Hurrikane auf Abwegen sorgen für Starkniederschläge in Europa
Von ihrer Bahn abgekommene Tropenstürme beeinflussen das Wetter in Europa viel stärker als bisher angenommen. Eine Studie des Mobiliar Labs für Naturrisiken an der Universität Bern zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit für Starkniederschläge doppelt so hoch ist, wenn das Wetter in den mittleren Breiten von tropischen Wirbelstürmen gestört wird. Diese Erkenntnis könnte in Zukunft für bessere Prognosen von Wetterextremen sorgen.
Mitte Oktober 2017 legte «Ophelia» in weiten Teilen von Irland das öffentliche Leben lahm: Sturmböen mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 150 Kilometern pro Stunde und heftige Regenfälle verursachten grosse Schäden und sorgten für geschlossene Schulen. «Ophelia» war einer der stärksten jemals so weit im Osten des Atlantiks beobachtete Hurrikan. Dass Wirbelstürme, die gewöhnlich in der Karibik Verwüstungen anrichten, in mittlere Breiten weiterziehen, ist allerdings nichts Aussergewöhnliches. «Beinahe die Hälfte dieser Stürme bewegen sich aus den Tropen heraus und können danach auch das Wetter in Europa beeinflussen», sagt Olivia Romppainen, Professorin für Klimafolgenforschung an der Universität Bern und Co-Leiterin des Mobiliar Labs für Naturrisiken. Ihre Gruppe hat in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich und dem Karlsruher Institut für Technologie KIT erstmals untersucht, wie sich diese Ex-Hurrikane auf Starkniederschläge in Europa auswirken. Die Resultate wurden soeben in der Fachzeitschrift «Monthly Weather Review» veröffentlicht.
Extreme Niederschläge doppelt so wahrscheinlich
Roman Pohorsky, Mitarbeiter des Mobiliar Labs und Hauptautor der Studie, analysierte 146 sogenannt «zurückgebogene» tropische Wirbelstürme über dem Nordatlantik für die Zeit zwischen 1979 und 2013. Er konnte dabei die Auswirkung von Ex-Hurrikanen auf das europäische Wetter erstmals statistisch quantifizieren. «Es hat sich gezeigt, dass sich zwei bis drei Tage nach der Ankunft eines Sturms in den mittleren Breiten die Wahrscheinlichkeit von Starkniederschlägen in Europa verdoppelt», erklärt Olivia Romppainen. Bis anhin, so die Klimafolgenforscherin, seien diese Zusammenhänge nicht systematisch untersucht, sondern lediglich an Hand einzelner Fallstudien vermutet worden.
Die tropischen Wirbelstürme entstehen im Atlantik zwischen Afrika und Nordamerika und ziehen danach in die Karibik und den Golf von Mexiko weiter, wo sie sich zu einem grossen Teil verlieren. Zahlreiche dieser ehemaligen Wirbelstürme stossen allerdings weiter gegen Norden in die mittleren Breiten vor. Dort können sie das Wetter in Europa auf zwei unterschiedliche Arten beeinflussen: Entweder zieht ein Ex-Hurrikan direkt nach Europa weiter oder er verharrt über dem Nordatlantik, wo er den Jet-Stream – die Starkwindbänder in der Atmosphäre – stört. Beide Arten der Beeinflussung führen in Europa häufig zu extremen Niederschlägen.
Wetterextreme zuverlässiger vorhersagen
Ein Beispiel eines Ex-Hurrikans, der auch die Schweiz direkt in Mitleidenschaft zog, war Ende Oktober 2014 «Gonzalo». Zuerst zog der Sturm mit hoher Geschwindigkeit über England und Deutschland. Danach fegte er mit Windböen von bis zu 185 Stundenkilometern über die Schweiz und hielt Polizei und Feuerwehr in Atem: Bäume wurden entwurzelt, Dächer abgedeckt und Keller liefen nach Starkregen voll. Danach folgte ein früher Wintereinbruch mit Neuschneemengen in den Bergen von bis zu einem Meter. Und schliesslich zog «Gonzalo» gegen Süden bis nach Griechenland weiter, wo seine Überbleibsel für Schneestürme und Hochwasser sorgten.
Der Einfluss der ehemaligen Wirbelstürme wirkt sich auch auf die europäischen Wetterprognosen aus. «An Tagen, in den Ex-Hurrikane in die mittleren Breiten vorstossen», erklärt Olivia Romppainen, «verschlechtert sich häufig die Qualität der Prognosen.» Das nun am Mobiliar Lab gewonnene Wissen über den Zusammenhang von tropischen Stürmen und Starkniederschlägen auf der anderen Seite des Atlantiks könnte mittelfristig zu einer Verbesserung der Prognosen von Wetterextremen beitragen.
Oeschger-Zentrum für KlimaforschungDas Oeschger-Zentrum für Klimaforschung (OCCR) ist eines der strategischen Zentren der Universität Bern. Es ist ein führendes Klimaforschungszentrum und bringt Forscherinnen und Forscher aus 14 Instituten und vier Fakultäten zusammen. Das OCCR forscht interdisziplinär an vorderster Front der Klimawissenschaften. Das Oeschger-Zentrum wurde 2007 gegründet und trägt den Namen von Hans Oeschger (1927-1998), einem Pionier der modernen Klimaforschung, der in Bern tätig war. |
Mobiliar Lab für NaturrisikenDas Mobiliar Lab für Naturrisiken ist eine gemeinsame Forschungsinitiative des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung der Universität Bern und der Mobiliar. Die Forschungsschwerpunkte sind Hochwasser, Sturm und Hagel sowie deren Schadenspotenzial. Die Erforschung und Visualisierung des Schadenspotenzials von Hochwassern bilden einen zentralen Forschungsschwerpunkt. |
Publikationsdetails:Pohorsky, R., M. Röthlisberger, C.M. Grams, J. Riboldi, and O. Martius, 0: The climatological impact of recurving North Atlantic tropical cyclones on downstream extreme precipitation events. Mon. Wea. Rev., 0, https://doi.org/10.1175/MWR-D-18-0195.1 |
26.03.2019