Amüsement und Amtliches von vor 200 Jahren
In der Universitätsbibliothek Bern liegt ein Schatz von grosser kulturhistorischer Bedeutung, eine Zeitkapsel aus dem 19. Jahrhundert: Die Druckbelege aller Aufträge, die die Druckerei Haller zwischen 1800 und 1859 für Privatpersonen, Handel und Gewerbe sowie Staat und Kirche ausgeführt hat. Ein Teil dieser Zeitzeugen ist nun für Forschung und Öffentlichkeit zugänglich.
200 Bände gefüllt mit Zirkusplakaten, Tabakverpackungen, Amtsschriften oder Werbeanzeigen: Die vielfältige Belegsammlung der Druckerei Haller dokumentiert das amtliche, gesellschaftliche und kulturelle Leben Berns im 19. Jahrhundert. Die Berner Druckerei bewahrte in den Jahren 1800 bis 1859 von jedem Druckauftrag ein Exemplar auf und klebte diese Belege in grosse Folianten ein. Diese Sammlung wird von der Universitätsbibliothek Bern aktuell konservatorisch behandelt und erschlossen. Ein erster Teil davon ist schon jetzt für Forschung und Öffentlichkeit zugänglich: Nach vorgängiger Online-Bestellung kann der erschlossene Teil der Sammlung im Sonderlesesaal der Bibliothek Münstergasse konsultiert werden. Ab Oktober 2019 wird eine Ausstellung in der Bibliothek Münstergasse mit diesen Druckbelegen einen Einblick in die Druck- und Kulturgeschichte Berns im 19. Jahrhundert geben.
Plakate für den Flohzirkus und die «berühmte Tänzerfamilie Knie»
Unter den Druckbelegen findet sich eine Reihe von Schaustellerplakaten wie etwa jenes der «berühmten Tänzerfamilie Knie» aus dem Jahr 1851: Darauf wurde angekündigt, dass Direktor Karl Knie auf einem am Waisenhaus angebrachten Seil hinauf spazieren, «einen Tyroler herunter tanzen» und rückwärts wieder hinauf gehen wird. Auch Plakate für die «Kunstfleissigen Flöhe» des Matthias Esslinger oder «Ferallis Theater Academie» wurden gedruckt. 80 Schausteller- und Zirkusplakate sind frei digital verfügbar.
Neben diesen Plakaten beinhaltet die Sammlung Werbeanzeigen von bernischen und auswärtigen Händlern, Tabakverpackungen, Preislisten, Visitenkarten, Anschlagzettel, Kleinschriften von Vereinen und Gesellschaften, Berner Tanz- und Musikveranstaltungen und nicht zuletzt amtliche Drucksachen, Bücher und Zeitungen. Eine Auswahl solcher Belege ist ebenfalls digital zugänglich.
«Der ausserordentliche Wert dieser Sammlung liegt in den Alltagsdrucksachen, die in anderen Archiven kaum in dieser Vollständigkeit erhalten geblieben sind», betont Brigitte Bättig, die als Wissenschaftliche Mitarbeiterin das Projekt Haller betreut. «Während die von Haller gedruckten Bücher, Zeitungen und amtlichen Dokumente auch in anderen Bibliotheken und Archiven aufzufinden sind, haben wir von den Alltagsdrucken nicht nur die Belege, sondern auch die Druckdaten, Auftraggeber und Auflagen. Für die Forschung ist das hochinteressant.»
Bearbeitung noch im Gange
Die Sammlung Haller gehört der Burgergemeinde Bern und wird vom Zentrum Historische Bestände (ZHB) in der Bibliothek Münstergasse verwaltet. Der erste Teil konnte 2018 durch Fördergelder der Burgergemeinde Bern, der Ernst Göhner Stiftung, der Zwillenberg-Stiftung, der Sophie und Karl Binding Stiftung und der Fondation Johanna Dürmüller-Bol konservatorisch behandelt und erschlossen werden. Die Bearbeitung des zweiten Teils erfolgt im Jahr 2019.
Eine Fundgrube für bernische KulturgeschichteIn den 1920er-Jahren fand Hans Bloesch, Oberbibliothekar der Stadt- und Hochschulbibliothek Bern, rund 200 Folianten mit Druckbelegen der Druckerei Haller. Es sind Druckaufträge, die das Verlagshaus in den Jahre 1800 bis 1859 ausführe. Da Haller von 1815 bis 1831 als hochobrigkeitliche Druckerei fungierte, befinden sich neben Drucksachen für Kirche, Handel, Gewerbe und Privatpersonen unter den Funden auch viele amtliche Dokumente. In einem gross angelegten Projekt wird die für Bern bedeutende Sammlung erschlossen und konservatorisch behandelt und ausgewählt digitalisiert. Im Jahr 2018 wurden die Belege der Jahre 1800 bis 1824 bearbeitet, 2019 folgen die konservatorische Behandlung und Verzeichnung der Folianten der Jahre 1825–1859. |
01.03.2019