Neuer Kontrollmechanismus von REM-Schlaf entdeckt

Bisher war ungeklärt, warum REM-Schlaf oder Traumschlaf zunimmt, wenn die Raumtemperatur warm und angenehm ist. Berner Forschende belegen nun, dass bestimmte Gehirnzellen die REM-Schlafphase dann auslösen, wenn sich der Körper am wenigsten um die Temperatur kümmern muss. Diese Erkenntnisse tragen dazu bei, die Funktion des REM-Schlafs weiter zu enträtseln.

Im Schlaf wechseln wir jede Nacht zwischen zwei sehr unterschiedlichen Schlafphasen hin und her: dem REM-Schlaf (rapid eye movement), in dem wir träumen, und dem non-REM-Schlaf (non-rapid-eye-movement), in dem es nur wenige Traumerlebnisse gibt. Beim Einschlafen fallen wir in den non-REM-Schlaf mit regelmässiger und langsamer Atmung, in dem sich unsere Augen und Gliedmassen kaum bewegen. Rund 90 Minuten später wechseln wir in den REM-Schlaf, in dem unsere Atmung schnell und unregelmässig wird, unsere Gliedmassen zucken und sich unsere Augen rasch bewegen. Es ist ein paradoxer Zustand, in dem unser Gehirn sehr aktiv ist. Gleichzeitig sind wir aber unfähig, uns zu bewegen und unsere Körpertemperatur zu regulieren.

«Dieser Verlust der Thermoregulation im REM-Schlaf ist eine der rätselhaftesten Eigenschaften des Schlafs überhaupt – besonders, da wir über fein abgestimmte Mechanismen verfügen, die unsere Körpertemperatur kontrollieren, während wir wach sind oder uns im non-REM-Schlaf befinden», sagt Markus Schmidt vom Department for BioMedical Research (DBMR) der Universität Bern und von der Universitätsklinik für Neurologie am Inselspital, Universitätsspital Bern. Die Resultate der Studie bestätigen einerseits eine Hypothese, die Schmidt, Letztautor der Studie, bereits früher präsentiert hatte und stellen andererseits einen Durchbruch für die Schlafmedizin dar. Die Studie wurde im Journal «Current Biology» publiziert und von den Herausgebern mit einem Kommentar hervorgehoben.  

Ein Kontrollmechanismus, der Energie spart

Die Körpertemperatur gegen sinkende oder steigende Aussentemperaturen zu verteidigen und konstant zu halten, ist unsere «teuerste» biologische Funktion. Zu den energiefressenden Körperreaktionen gehören Hecheln, Schwitzen, Härchen aufstellen oder Zittern. Die von Markus Schmidt vorgeschlagene Hypothese der Energie-Bereitstellung im Schlaf besagt nun, dass REM-Schlaf eine Evolutionsstrategie ist, die Energieressourcen weg von der aufwendigen Thermoregulierung der Körperoberfläche hin zum Gehirn verlagert, um dort zahlreiche Gehirnfunktionen zu unterstützen. Gemäss dieser Hypothese könnten Säugetiere, um Energie zu sparen und Ressourcen zu optimieren, Mechanismen entwickelt haben, um den REM-Schlaf dann zu steigern, wenn der Bedarf an einer Verteidigung der Körpertemperatur am geringsten ist – oder den REM-Schlaf dann zu opfern, wenn uns kalt ist. «Meine Hypothese sagte voraus, dass wir über neuronale Mechanismen verfügen, die den REM-Schlaf je nach Raumtemperatur dynamisch kontrollieren», sagt Schmidt. Forschende der Neurowissenschaften am DBMR an der Universität Bern und der Universitätsklinik für Neurologie am Inselspital konnten dies nun belegen: Sie entdeckten spezifische Nervenzellen im Hypothalamus, der «Schaltzentrale» im Zwischenhirn, die zahlreiche Körperfunktionen steuert. Diese Nervenzellen steigern den REM-Schlaf dann, wenn die Raumtemperatur «genau richtig» und somit der Bedarf an einer Thermoregulierung des Körpers am geringsten ist.

Nervenzellen, die den REM-Schlaf ankurbeln

Eine kleine Gruppierung von Nervenzellen innerhalb des Hypothalamus spielt für den REM-Schlaf eine zentrale Rolle: das sogenannte Melanin-konzentrierende Hormon (MCH)-System. Es steuert das Auftreten des REM-Schlafs im Zusammenhang mit der Raum- oder Umgebungstemperatur. Die Forschenden zeigten, dass Mäuse ihren REM-Schlaf dynamisch steigern, wenn die

Raumtemperatur in den Bereich hin erhöht wird, der für sie «gerade richtig» ist. Diese Steigerung konnte bereits beim menschlichen Schlaf beobachtet werden. Mäuse jedoch, die genetisch bedingt keine Rezeptoren für MCH haben, konnten den REM-Schlaf während einer Erwärmung nicht steigern. «Es ist, wie wenn sie der steigenden Temperatur gegenüber ‹blind› wären», erklärt Schmidt. Die Forschenden setzten für ihre Untersuchung eine Technik namens Optogenetik ein, mit der sie Lichtimpulse einsetzten, um die hypothalamischen Nervenzellen von Mäusen präzise zu steuern. Die Laserimpulse waren zeitlich mit den Erwärmungsphasen gekoppelt. Dabei zeigte sich, dass das MCH-System benötigt wird, um REM-Schlaf dann zu steigern, wenn der Bedarf an Temperaturregulierung minim ist. 

Durchbruch für die Schlafmedizin

Die Forschenden um Schmidt konnten erstmals belegen, dass eine bestimmte Gehirnregion den REM-Schlaf in Abhängigkeit mit der Raumtemperatur steuert. «Unsere Entdeckung dieser Nervenzellen hat weitreichende Folgen für die Kontrolle des REM-Schlafs», sagt Schmidt. «Sie zeigt, dass die Menge und das Timing des REM-Schlafs fein abgestimmt sind auf unsere Raumtemperatur.»

REM-Schlaf spielt für viele Gehirnfunktionen eine wichtige Rolle, unter anderem für unser Langzeitgedächtnis. Er nimmt rund ein Viertel unserer gesamten Schlafzeit ein. «Die neuen Erkenntnisse weisen darauf hin, dass der REM-Schlaf wichtige Gehirnfunktionen aktivieren könnte – besonders dann, wenn wir keine Energie für die Thermoregulation aufzuwenden brauchen», erklärt Schmidt. «So können wir unsere Ressourcen optimieren.»

Publikationshinweis:

Noemie Komagata, Blerina Latifi, Thomas Rusterholz, Claudio L.A. Bassetti, Antoine Adamantidis,
and Markus H. Schmidt: Dynamic REM sleep modulation by ambient Temperature and the critical role of the melanin concentrating hormone system. Current Biology. 29, 1-12, 2019. https://doi.org/10.1016/j.cub.2019.05.009

Weitere im Text erwähnte Publikation:

Schmidt, M.H. (2014). The energy allocation function of sleep: a unifying theory of sleep, torpor, and continuous wakefulness. Neurosci. Biobehav. Rev. 47, 122–153.


 

05.06.2019