrankungen verschlimmert
Eine internationale Studie unter Leitung der Universität Bern hat die Wirkung von Feinstaub aus menschlichen und natürlichen Quellen auf menschliche Lungenzellen untersucht. Dabei zeigten sich Schäden im Abwehrsystem der Lunge, die bei bestehenden Lungenerkrankungen wie Asthma oder Cystischer Fibrose zu einer Verschlimmerung führen. Für die gesundheitsschädigenden Wirkungen sind vor allem vom Menschen verursachte Luftschadstoffe, unter anderem aus der Holzverbrennung und dem Strassenverkehr verantwortlich.
Luftverschmutzung durch Feinstaub gehört neben Bluthochdruck, Rauchen, Diabetes und Übergewicht zu den fünf häufigsten Gesundheitsrisiken weltweit. Besonders gefährdet sind Kinder, Schwangere, ältere Personen sowie solche mit bestehenden Herz-Kreislauf- oder Lungen-Erkrankungen. In der Schweiz sterben gemäss dem Bundesamt für Umwelt jährlich mehr als 2000 Personen vorzeitig an den Folgen der Luftverschmutzung, weltweit sind es 4.2 Millionen.
Noch wenig bekannt ist, welche Partikel-Eigenschaften die gesundheitlichen Schäden verursachen, und welche Signalwege in den Atemwegszellen davon betroffen sind. Nun hat ein internationales Forscherteam unter der Leitung der Lungenforscherin Marianne Geiser vom Institut für Anatomie der Universität Bern und des Aerosolforschers Josef Dommen vom Paul Scherrer Institut (PSI) erstmals aufgezeigt, dass die Zellschädigung durch Feinstaub und Entzündungsprozesse direkt miteinander verknüpft sind.
Eines der wichtigsten Abwehrsysteme der Lunge wird geschwächt, was bei einer bestehenden Lungenkrankheit zu einer Verschlimmerung führt. Zudem konnten die Forschenden nachweisen, dass die gesundheitsschädigenden Wirkungen vor allem auf Feinstaub-Emissionen aus menschlicher Quelle zurückgeführt werden können. Die Studie wird heute in der Fachzeitschrift «PLOS ONE» publiziert.
Feinstaub und gesundheitliche Folgen
Der kausale Zusammenhang zwischen Inhalation von Feinstaub und gesundheitlichen Schäden ist seit langem wissenschaftlich belegt. Das bei gesunden Personen normalerweise gut ausgebildete Abwehrsystem in der Lunge sorgt dafür, dass abgelagerte Partikel möglichst rasch unwirksam gemacht und aus der Lunge entfernt werden. Können jedoch eingeatmete Partikel dieses Abwehrsystem aufgrund ihrer physikalisch-chemischen Eigenschaften überwinden, besteht die Gefahr, dass das Lungengewebe irreparabel geschädigt wird.
Gefährdet sind insbesondere Personen mit Asthma, Chronisch Obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) oder Cystischer Fibrose (CF). In der Studie wurde nun untersucht, welche Partikel-Eigenschaften für welche Schädigungen der Atemwegszellen verantwortlich sind, welchen Einfluss Feinstaubpartikel auf das zelluläre Abwehrsystem haben, und schliesslich, welche Änderungen des Abwehrsystems den Krankheitsverlauf beeinflussen.
Realitätsnahe Experimente
Für die Untersuchung wurde wasserlöslicher Feinstaub mit unterschiedlichen physikalischen und chemischen Eigenschaften aus regionalen und saisonalen Filterproben extrahiert und das sogenannte oxidative Potenzial (OP) der extrahierten Partikel bestimmt. Das OP ist ein Mass für die Fähigkeit des Feinstaubes, Antioxidanten abzubauen, was zur Schädigung von Körperzellen und Gewebe führen kann.
Anschliessend wurden Atemwegszellen verschiedenen Dosierungen von Partikeln ausgesetzt. «Für die Experimente verwendeten wir realitätsnahe in-vitro Kulturen der inneren Lungenoberfläche», erklärt Marianne Geiser. «Dies erlaubt es, potenziell schädliche Partikel auf Zellkulturen von gesunden und kranken Atemwegen zu platzieren und somit die Gefährdung von besonders empfindlichen Personengruppen abzuklären, die aus ethischen Gründen nie an einer Studie hätten teilnehmen können.»
Möglich war dies dank eines speziellen in-vitro Modellsystems für realitätsnahe inhalationstoxikologische Studien, das von Marianne Geiser in Zusammenarbeit mit Schweizer und amerikanischen Partnerinstitutionen entwickelt wurde. Die Ergebnisse zeigten: Bei allen Zellkulturen wurde ein Anstieg der Zellschädigung und gleichzeitig eine erhöhte Konzentration von Entzündungsmediatoren sowohl bei gesunden Zellen als auch denen mit Cystischer Fibrose nachgewiesen. «Dies weist auf die Verknüpfung von Zellschädigung durch Feinstaub und Entzündungsprozessen hin», sagt Zaira Leni, Erstautorin der Studie.
Dabei entstand ein Ungleichgewicht in einem der wichtigsten natürlichen Abwehrsysteme in der Lunge, dem antioxidativen System. Während bei den gesunden Zellen ein antioxidativer Abwehrmechanismus das Fortschreiten der Entzündungsreaktionen stoppen konnte, reichte die Abwehrkapazität bei kranken Zellen dazu nicht aus. Dies führte zu einer erhöhten Zellsterblichkeit und somit zu einer Verschlimmerung der Krankheit. Aber nicht nur das: «Diese Reaktionen reduzieren auch die Fähigkeit der Atemwegszellen, auf einen nachfolgenden viralen oder bakteriellen Angriff entsprechend zu reagieren», erklärt Marianne Geiser.
Feinstaub-Emissionen aus menschlicher Quelle am schädlichsten
Eine vom Paul Scherrer Institut geleitete Partnerstudie, die heute im Journal «Nature» publiziert wird, bestimmte die Komponenten und Quellenanteile von Feinstaub und ordnete sie durch statistische Verfahren den verschiedenen Emissionsquellen zu. Die Forschenden fanden heraus, dass das OP vor allem von Bestandteilen aus der Holzverbrennung und von Metallemissionen aus Bremsen- und Reifenabrieb des Strassenverkehrs stammt. «In einem parallel durchgeführten Zellexperiment konnten wir erstmals zeigen, dass das oxidative Potential gut mit den beobachteten Entzündungsreaktionen korreliert», sagt Kaspar Dällenbach vom PSI.
Mittels Luftqualitätsmodellen wurde die Exposition der Bevölkerung in Europa auf Feinstaub berechnet. Es zeigte sich, dass in ganz Europa die Menge des Feinstaubs und das oxidative Potenzial nicht auf dieselben Emissionsquellen zurückzuführen sind. Daher ist anzunehmen, dass eine Reduktion der Menge von Feinstaub allein nicht ausreicht, sondern vor allem Emissionsquellen mit hohem OP reduziert werden müssten.
«Die in unserer Studie verwendeten modernsten Messmethoden, der interdisziplinäre Ansatz und die daraus gewonnenen Ergebnisse bilden einen weiteren wichtigen Schritt für die Erforschung der Luftschadstoffe und die gesundheitsschädigenden Wirkungsmechanismen», sagt Josef Dommen vom PSI. Die Forschenden sind überzeugt, dass der Einbezug gesundheitsrelevanter Feinstaub-Komponenten in regulatorische Richtlinien zur gesundheitlichen Verbesserung beitragen und besonders empfindliche Bevölkerungsgruppen schützen würde.
Die Studie wurde durch den Schweizerischen Nationalfonds SNF unterstützt.
Angaben zur Publikation:Z. Leni, L.-E. Cassagnes, K.R. Daellenbach, I. El Haddad, A. Vlachou, G. Uzu, A.S.H. Prévôt, J.-L. Jaffrezo, N. Baumlin, M. Salathe, U. Baltensperger, J. Dommen, M. Geiser. Oxidative stress-induced inflammation in susceptible airways by anthropogenic aerosol. PLOS ONE, 18. November, 2020; https://doi.org/10.1371/journal.pone.0233425. |
18.11.2020