Entstehung zweier «kosmischer Diamanten» geklärt

«Bennu» und «Ryugu» sind zwei erdnahe Asteroiden mit einer diamantenähnlichen Form, über deren Entstehung lange gerätselt wurde. Nun zeigen Simulationen von Kollisionen, an denen unter anderen Martin Jutzi von der Universität Bern beteiligt war, wie die besondere Form zustande kam. Die Ergebnisse könnten auch helfen, die Vorgänge bei der Entstehung der Erde besser zu verstehen.

Vor rund viereinhalb Milliarden Jahren, als unser Sonnensystem noch in den Kinderschuhen steckte, gab es noch keine Erde. Sie war, zusammen mit den anderen Planeten des Systems, noch als Staub in der so genannten protoplanetaren Scheibe verteilt. Über Jahrtausende hinweg klumpte sich dieser Staub langsam zusammen und bildete immer grössere Objekte. Diese kollidierten oft heftig miteinander, manchmal zerschmetterten sie sich gegenseitig. Mit der Zeit jedoch bildeten sich daraus planetarische Bausteine und schliesslich unser Heimatplanet und seine Nachbarn. Auch heute noch zeugen Krater auf der Oberfläche von Himmelskörpern von diesen Kollisionen. Dies gilt auch für die beiden Asteroiden «Ryugu» und «Bennu», wie Aufnahmen von der Raumsonde Hayabusa2 der Japan Aerospace Exploration Agency (JAXA) und der OSIRIS-REx-Mission der NASA zeigen. Die beiden Asteroiden waren jedoch möglicherweise nicht nur von Kollisionen betroffen, sondern sind sogar durch solche entstanden, wie eine soeben in der Zeitschrift Nature Communications publizierte Studie darlegt, an der Martin Jutzi vom Physikalischen Institut und dem Nationalen Forschungsschwerpunkt PlanetS an der Universität Bern beteiligt ist.

Gemeinsame Abstammung

Die jüngsten Untersuchungen haben nicht nur gezeigt, dass beide Asteroiden in ihrer Form Diamanten ähneln, sondern auch, dass es sich weniger um Einzelobjekte handelt, sondern eher um Aggregate von Felsen, die durch die Schwerkraft zusammengehalten werden. Ausserdem scheinen beide Asteroiden vom Typ der kohlenstoffhaltigen Asteroiden zu sein, was bedeutet, dass ihre Zusammensetzung grosse Mengen an Kohlenstoff enthält. Diese Ähnlichkeiten veranlassten die Forschenden zu der Annahme, dass «Ryugu» und «Bennu» von grösseren Asteroiden abstammen, vielleicht sogar vom selben Objekt.

Dennoch zeigten weitere Beobachtungen, dass die beiden Asteroiden auch Unterschiede aufweisen. Am bemerkenswertesten sind die unterschiedlichen Hydratationswerte: «Ryugu» scheint trockener zu sein als «Bennu».

Berner Expertise zu 3D-Simulationen von Kollisionen

Wenn die beiden Asteroiden tatsächlich vom selben Objekt stammen, wie könnten dann die unterschiedlichen Hydratationsniveaus erklärt werden, wenn man ihre ausgeprägte Diamantenformen in Betracht zieht?

An dieser Stelle kam Martin Jutzi ins Spiel, dessen Spezialgebiet 3D-Simulationen von Kollisionen sind. Damit hat Jutzi in der Vergangenheit unter anderem auch nachgewiesen, dass der Komet Churyumov-Gerasimenko viel jünger ist als angenommen, und er konnte die Entstehung der Saturnmonde klären, die aussehen wie kosmische Ravioli und Spätzli. «Für die aktuelle Studie habe ich die Kollisionen eines potenziellen Mutter-Asteroiden mit anderen Objekten modelliert und berechnet, wie sich dies auf die Dichte der Fragmente auswirken könnte», erklärt er. Mit Hilfe seiner Berechnungen konnte das Team zeigen, dass sich die Kollisionsfragmente wieder zusammensetzen und die Diamantenform bilden können.

Frühere Studien hatten angedeutet, dass die Form auf einen thermischen Effekt zurückzuführen ist, der die Rotationsgeschwindigkeit des Asteroiden beschleunigt und zu einer äquatorwärts gerichteten Verschiebung des Materials führt. Da dieser Effekt jedoch eine lange Zeit benötigt, um die Diamantenform zu erzeugen, wäre es schwierig gewesen, ihn mit den sehr alten Kratern in Einklang zu bringen, die darauf hindeuten, dass die Form schon früh in der Geschichte der Asteroiden entstanden ist. «Wir konnten die These, dass die Form auf thermische Effekte zurückzuführen ist, nun also dank unserer Simulationen widerlegen», erklärt Jutzi.

Jutzi und seine Kolleginnen und Kollegen zeigten auch, dass die Fragmente durch die Kollisionen unterschiedlich stark erhitzt werden konnten. «Wir haben die Modelle zur Berechnung des verursachten Temperaturanstiegs verbessert», erklärt Jutzi. Diese Erwärmung treibt die Verdampfung und den Verlust von Wasser in den Mineralien der Asteroiden an. Die unterschiedliche Erwärmung könnte somit die Unterschiede beim Wasserverlust und den daraus resultierenden Hydratationswerten erklären.

Weitere Erkenntnisse aus Proben

Materialproben aus den beiden Asteroiden-Probenentnahme-Missionen werden es den Forschenden ermöglichen, ihre Ergebnisse zu verifizieren. Die JAXA-Mission befindet sich derzeit auf dem Rückweg zur Erde. Wenn alles wie geplant verläuft, wird sie ihre Proben von «Ryugu» bis Ende des Jahres liefern. Die NASA-Raumsonde wird versuchen, ihre Proben von «Bennu» im Herbst zu sammeln und dürfte sie in etwas mehr als drei Jahren zur Erde zurückbringen. Die Forschenden hoffen, dass die Proben ihnen helfen werden, Ursprung, Entstehung und Entwicklung nicht nur von «Ryugu» und «Bennu» besser zu verstehen, wie Martin Jutzi sagt: «Indem wir diese Objekte betrachten, können wir idealerweise auch unser Verständnis dafür verbessern, wie die planetarischen Bausteine entstanden sind, die schliesslich die Erde geformt haben.»

Angaben zur Publikation:

Collisional Formation of Top-Shaped Asteroids and Implications for the Origins of Ryugu and Bennu, Patrick Michel et al., 2020 May, 27, Nature Communications https://doi.org/10.1038/s41467-020-16433-z

Berner Weltraumforschung: Seit der ersten Mondlandung an der Weltspitze

Als am 21. Juli 1969 Buzz Aldrin als zweiter Mann aus der Mondlandefähre stieg, entrollte er als erstes das Berner Sonnenwindsegel und steckte es noch vor der amerikanischen Flagge in den Boden des Mondes. Dieses Solarwind Composition Experiment (SWC), welches von Prof. Dr. Johannes Geiss und seinem Team am Physikalischen Institut der Universität Bern geplant und ausgewertet wurde, war ein erster grosser Höhepunkt in der Geschichte der Berner Weltraumforschung. 

Die Berner Weltraumforschung ist seit damals an der Weltspitze mit dabei. In Zahlen ergibt dies eine stattliche Bilanz: 25mal flogen Instrumente mit Raketen in die obere Atmosphäre und Ionosphäre (1967-1993), 9mal auf Ballonflügen in die Stratosphäre (1991-2008), über 30 Instrumente flogen auf Raumsonden mit, und mit CHEOPS teilt die Universität Bern die Verantwortung mit der ESA für eine ganze Mission.

Die erfolgreiche Arbeit der Abteilung Weltraumforschung und Planetologie (WP) des Physikalischen Instituts der Universität Bern wurde durch die Gründung eines universitären Kompetenzzentrums, dem Center for Space and Habitability (CSH), gestärkt. Der Schweizer Nationalsfonds sprach der Universität Bern zudem den Nationalen Forschungsschwerpunkt (NFS) PlanetS zu, den sie gemeinsam mit der Universität Genf leitet.

03.06.2020

Video der Simulation, die zeigt, wie sich die in der Kollision entstandenen Bruchstücke durch die Gravitationskraft zusammenklumpen. Ein Teil der entstehenden Aggregate werden vom Hauptkörper akkretiert. Aus den wegfliegenden, kleineren Fragmenten entstehen verschiedenartige Objekte, manchmal diamantenähnliche Formen (wie in den Standbildern gezeigt). © Michel et al./Nature Communications