Geteilte Macht, zufriedeneres Volk
Der Angriff autoritärer Regierungen auf die eigenen politischen Institutionen bringt zahlreiche Demokratien an ihre Grenzen. Dies wirkt sich unter anderem auf ihre Legitimität aus. In einer breit angelegten Studie zeigen Forschende der Universitäten Bern und Mannheim, dass eine starke Machtteilung in Demokratien tendenziell zu einer höheren Zufriedenheit in der Bevölkerung führt.
Regierungschefs wie Donald Trump, Viktor Orban und Andrzei Duda versuchen fortlaufend, ihre Macht zu nutzen, um andere politische Institutionen wie das Parlament und die Justiz zu schwächen und die Gewaltenteilung auszuhöhlen. Dies stellt eine der grössten Herausforderungen für heutige Demokratien dar. Nun zeigt eine Studie des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Bern, dass es einen Zusammenhang zwischen der Machtteilung in einer Demokratie und der Zufriedenheit der Bevölkerung gibt. Hingegen führt eine starke Machtkonzentration bei der Regierung zu einer höheren Wahlbeteiligung. Adrian Vatter, Ordinarius und Direktor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern, und Julian Bernauer, Postdoktorand an der Universität Mannheim und zuvor Oberassistent an der Universität Bern, haben in einer Studie während acht Jahren das institutionelle Machtgefüge in 61 Demokratien zwischen 1990 und 2015 analysiert.
Belgien: Paradebeispiel einer Proporzdemokratie
«Machtdiffusion beschreibt den Charakter einer Demokratie und erfasst, wie weit es Akteuren in politischen Institutionen gelingt, sich gegen die Interessen anderer durchzusetzen», erklärt Studienleiter Adrian Vatter. So gilt die Schweiz seit langem als Vorzeigebeispiel einer Demokratie mit einer sehr ausgebauten Machtdiffusion: Die Schweizer Kollegialregierung kann bekanntlich nur mit der Unterstützung der beiden Parlamentskammern, der Verbände, Parteien, Kantone und dem Stimmvolk ihre politischen Ziele erreichen. Die Studie zeigt, dass es weltweit vier Dimensionen der demokratischen Machtteilung gibt: Proportionale und Mehrheitsdemokratie, Parlamentarismus und Präsidentialismus, Zentralisierung und Föderalismus sowie direkte und repräsentative Demokratie. «Unsere Ergebnisse zeigen, dass nicht etwa die Schweiz das Paradebeispiel einer stark proportionalen Demokratie ist – geprägt von einem sehr gerechten Verhältniswahlsystem, vielen Parteien, einer breit abgestützten Mehrparteienregierung und einem starken Parlament – sondern Belgien», sagt Vatter. Unbestritten bleibt die Schweiz aber Weltmeisterin der direkten Demokratie, weit vor Litauen, Uruguay und Italien. Die stärkste Machtkonzentration beim Präsidenten weisen die USA vor Mexiko und Argentinien auf. Neuseeland und Australien hingegen sind die am stärksten ausgeprägten parlamentarischen Demokratien. Die grösste Autonomie der Gliedstaaten im Sinne der föderalen Demokratie findet sich in den USA, Kanada, Deutschland, der Schweiz und Argentinien. Neuseeland hingegen ist sehr zentralisiert. «Eine ähnliche Einordnung von Demokratien auf Dimensionen der Machtdiffusion funktioniert in föderalen Staaten auch auf der subnationalen Ebene – in der Schweiz also auf Kantonsebene», sagt Ko-Studienautor Julian Bernauer.
Höhere Zufriedenheit in machtteilenden Demokratien
Wie die Macht zwischen den politischen Institutionen aufgeteilt ist, hat Auswirkungen auf die Legitimität von Demokratien. Eine starke Machtkonzentration und damit eine klare Zuschreibung der politischen Verantwortung führt vor allem zu einer hohen Wahlbeteiligung. Die politische Partizipation bei Wahlen ist in Mehrheits- und zentralisierten Systemen grösser als in proportionalen und dezentralen Demokratien. Hingegen ist die Zufriedenheit mit dem politischen System in machtteilenden Demokratien höher. Die Bürgerinnen und Bürger beurteilen die Funktionsweise ihrer Demokratie in Proporzsystemen positiver als in Ländern mit einer starken Machtkonzentration bei der Regierung. «Die Zusammenhänge sind sehr komplex, es gibt keine einfache institutionelle Lösung für alle politischen und gesellschaftlichen Probleme», sagt Bernauer. Adrian Vatter schliesst: «Damit eine Demokratie mit einer starken Machtteilung wie in der Schweiz auch weiterhin erfolgreich funktionieren kann, braucht es aber neben starken und stabilen Institutionen auch die Bereitschaft der politischen Elite zum Dialog und Kompromiss».
Publikationsdetails:Bernauer, J. und Vatter, A. (2019). «Power Diffusion and Democracy. Institutions, Deliberation and Outcomes.» Cambridge and New York: Cambridge University Press. https://www.cambridge.org/core/books/power-diffusion-and-democracy/0873835324B297955B6E86C3E36A097F |
Institut für PolitikwissenschaftDas Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern ist eines der führenden politikwissenschaftlichen Institute der Schweiz und gehört gemäss CHE Excellence Einstufung zur Spitzengruppe in Europa. Nebst ausgezeichneter Grundlagenforschung wird auch praxisrelevante Auftragsforschung betrieben. Schwerpunkte in der Lehre und Forschung sind schweizerische Politik, vergleichende Politikwissenschaft, Europa- und Umweltpolitik sowie die Einstellungs- und Verhaltensforschung. Zudem werden zahlreiche Dienstleistungen für die Öffentlichkeit angeboten, so die «Année Politique Suisse». Weitere Informationen: www.ipw.unibe.ch |
30.01.2020