Tierversuche sollen verlässlichere Resultate bei geringerer Tierzahl erzielen

Internationale Expertinnen und Experten haben auf Einladung der Universität Bern neue Empfehlungen zur Planung von Tierversuchen ausgearbeitet. Sie fordern einen Paradigmenwechsel, um die Reproduzierbarkeit von Versuchsergebnissen zu verbessern und gleichzeitig die Zahl der Versuchstiere zu vermindern.

Tierversuche werden meist unter hochstandardisierten Laborbedingungen durchgeführt. Durch Standardisierung soll die Reproduzierbarkeit der Versuchsergebnisse verbessert werden; in der Realität ist die Reproduzierbarkeit allerdings erstaunlich schlecht. Um robustere Versuchsergebnisse zu erzielen, schlagen die Forscherinnen und Forscher aus verschiedenen Fachgebieten nun vor, absichtlich biologische Variation im Versuchsdesign einzuplanen.

«Wissenschaftliche Ergebnisse in unabhängigen Studien zu reproduzieren, ist die Nagelprobe, mit der Forschende Fakten von Anekdoten unterscheiden», sagt Bernhard Völkl, der den Workshop zusammen mit Hanno Würbel, Professor für Tierschutz an der Universität Bern, ausgerichtet hat. Würbel fügt an: «Mangelnde Reproduzierbarkeit verursacht ökonomische Kosten und wissenschaftliche Unsicherheit – und ist ethisch bedenklich, wenn dadurch medizinischer Fortschritt behindert und Tiere in nicht aussagekräftigen Versuchen verwendet werden.»

Letztes Jahr trafen sich Völkl, Würbel und andere Expertinnen und Experten aus Biologie, Versuchsplanung und Biostatistik und diskutierten Strategien, um diese Herausforderungen anzugehen. Dabei kamen sie nach einer Durchsicht der bestehenden Forschung zum Schluss, dass es in der Versuchsplanung einen Paradigmenwechsel braucht. Ihre Überlegungen präsentieren sie nun in der Zeitschrift «Nature Reviews Neuroscience».

Mehr biologische Variation gefordert

Strikte Standardisierung der Tiere und der Haltungsbedingungen ist bei Tierversuchen die Norm, zum Beispiel bei der Erforschung der Wirkung eines neuen Medikaments. Durch Elimination möglichst aller Einflussfaktoren, ausser der Versuchsbehandlung, sollen die Präzision der Versuchsergebnisse erhöht und gleichzeitig der Tierverbrauch vermindert werden. Solch rigorose Standardisierung schränkt allerdings den Geltungsbereich der Versuchsergebnisse sehr stark ein.

«Der Geltungsbereich vieler Tierversuche ist so eingeschränkt, dass ein erhebliches Risiko besteht, Versuchsergebnisse zu erzielen, die nicht reproduzierbar sind», sagt Würbel. Das Team empfiehlt deshalb «Heterogenisierung», das gezielte Einplanen biologischer Variation im Versuchsdesign von Tierversuchen, um den Geltungsbereich der Ergebnisse zu erweitern und damit die Reproduzierbarkeit zu verbessern.

Erkenntnisgewinn pro Tier und Versuch maximieren

«Mit solchen Versuchsdesigns können wir vergleichbare Versuchsbedingungen und biologische Variation unter einen Hut bringen und damit feststellen, ob die Ergebnisse robust sind gegenüber Variation in den Versuchsbedingungen», sagt Naomi Altman, kürzlich emeritierte Professorin an der Penn State University (USA). Forschende haben vielfältige Möglichkeiten, um biologische Variation einzuplanen, zum Beispiel durch Verwendung mehrerer Zuchtlinien oder Altersgruppen, oder verschiedener Haltungsbedingungen. Alternativ können Versuche in mehreren Teilversuchen oder als Multilaborversuche durchgeführt werden.

«Es gibt nicht die eine beste Lösung für alle Versuche», sagt Völkl. «Deshalb empfehlen wir die Heterogenisierung von Tieren und Umweltbedingungen in allgemeiner Form. Forschende sollten ihre Lösungen mit Blick auf den angestrebten Geltungsbereich der Versuchsergebnisse begründen.» Mögliche Lösungsansätze sollen in zukünftigen Studien erforscht werden, um Forschenden konkretere Empfehlungen geben zu können. Die Expertinnen und Experten sind überzeugt, dass durch Einplanung biologischer Variation ins Versuchsdesign weniger Versuche und damit weniger Versuchstiere gebraucht werden, um belastbare Ergebnisse zu erzielen.

Selbst wenn für einzelne Versuche mehr Tiere verwendet würden, wird damit der Gesamtverbrauch an Tieren abnehmen, betonen die Autorinnen und Autoren. «Wir schlagen einen Paradigmenwechsel vor, um den Nutzen von Tierversuchen zu erhöhen und damit den Tierverbrauch zu vermindern», so Würbel: «Statt die Anzahl Tiere pro Tierversuch zu minimieren, sollten wir den Erkenntnisgewinn pro Tier oder Versuch maximieren.»

Umdenken bei Forschungsförderern und Bewilligungsbehörden

Um diesen Paradigmenwechsel voranzutreiben, sollten Forschungsförderer, Bewilligungsbehörden und Herausgeber von Fachzeitschriften Heterogenisierung als neuen Standard betrachten und von den Forschenden verlangen, ihre Versuchsdesigns mit Blick auf den angestrebten Geltungsbereich der Ergebnisse zu begründen.

Der Workshop wurde vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) und von der Abteilung Tierschutz der Universität Bern unterstützt.

Forschung für den Tierschutz an der Universität Bern

Die Universität Bern verfügt mit Hanno Würbel über die erste Professur für Tierschutz an einer Schweizer Universität. Die Abteilung Tierschutz am Veterinary Public Health Institute der Vetsuisse-Fakultät wird gemeinsam von der Universität Bern und dem Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) getragen. Sie deckt die Bereiche Tierschutz, Ethologie und Tierhaltung in Lehre, Forschung und Dienstleistung ab. Ihr Ziel ist es, objektive wissenschaftliche Erkenntnisse zu relevanten Fragen des Tierschutzes zu erarbeiten und zu verbreiten. http://www.tierschutz.vetsuisse.unibe.ch

Angaben zur Publikation:

Voelkl B, Altman NS, Forsman A, Forstmeier W, Gurevitch J, Jaric I, Karp NA, Kas MJ, Schielzeth H, Van de Casteele T, Würbel H.: Reproducibility of animal research in light of biological variation. Nature Reviews Neuroscience, 2. Juni 2020, https://doi.org/10.1038/s41583-020-0313-3

 

02.06.2020