Geschichte eines Sees mit einfachen Mitteln aufgeklärt
Die Sedimente im türkischen Vansee sind ein besonderes Klimaarchiv. Durch die Analyse des Porenwassers von Bohrkernen der Sedimente konnte jetzt eine internationale Forschergruppe mit Beteiligung der Universität Bern die immensen Seespiegelschwankungen der letzten 250‘000 Jahre nachzeichnen. Eine an sich simple Idee, die künftig nicht nur für den Vansee Anwendung finden dürfte.
2010 hat ein international zusammengesetztes Forscherteam am Grund des Vansees in Ostanatolien Sedimentkerne erbohrt. Fast 600‘000 Jahre Klima- und Umweltgeschichte haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Eawag, sowie der Universitäten Bern, Bonn und Istanbul inzwischen aus den Proben rekonstruiert. Denn der Vansee ist ein besonderes Gewässer. Sieben Mal grösser als der Bodensee, aber ohne Abfluss und selbst während der Eiszeiten eisfrei, haben seine Sedimente nicht nur jahreszeitliche Zyklen aufgezeichnet, sondern auch Vulkanausbrüche, Erdbeben, längere Warm- und Kaltzeiten und weitere Umweltdaten. Der See gilt als der grösste Soda-See der Welt. Mit einem Salzgehalt von rund 23 Gramm pro Liter und einem pH-Wert von 10 kann sein Wasser wie eine Lauge direkt zum Waschen verwendet werden – was Anwohnende auch machen.
Über 300 Meter Differenz
Jetzt hat eine Gruppe, angeführt von der Eawag und der Universität Bern, ein weiteres Geheimnis des Sees gelüftet. Dank des unterschiedlichen Salzgehalts im Porenwassers aus den Sedimentkernen konnten die Seespiegelschwankungen der letzten 250‘000 Jahre von bis zu 200m unter- und 105m oberhalb des aktuellen Seespiegels rekonstruiert werden. In ihrer Studie, publiziert in den Scientific Reports von Nature, erläutern die Wissenschaftler das an sich simple Prinzip ihrer akribischen Analyse: Weil im See absolut betrachtet immer gleich viel Salz gelöst ist, sinkt der Salzgehalt pro Liter Wasser mit steigendem Volumen und umgekehrt. Und weil die Geometrie des Sees vermessen wurde, kann aus den berechneten Volumen auf den Seespiegel geschlossen werden. Zwei grosse Seespiegelanstiege (vor 248‘000 und vor 135‘000 Jahren) sowie ein grosser Rückgang (vor 30‘000 Jahren) konnten so identifiziert werden. Weiter zurückverfolgen konnten die Forschenden das Auf und Ab nicht; die in den älteren Sedimenten gemessenen Salzgehalte spiegelten lediglich den Gleichgewichtszustand im See.
Zu gewissen Zeiten ein Süsswassersee
Die aus dem Porenwasser-Salzgehalt errechneten Seespiegellagen stimmen gut überein mit anderen Anzeichen, zum Beispiel noch sichtbaren Seeterrassen hoch über dem heutigen Seeniveau oder Erosionsrinnen, die inzwischen unter Wasser liegen. Bisher konnte das Alter dieser Strukturen jedoch nur ungenau bestimmt werden, denn der See befindet sich in einer tektonisch sehr aktiven Zone – im Schnittpunkt der eurasischen, der afro-arabischen und der persischen Platten. Während der Zeiten mit dem höchsten Wasserstand hat der See im Südwesten wohl auch einen Ausfluss gehabt zum Tigris. Mit dem abfliessenden Wasser muss der Salzgehalt stark gesunken sein – ein Befund, der durch weitere Indizien gestützt wird. So wurden auf den höchsten Seeablagerungen unzerstörte Schalen von Süsswassermuscheln gefunden.
Rückschlüsse auf feuchtes oder trockenes Klima aber keine Prognose
Weil die Wasserbilanz des Vansees nur von den Zuflüssen und der Verdunstung bestimmt wird, erlaubt das rekonstruierte Auf und Ab des Seespiegels auch Rückschlüsse auf das Niederschlagsregime im Einzugsgebiet. Immerhin steht mit dem Berg Ararat jener Ort in der Nähe, wo nach der Sintflut die Arche Noah gestrandet sein soll. «Natürlich können wir nicht auf einzelne nasse Jahre oder Jahrzehnte schliessen», sagt der Erstautor der Studie Yama Tomonaga dazu, «aber Änderungen, die zehntausend Jahre lang anhielten, zeichnen sich ab.»
Leider, so Tomonaga, erlaubt die neue Studie keine Prognose, ob der See künftig eher steigt oder sinkt. Die Behörden der Stadt Van wären um eine solche Einschätzung froh, denn seit 1960 ist der Seespiegel rund zwei Meter angestiegen (siehe Grafik). Was Tomonaga hingegen fasziniert, ist die Aussicht, dass die an sich simple Methodik und das erstellte Berechnungsmodell auch in anderen geschlossenen Salzwasser-Systemen verwendet werden können, zum Beispiel im Kaspischen Meer. Betrachte man schliesslich den Ozean als das grösste geschlossene System der Erde, biete das Modell – zumindest in Grössenordnungen – einen völlig neuen Ansatz, um Salzhaushalt und mittlere Sedimentationsraten im Weltmeer zu berechnen.
Publikationsdetails:Yama Tomonaga et al.: Porewater salinity reveals past lake-level changes in Lake Van, the Earth’s largest soda lake. Scientific Reports 7, Article number: 313 (2017); doi:org/10.1038/s41598-017-00371-w |
Quelle: Eawag
16.05.2017