ABCD-Konferenzen für eine integrative und nachhaltige Wissenschaft
ABCD: alle Kontinente (all continents), ausgewogenes Verhältnis der Geschlechter (balanced gender), kohlenstoffarmer Transport (low carbon tranport) und unterschiedliche Hintergründe (diverse backgrounds). Diese Kriterien sollen die wissenschaftlichen Konferenzen der Zukunft prägen. Entwickelt wurde das neue ABCD-Format unter anderem von Ole Seehausen, Professor für aquatische Ökologie und Evolution an der Universität Bern.
Ein neues Format für Konferenzen will einen dringend benötigten Wandel in der Wissenschaft erleichtern. Forschende aus aller Welt, von jedem Geschlecht und von unterschiedlichen kulturellen oder ethnischen Hintergründen sollen explizit zu wissenschaftlichen Konferenzen und Forschungsnetzwerken eingeladen werden. Denn es ist bekannt, dass gemischte und integrative Gruppen besser darin sind, neue Einsichten zu ermöglichen und Lösungen für komplexe Probleme zu finden. Gleichzeitig soll mit dem neuen Format der ökologische Fussabdruck von Konferenzen und Workshops verringert werden.
Forschende über Grenzen hinweg vernetzen
Heute treffen sich bei wissenschaftlichen Konferenzen in der Regel Teilnehmende aus dem gleichen Forschungsumfeld, oft immer wieder dieselben Personen, die meist einen eher schmalen Sektor der Wissenschaftswelt repräsentieren. Ausserdem reisen viele von weit her an, oft mit dem Flugzeug. Das hat nicht nur einen hohen Ausstoss an Kohlendioxid zu Folge, sondern schliesst häufig auch Teilnehmende aus Ländern mit geringeren finanziellen Ressourcen aus. «Wir finden, dass sich das ändern muss – im Interesse sowohl der Gesellschaft als auch der Wissenschaft», fordert Ole Seehausen, Abteilungsleiter am Wasserforschungsinstitut Eawag und Professor für aquatische Ökologie und Evolution an der Universität Bern. «Wir wollen die Forschenden virtuell und über die Grenzen der aktuellen Netzwerke hinweg miteinander verbinden».
Ole Seehausen hat daher zusammen mit Florian Altermatt, Gruppenleiter an der Eawag und Professor für Aquatische Ökologie an der Universität Zürich, und Rosetta Blackman, Postdoc-Forscherin an der Eawag, das neue ABCD-Format für wissenschaftliche Konferenzen entwickelt. ABCD steht für alle Kontinente (all continents), ausgewogenen Verhältnis der Geschlechter (balanced gender), kohlenstoffarmer Transport (low carbon tranport) und unterschiedliche Hintergründe (diverse backgrounds). Das Format kombiniert drei Arten von Vorträgen: live übertragen, vorab aufgezeichnet und persönlich. Das ermöglicht, ein breites Spektrum an Perspektiven aufzuzeigen, den ökologischen Fussabdruck zu reduzieren und gleichzeitig die Barrieren für Teilnehmende aus wirtschaftlich weniger gut gestellten Ländern zu senken, vorausgesetzt, der physische Standort der Konferenzen rotiert zwischen den Kontinenten.
Erste Erfahrungen vom World Biodiversity Forum
Das Forschungsteam hat seinen Vorschlag auch gleich in die Tat umgesetzt, um die Machbarkeit zu testen und zu demonstrieren. Am «World Biodiversity Forum» vom 22. bis 28. Februar 2020 in Davos, Schweiz, organisierten sie die Session «Aquatic Biodiversity: state and challenges ahead» gemäss dem neuen Format. Mögliche Rednerinnen und Redner wurden nicht nur aufgrund ihrer wissenschaftlichen Exzellenz und Relevanz, sondern auch aufgrund der ABCD-Kriterien ausgewählt. Vor der Session erhielten sie die Optionen, via live-streaming oder vorab aufgezeichneten Vorträgen teilzunehmen oder persönlich zur Konferenz zu kommen, vorausgesetzt sie reisten umweltfreundlich an.
Die Erfahrungen waren vielseitig und lehrreich. Alle drei Vortragsformate wurden von den Rednerinnen und Rednern genutzt. Bei der Organisation der Session fiel auf, dass es gar nicht so einfach war, die Kriterien A, b und D umzusetzen, da das eigene wissenschaftliche Netzwerk sich oft auf Forschende aus Europa, Nordamerika und wenigen anderen Orten beschränkt. Zudem reagierten viele angefragte Forschende nicht auf die Einladung zu einem Vortrag. «Diese Schwierigkeiten müssen wir lösen, indem wir unsere eigenen Netzwerke über unsere kulturelle und wissenschaftliche Nachbarschaft hinaus erweitern», sagt Blackman.
Virtuelle Ice-breaker fürs Networking
Von den Teilnehmenden kam das Feedback, dass auch Zeit für Networking und Diskussion bei einer ABCD-Konferenz eingeplant werden muss. Häufig sind die Pausen für die Forschenden der wichtigste Grund, an Konferenzen teilzunehmen, denn hier fliessen die meisten Informationen und wichtige Kontakte werden geknüpft. Das Forschungsteam schlägt daher vor, vor den Veranstaltungen virtuelle «ice-breaker» mit allen Vortragenden durchzuführen. Wichtig ist auch, nach jedem Vortrag genügend Zeit für Diskussionen einzuplanen. Dazu sollte nicht nur der Vortragende, sondern auch auf das Publikum live übertragen werden, um den Austausch zu erleichtern. Und nicht zuletzt bietet Social Media neue Möglichkeiten für die Vernetzung untereinander.
Nicht nur im Bereich der Nachhaltigkeit wächst das Bedürfnis nach neuen Formaten für wissenschaftlichen Konferenzen. Auch in Zeiten der aktuellen COVID-19-Krise mit den regionalen und globalen Reiseeinschränkungen steigt die Nachfrage. «Wir hoffen, dass das ABCD-Format nicht nur bei Konferenzen, sondern auch bei anderen Treffen von Arbeitsgruppen oder Forschungsprojekten eingesetzt wird. Wir glauben, dass ein integrativer und nachhaltiger Ansatz nicht nur Ungerechtigkeiten und Umweltbelastungen reduzieren wird. Er wird auch wesentlich sein, um Lösungen für die komplexen Herausforderungen der Nachhaltigkeitsforschung zu finden», ist Altermatt überzeugt.
Quelle: Eawag
Publikationsdetails:A meeting framework for inclusive and sustainable science |
24.04.2020