Kreuzung zweier Arten liess Artbildung explodieren
Nicht weniger als 500 neue Buntbarsch-Arten – farbige Verwandte unseres Eglis – sind im ostafrikanischen Viktoriasee in den letzten 15'000 Jahren entstanden, ein Rekord in der Tier- und Pflanzenwelt. In der Zeitschrift Nature Communications haben Forschende der Eawag und der Universität Bern jetzt dieses Evolutions-Rätsel gelöst und erstmals bewiesen: Als die Verhältnisse passten, hat die früher erfolgte Kreuzung zweier entfernt verwandter Buntbarscharten aus dem Nil- und dem Kongo-Einzugsgebiet diese explosionsartige Artbildung ermöglicht.
Durch die komplette Vermischung zweier Buntbarscharten wurden offensichtlich sehr viele Neukombinationen von Genvarianten möglich, die es sonst in einer einzelnen Population kaum geben kann. «Das ist ähnlich, wie durch eine Neukombination von Legobausteinen für einen Traktor und ein Flugzeug ganz viele verschiedene Gefährte entstehen können», sagt die Erstautorin Dr. Joana Meier.
Tatsächlich kommen die neu entstandenen Arten in unzähligen Farbkombinationen daher und sind an unterschiedliche Lebensräume, wie Sandböden, Felsformationen oder das offene Wasser angepasst, und zwar vom besonnten Flachwasser bis in die dauernde Dunkelheit der grossen Tiefen. Je nach Art schaben sie Algen von den Felsen, fressen Plankton, brechen Schneckenschalen auf, suchen nach Insektenlarven oder jagen nach anderen Fischen, deren Eier oder Schuppen. Fachleute sprechen von einer «adaptiven Radiation», der schnellen Entstehung einer Vielzahl neuer Arten einhergehend mit Anpassungen an verschiedene ökologische Nischen.
Die Vermischung der zwei Arten hat vor etwa 150‘000 Jahren stattgefunden, als in einer regenreichen Phase ehemalige Zuflüsse des Kongo zum Nil-Einzugsgebiet mit dem späteren Viktoriasee übertraten. In allen grösseren Seen der Region hat diese Hybridpopulation dann eine Vielzahl von Arten durch adaptive Radiation ausgebildet.
Was im Ur-Viktoriasee genau geschah, haben die Forschenden bisher nicht rekonstruiert. Aber klar ist: Nach einer Trockenphase füllte er sich vor rund 15‘000 Jahren erneut. Nachkommen der Hybridpopulation mit ihrer sehr hohen genetischen Vielfalt wanderten in den See ein. Dort bildeten sie in der – evolutionär betrachtet – kurzen Zeit von einigen tausend Jahren eine Fülle an ökologischen Spezialisierungen und spalteten sich in rund 500 neue Buntbarscharten auf, die ausschliesslich im Viktoriasee vorkommen. Dass die Buntbarsche im Viktoriasee ganz besondere Anlagen hatten und sich besonders gut an die neuen ökologischen Nischen anpassten, beweisen über 40 weitere Fischarten: Sie besiedelten den See gleichzeitig, haben sich jedoch seither kaum verändert.
Für ihre Befunde haben die Forschenden mehr als drei Millionen Positionen im Genom von 100 Buntbarsch-Arten sequenziert – bis vor kurzem eine unlösbare Aufgabe. So konnte die Gruppe um Ole Seehausen (Leiter der Eawag-Abteilung Fischökologie und -evolution und Professor für aquatische Ökologie & Evolution an der Universität Bern) erstmals dessen Theorie belegen, dass die Vermischung von Arten unter gewissen Umständen zu explosionsartiger Artbildung und adaptiver Radiation führen kann. Im Viktoriasee ist durch diesen Prozess in wenigen tausend Jahren ein komplexes Nahrungsnetz entstanden, weil die neuen Arten ihrerseits auch ihr Umfeld geprägt haben.
In den letzten rund 50 Jahren haben die Landnutzung und Abwässer zu einer wachsenden Düngung (Eutrophierung) des Sees geführt. Die Folgen davon sind trüberes Wasser und in den tieferen Bereichen Sauerstoffmangel. So verschmolzen verschiedene Arten zu wenigen Hybridpopulationen, da die bunten Balzfarben, an denen die Weibchen ihre Artgenossen erkennen konnten, ihre Wirkung verloren. Tiefwasserlebensräume wurden gar gänzlich unbewohnbar. Ein Teil der Artenvielfalt und der ökologischen Vielfalt ging so wieder verloren.
Hybridisierung
Es muss nicht der afrikanische Viktoriasee sein. Auch die grosse Artenvielfalt der Schweizer Felchen ist in der relativ kurzen Zeit seit der letzten Eiszeit aus einer Hybridpopulation entstanden (Hudson et al., 2010). Und auch bei den Schweizer Stichlingen hat Hybridisierung zu erhöhter funktioneller Variation geführt (Lucek et al. 2010).
Dabei hat die Hybridisierung zwei Gesichter: Wenn sie zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem es viele neue Nischen zu besetzen gibt, kann sie dank der erhöhten genetischen Vielfalt das Potential für die Bildung neuer Anpassungen und neuer Arten steigern. Auf der anderen Seite führt sie zum Verlust von Vielfalt, wenn sie einhergeht mit dem Verlust von Nischenstrukturen. So sind im Zuge der Seeneutrophierung mehrere Arten durch Hybridisierung zu einer einzigen Art verschmolzen. Arten, ihre Anpassungen und Spezialisierungen gehen dann in wenigen Generationen verloren.
Quelle: Eawag
Angaben zur Publikation:Joana I. Meier, David A. Marques, Salome Mwaiko, Catherine E. Wagner, Laurent Excoffier, Ole Seehausen: Ancient hybridization fuels rapid cichlid fish adaptive radiations, Nature Communications, 8: http://dx.doi.org /10.1038/ncomms14363 (2017). |
10.02.2017